Wenn es die Vererbung von psychischen Krankheiten gibt, dann kommt die Krankheit in der Regel von demjenigen, der auch krank ist. Es sei denn, der andere Elternteil hat eine latente, also eine in den Genen schlummernde Erkrankung, die sich bei ihm nicht ausprägt, aber bei den Nachkommen, in Verbindung mit den Genen des auch kranken Partners. Es gibt keine Geschlechtsspezifität bei psychischen Störungen, es erkranken nicht nur Frauen an Depression oder nur Männer an Alkoholismus. Das ist Unsinn.
Hier Auszüge aus meiner Diplomarbeit zur Schizophrenie:
Schädliche familiäre Interaktionsmechanismen beeinflussen die Manifestation der Schizo-phrenie. Die Forschung dieses Bereiches konzentrierte sich auf die Inhalte der in den letzten Jahren geprägten Schlagworte: 'Communication Deviance' (CD) (Wynne & Singer, 1963), 'Expressed Emotion' (EE) (Brown et al., 1972) und 'Affective Style' (AS) (Doane et al., 1985). Es wurde festgestellt, daß vor allem CD und AS allen Erkrankungen das Schizo-phreniespektrum vorhergingen (Wynne et al., 1977); eine Interaktion zwischen diesen Faktoren und einer möglichen biologischen Prädisposition wurde vermutet (Tierani, 1991). Innerhalb der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern bezeichnet CD das Ausmaß an kommunikativer und argumentativer Unklarheit des Senders (Elternteil), dessen Unfähigkeit, seine Belange klar und deutlich auszudrücken. Mit EE ist jede wie auch immer ausgedrückte Einstellung und Haltung der Eltern gemeint, die durch Kritik- oder Feindseligkeitsäußerungen gegenüber dem Probanden oder durch übermäßige emotionale Verwicklung (z.B. in das Krankheitsgeschehen oder die Situation) gekennzeichnet ist. Schizophrene Probanden, die nach ihrem Klinikaufenthalt in eine Familie mit hohem EE-Potential entlassen wurden, wurden innerhalb des darauffolgenden Jahres zwei- bis dreimal häufiger akut krank als Probanden, die in Familien mit geringem EE-Potential zurückkehrten (Parker & Hadzi-Pavlovic, 1990).
AS meint das Interaktionsverhalten der Bezugsperson mit dem Betroffenen primär in Problemlösungssituationen und kann als EE-Untergruppe verstanden werden. Die Diskussion kann bösartig, das heißt mit einem hohen Anteil an Schuldzuweisungen der emotional verwickelten Eltern und insbesondere persönlich angreifenden Stellungnahmen der Eltern (Strachan et al., 1986; Miklowitz et al., 1989), verlaufen. Auch AS fördert den Rückfall (Doane et al., 1985). Es wird vermutet, daß EE und AS die innere Anspannung der Betroffenen extrem erhöhen. Dies könnte eine Steigerung der Neurotransmitterausschüttung herbeiführen, die ihrerseits den Rückfall herbeiführen könnte (Miklowitz, 1994). Elterliche CD/EE steht nachweislich in direkter Verbindung mit frühen Vulnerabilitätszeichen ihrer Nachkommen. Wynne et al. (1977) fanden einen monotonen Zusammenhang zwischen dem parentalen CD-Ausmaß und der Art der infantilen Störung, sowie der Störungsausprägung. Die Kommunikation der Eltern schizophrener Probanden wich innerhalb des Rahmens aller schizophrenieformen Störungsbilder am deutlichsten von der Norm ab. Konversationsaufzeichnungen aus Familien mit Anzeichen präschizophrenen Kindverhaltens verdeutlichten eine signifikant erhöhte mütterliche CD/EE (Doane et al., 1982; Velligan et al., 1988; Leudar, Thomas & Johnstone, 1994; Taylor, Reed & Berenbaum, 1994; Velligan et al., 1995). Vom Normalen abweichende Kommunikationen wurden sowohl zwischen biologischen Eltern und schizophrenen Nachkommen als auch zwischen Adoptiveltern und schizophrenen Adoptivkindern nachgewiesen; dies fiel besonders bei einem Vergleich zwischen diesen Eltern und Adoptiveltern genetisch unbelasteter und gesunder Kinder auf (Wynne et al., 1976). Dieses Ergebnis läßt vermuten, daß auch das Wissen um die potentielle Krankheit eine Störgröße sein könnte.
Kinney und Jacobson (1981) fanden als Haupteffekt, daß die Persönlichkeit und das Wesen der Eltern ein massiver Streßfaktor sein kann, der die Entwicklung der Schizophrenie vielfach eher als eine genetische Determinante fördert (auch Tierani, 1991). Die psychische Erkrankung eines Adoptivelternteils (Elternteils) erhöht die Erkrankungswahrscheinlichkeit eines prädisponierten Kindes: 46% in der Index-Gruppe und 24% in der Kontrollgruppe. "The results are consistent with the hypothesis that healthy families have possibly protected the vulnerable child, whereas in disturbed families the vulnerable children have been more sensitive to dysfunctional rearing (Tierani, aus Häfner und Gattaz, 1991, S. 139).
Die Erblichkeit der Schizophrenie galt lange Zeit als unumstritten. Erblichkeitshinweise stammen beispielsweise aus dem Bereich der Adoptionsstudien und der Zwillingsforschung. Danach folgte eine Phase, in der die Meinungen bezüglich der Anlage-Umwelt-Determinanz dieser Psychose in zwei streitende Pole gespalten waren. Dies wurde nicht zuletzt durch divergente Forschungsergebnisse hervorgerufen. Kommen wir zunächst zu der Adoptions- und Zwillingsforschung. In einer frühen Studie zu Erblichkeit der Schizophrenie fand Heston (1966) bei 47 adoptierten Kindern schizophrener Mütter einen Schizophrenieanteil von 16,6%, aber auch andere mentale Defekte (Rosenthal et al., 1971; Lowing et al., 1983; Mirsky et al., 1985; Tierani et al., 1987). Zwillingsstudien zeigten eine signifikant höhere Konkordanzrate monozygoter als dizygoter Zwillinge; die Konkordanz wurde auf 36 - 58% geschätzt (Kendler & Robinette, 1983). Keine Studie konnte eine absolute Konkordanz monozygoter Zwillinge nachweisen (Gottesman & Shields, 1982). Vergleicht man jedoch die Schizophreniehäufigkeit unter den Nachkommen monozygoter diskordanter Zwillinge (d.h. ein Zwilling schizophren, der andere gesund oder z. B. bipolar gestört), so erreicht die Auftretenswahrscheinlichkeit innerhalb der neu gebildeten Familien mit 9,4% vs. 12,3% keine Unterschiedssignifikanz (Fisher, 1971). Die verbleibenden Diskrepanzen gaben der Wissenschaft Anlaß, nach weiteren Ursachen zu suchen. Ein Mangel an Konkordanz wurde insbesondere in Fällen, in denen MZ-Zwillinge voneinander abweichende Gehirnstrukturen aufwiesen, als Hinweis auf pränatal schädigende Einflüsse gewertet. Hervorgehoben wurden unter anderem virale Einflüsse vor allem in Anbetracht der unterschiedlichen Schizophreniefrequenz in den verschiedenen Ländern und Kulturen (Torrey, 1988; Stevens und Hallick, 1992). Im Rahmen dieses Ansatzes fanden der Zytomegalievirus, HSV-1 und Influenzavirus A besondere Beachtung.
Laura Stenger
Dipl.-Psych.