M21. Ich durfte bisher einmal, für eine gesamte Zeitspanne von drei Wochen, erleben, wie es ist, lieben und begehren zu dürfen. Ich konnte ja nicht ahnen, wie viel ich bis dahin versäumt hätte. Es ist sehr merkwürdig... ich hatte mein erstes Mal mit ihr, in die ich damals so viel Gefühl, Lieb und Leid investiert hatte. Aber es war gar nicht so schön, es war geradezu zweitrangig. Viel schöner und gewichtiger, viel erfüllender war das eng umschlungen Beieinanderliegen mit stundenlangem Küssen. Die Erinnerung daran will meinen Kopf nicht verlassen, warum sollte sie auch? Schließlich waren diese Stunden der zeitweilige, stürmische Ausgang aus einer jahrelangen Depression, die Seligkeit auf Erden. Und nun ist das schon ein ganzes Jahr her, ich werde noch immer von der Erinnerung an dieses Mädchen verfolgt, der ich so manch Wort geschworen habe, sogar ein Paar Gedichte hats gegeben. Mir wurde von allenthalben geraten, sie bloß zu vergessen und mich nach vorn zu bewegen, nun, bislang kann man wohl kaum von einer Bewegung sprechen. Ich habe seither gar keinen näheren Kontakt zu Mädchen herstellen können, habe mich nur oberflächlich in Chats mit Kommilitoninnen und Bekannten beschäftigt. Ich habe mehrfach Annäherungen versucht, aber mir wurde je mit Ablehnung begegnet. Ich bin nicht sehr schön, nicht groß, nicht breit oder stark, auch nicht wohlhabend. Ich bin nur ein durchschnittlicher Junge, der sich sehr, sehr viele Gedanken über alles macht, das er erlebt und erkennt.
Ja, wie finde ich nun ein Mädchen? Ich habe es ja erfahren, was es heißt, eigentlich Mensch zu sein, ich kann mich dem nicht versagen. Ich werde meines Lebens nimmer froh, wenn ich in meinem Studentenzimmer hocke und mir über belanglose Studieninhalte, Grillen von Vermoderten den Kopf zerbreche. Am liebsten würde ich sie zurücknehmen, ich würde ihr alle Fehltritte vergeben und sie zurücknehmen, aber sie will mich schon lange nicht mehr. Es ist ein Jahr her, seit sie mir, als ich wieder fuhr, das Versprechen gab, dass wir uns wiedersehen würden. Sie hat es nicht gehalten. Aber ich bin zu einem großen Teil über sie hinweggekommen, was bleibt, ist die Sehnsucht nach dem wahren Leben, von dem ich wusste und erkannte, dass ich es lebte, als ich dort bei ihr war.
Auf Datingplattformen hatte ich keinerlei Erfolg (wie gesagt sehe ich nicht gut genug dafür aus) und auch im echten Leben konnte ich keiner Einzigen ein Interesse entlocken. Ich verstehe das nicht, ich verstehe es wirklich nicht. Was soll ich denn nur tun? Ich halte es nicht mehr aus. Ich will wieder Herzen und beschwichtigende Nachrichten versenden, mich nervös wieder auf ein Treffen freuen, wieder küssen, wieder eratmen. Warum gelingt es nicht? Warum werde ich als abstoßend empfunden, weshalb ghostet mich selbst die Studentin, mit der ich Partnerarbeit in einem Minnesang(!!!)-Seminar hatte? Manchmal denke ich an Catulls desinas ineptire und sage mir, lass das Sehnen sein. Aber nein, ich kann nicht.