Eine persönliche Antwort: ich habe Psychologie studiert, weil das Fach für mich nach einem spannenden "Borderlinephänomen" zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aussah.
Meine LKs waren Mathe und Physik und ich hatte eine Weile darüber nachgedacht Physik zu studieren. Aber aus irgend einem Grund waren mir die Fragen, die man als Physiker stellt nicht spannend genug - die Vorstellung, mich den Rest meines Lebens mit Materialeigenschaften, Quarks oder Quasaren zu beschäftigen fand ich eher langweilig. Also hab ich nach dem Zivi mit Theologie angefangen. Da ging es immerhin um grundsätzliche Fragen, die mir unter den Nägeln brannten...
Es hat allerdings nicht lange gedauert, bis ich frustriert feststellte: Es geht überhaupt nicht um den Versuch diese Fragen zu beantworten. Theologie bedeutet vielmehr die Beschäftigung damit, warum x auf jene Frage eine andere Antwort gegeben hat als y und wie er das gemeint haben könnte. Man redet halt mal drüber, aber so etwas wie Falsifikation ist im Grunde nicht möglich (also zu sagen: "Das was Du da behauptest ist Bullshit - hier ist der Beweis"; man kann die meisten Aussagen einfach nicht überprüfen).
Mein Eindruck war, dass ich mich zwischen Pest und Cholera entscheiden muss: Entweder ein naturwissenschaftliches Fach studieren und langweilige Fragen stellen, oder bei den Geisteswissenschaften bleiben und mich auf einen (nicht weniger langweiligen) Rhetorikwettbewerb einlassen. Bis mich eine Freundin ein bisschen über Psychologie aufgeklärt hat...
Wie vermutlich die meisten, ging ich bis dahin davon aus, dass Psychologie definitiv auf der "Rhetorikwettbewerb"-Seite zu verbuchen wäre. In meinem Kopf war das ein Club halbesoterischer Couchanbeter mit einer Vorliebe für sexuelle Assoziationen. Als ich mich allerdings in ein paar Vorlesungen und Seminare setzte, war ich komplett begeistert. Die Fragen, die hier gestellt wurden, waren extrem spannend: Was passiert auf der Netzhaut und im Gehirn wenn wir etwas sehen? Wie funktioniert das? Warum fällt es manchen Menschen so schwer mit dem Rauchen aufzuhören und anderen nicht? Hängt das mit bestimmten Genen zusammen? Was können Kinder schon im Mutterleib wahrnehmen und wie viel davon merken sie sich? Wird Intelligenz vererbt? Warum tut es regelrecht weh, wenn man beobachtet, wie ein anderer sich verletzt? Was passiert da im Gehirn?
Und alles war durchzogen von der Hoffnung, dass man diese Fragen irgendwie empirisch beantworten kann. Das man also Antworten geben kann, die man mit einem Experiment auf die Probe stellen kann.
Außerdem schien in dem Fach noch richtig was los zu sein. Einige der wichtigsten Methoden sind keine zwanzig Jahre alt (z.B. in der sog. fMRT und Verhaltensgenetik). Dementsprechender Pioniergeist weht(e) durch die Uniflure. So ähnlich muss es sich vor 80, 90 Jahren angefühlt haben, Physik zu studieren.
Deswegen bin ich jetzt Diplompsychologe.