Zu der Zeit war sie bereits gut mit einem anderen Mädchen befreundet (y) Ihre Eltern waren relativ wohlhabend und hatten viel Materielles, auf das man neidisch sein könnte (wenn man denn auf so was steht) x jedenfalls tat das, schmiss sich y geradezu vor die Füße. Die beiden Verstanden sich gut, aber ich konnte y nicht leiden. Sie war laut, frech, beliebt und ein Modepüppchen. X gefiel das. Und weil sie wollte, dass y möglichst viel von ihr hielt, und weil sie cool sein wollte, brauchte sie natürlich etwas, um sich beliebt zu machen. Da fingen die Lästereien über mich an. Kein heimliches Gekichere, sondern öffentliche Demütigung. Ich kann mich noch genau an einzelne Tage erinnern. Ein mal bekam ich neue Handschuhe, grau, mit Knöpfen drauf. Nicht gerade wunderschön, aber im Grunde nichts, gegen da man etwas sagen konnte. X kam, um mich zu begrüßen. Sie sah die Handschuhe, hielt sich wegen eines gekünstelten Lachens die Hand vor den Mund und rief nur >das muss ich y zeigen!< Und das tat sie. Ich wurde jeden Tag für irgendetwas ausgelacht. Das Komische daran war: Es war immer x, die anfing, nie y. Sie hatte nichts gegen mich, sie wollte sich einfach nur amüsieren. Und auch keiner der anderen Freunde von x hatten etwas gegen mich, manche mochten mich sogar. Es war immer x, die mich vor ihnen bloßstellte.
Wenn wir aber alleine waren, dann war sie wieder so wie früher, waren wir wieder beste Freundinnen. Warum ich mich nicht von ihr löste? Weil ich sie liebte, sie war wie eine Schwester für mich. Ich redete mit ihr über die Sachen, die mir nicht passten und danach wurde es jedes Mal besser, immer für ein paar Tage. Aber es kam immer wieder und es wurde immer schlimmer für mich. Ich hab mich jeden Abend in den Schlaf geheult, hatte kein Selbstbewusstsein mehr und hatte Angst, etwas von mir Preis zu geben. Wenn ich ihr nichts erzählte, hatte sie abgesehen von meiner Kleidung nichts, worüber sie lachen konnte. Ihr nächster Kritikpunkt an mir war, dass ich zu still und langweilig war. Ich konnte es einfach nicht richtig machen.
Später dann durften wir wählen zwischen Latein und Französisch, dass würde dann entscheiden, in welche Klasse wir kommen würden, wenn das Schuljahr zu Ende war. In der Grundschule hatte sie mir versprochen, dass sie Latein nehmen würde, weil ich es gerne wollte. Jetzt aber weigerte sie sich und ich fand endlich die Kraft, mich zu lösen. Ich entschied mich für Latein und damit war besiegelt, dass wir bald nicht mehr in einer Klasse sein würden. Dann lief es allerdings wieder besser, sie wurde freundlicher und auch das Lästern ließ nach. Ich ging zu einem Lehrer und bat ihn, doch noch tauschen zu dürfen. Er sagte, es müsse ein Antrag gestellt werden und ich war fest entschlossen, da ich mich mit x ja wieder gut verstand. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen.
Ein paar Tage später stritten wir uns wieder. Ich sagte mir: Gut. Dann bleibe ich eben bei Latein. Die endgültige Entscheidung fühlte sich gut an, ich hatte es endlich geschafft, mich zu befreien. Die letzten zwei Wochen vor den Ferien waren wir wieder beinahe so eng befreundet wie in er Grundschule. Aber als wir dann tatsächlich in andere Klassen gingen, ließ der Kontakt wieder nach. Sie hatte y und deren Freundinnen und ich fand tatsächlich neue Freunde, gute Freunde. Das ist mittlerweile vier Jahre her, heute bin ich 16.
Ich bin gut in der Schule, habe nicht viele Freunde, aber einen besten Freund und den könnte ich mir nicht besser wünschen. Wir können zusammen lachen, stundenlang, ich kann mit ihm über ernste Themen sprechen und er würde die auf den Gedanken kommen, mich auszulachen. Er hat ebenfalls nicht viele Freunde, aber auch ihn stört das nicht, denn er hat mich und er kann sich auch auf mich verlassen.
Wirklich gut ging es mir seit der vierten Klasse nicht mehr, aber das hatte auch andere Gründe, die hier nichts zur Sache tun. Dennoch müsste ich eigentlich zufrieden sein mit meinen paar Freunden und dem besten Freund, den man sich wünschen kann. Bin ich aber nicht. Ich vermisse x, sehr sogar. Ich liebe sie, sie war wie eine Seelenverwandte, nur dass sie sich losgerissen hat. Sie hat mir Schreckliches angetan und das hat meinen Charakter gezeichnet. Ich bin selbstbewusst, und die Meinung anderer interessiert mich selten. Aber ich lasse niemanden, auch meinen besten Freund nicht, richtig an mich heran, habe Angst über Dinge zu sprechen, die mir etwas wert sind, aus Angst, mich verletzlich zu machen. Ich bin nicht glücklich und ein Grund dafür ist die Zeit mit x. Aber ich kann sie dafür nicht hassen, ich kann sie nur vermissen.