Was soll ich tun? Warum moralisch, warum tugendhaft sein? Mögliche Antworten sind:
Prinzip: Wie Du mir, so ich Dir: Wenn mir der andere Mensch einen Zahn ausschlägt, dann schlage ich ihm auch einen Zahn aus. Begründung: Mein Handeln orientiert sich am Handeln des anderen Menschen. D.h. gut ist für mich das, was mir einen Vorteil bringt. Der eigene Vorteil ist ein Geschäftsprinzip ohne moralische Grundlage. Die Umwelt bzw. der Andere spielen nur eine sekundäre Rolle für mein Handeln.
Zentraler Nachteil: Ohne Normen, Regeln, Werte kann keine Gemeinschaft funktionieren.
Prinzip: Regeln: Jeder Mensch ist Träger von Rechte und Pflichten.Wenn ich ein Recht auf Leben habe, hat der Andere die Pflicht dieses Recht zu achten (und umgekehrt). Wohlwollen und Selbstkontrolle gegenüber dem Anderen sind eine grundsätzliche Pflicht.
Zentraler Nachteil: Niemand kann zur Sympathie mit andern Menschen verpflichtet werden. Zudem: Menschen sind Träger unveräußerlicher Rechte. Bilden Regeln das verbindende moralische Prinzip dürfen Gesetze in Ausnahmefällen übertreten werden. Gesetze bilden nur Normen ab, sagen aber nichts darüber aus, was an sich gut ist.
Prinzip: Selbstachtung: Persönliche Tugenden (mutig, liebevoll, nicht anmaßend sein usw.) fokussieren das, was an sich gut ist. Die Tugend der Selbstachtung fokussiert das „gute Leben“ auf der Basis unveräußerlicher Rechte (Menschenrechte). Die Antwort auf die Frage, was ich mir selbst schuldig bin, liegt in den persönlichen Tugenden bzw. der Selbstachtung.
Das Leben spielt sich ab als ein Abwägen zwischen persönlicher Sinnsuche und den Regeln der Gemeinschaft. Handle ich tugendhaft, gebe ich eine Antwort darauf, was ich selbst als gut erachte. Ob es gut ist die Bibel zu lesen, Abitur zu machen, Fan von Schalke 04 zu sein oder Stalins Werke zu lesen, Zoodirektor zu werden, Drogen zu nehmen, zu meditieren oder überhaupt keine subjektive Willensentscheidung zu treffen (also opportunistisch zu handeln) ist Ausdruck von individueller Freiheit.
Jeder muss seine Selbstdeutung in einer sich ändernden Gesellschaft in Übereinstimmung mit seiner inneren Natur bringen. Immer bleibt die praktische Tugend der Selbstachtung (Werde, der Du bist!) die zentrale Verbindung zwischen mir und den Menschen um mich herum. Darum ist Selbstachtung die wichtigste Tugend.
Der zentrale Nachteil ist auch ein Vorteil: Auch wenn wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln, können wir nie ganz sicher sein, richtig zu handeln. Aber: „Enttäuschungen sind immer gut, denn Täuschungen sind immer schlecht“ (Robert Spaemann). Enttäuschungen helfen die Realität zu erfahren.