Wer sich mit den Ursprüngen religiöser Feste und Symbole befasst, stößt unweigerlich auf ein frappierendes Muster: Viele heute als „christlich“ bezeichnete Bräuche und Feiertage entstammen in Wahrheit viel älteren, paganen Traditionen. Als überzeugte Paganistin erscheint mir das nicht nur auffällig, sondern auch zutiefst bezeichnend für die Art, wie das Christentum sich über Jahrhunderte hinweg behauptet hat – nicht durch reine spirituelle Überzeugungskraft, sondern durch systematische Aneignung und Überlagerung.
Beginnen wir bei Yule, der Wintersonnenwende. In fast allen paganen Kulturen wurde die Wiedergeburt des Lichts gefeiert – die Rückkehr der Sonne nach der längsten Nacht des Jahres. Dass ausgerechnet der christliche Messias „Jesus“ an diesem Zeitpunkt geboren sein soll (obwohl die Bibel keinerlei Datum nennt), ist kein Zufall, sondern Strategie. Die Kirche setzte das Geburtsfest Christi auf den 25. Dezember, ein Datum, das zuvor bereits dem römischen Sonnengott Sol Invictus gewidmet war – ebenfalls ein heidnischer Sonnenkult. Durch diese Überlagerung wurde das Fest nicht abgeschafft, sondern „umgedeutet“.
Ähnlich verhält es sich mit Ostara, der Feier der Fruchtbarkeit und des Neubeginns zur Frühlings-Tagundnachtgleiche. Der Hase, das Ei – uralte Symbole für Leben und Fruchtbarkeit – wurden nicht von Christen erfunden, sondern übernommen. Dass Jesu „Auferstehung“ ausgerechnet an diesem Fest gefeiert wird, ist ebenfalls kein Zufall. Der Tod des Gottes und seine Rückkehr zum Leben ist ein archaisches Motiv, das sich durch viele Religionen zieht – von Osiris über Dionysos bis Baldur. Das Christentum hat diesen urmythischen Stoff lediglich in neuer Verpackung präsentiert.
Auch viele Alltagsrituale wie Geburtstagskerzen (ursprünglich Opferlichter für Schutzgeister), der Tannenbaum (ein Baumkultsymbol aus nordischer Tradition) oder das Feiern von Erntedank lassen sich direkt auf pagane Ursprünge zurückführen. Nichts davon ist genuin christlich. Es ist ein Flickenteppich aus übernommenen Bräuchen, clever getarnt unter einer einheitlichen, dogmatischen Oberfläche.
Diese Strategie nennt sich religiöser Synkretismus – die bewusste Verschmelzung von Elementen verschiedener Glaubensrichtungen, um eine reibungslose kulturelle Dominanz zu erreichen. Das frühe Christentum, das im römischen Reich zunächst verachtet und verfolgt wurde, hatte wenig andere Wahl, als sich an bereits bestehende Strukturen anzupassen, wenn es überleben wollte. Es hat nicht nur Bräuche übernommen, sondern auch heilige Stätten „umgewidmet“ (Tempel zu Kirchen), pagane Feiertage „christianisiert“ und alte Götter zu Dämonen erklärt.
Was dabei verloren ging, war nicht nur Vielfalt, sondern auch der Respekt vor dem Ursprung. Das Christentum hat sich über Jahrhunderte als einzige Wahrheit ausgegeben – während es im Grunde auf einem Fundament steht, das es sich aus älteren, reicheren Quellen geborgt hat. Für viele Paganist:innen – mich eingeschlossen – ist das nicht nur historisch enttäuschend, sondern auch ethisch fragwürdig. Die Verfolgung von „Hexen“, die Zerstörung alter Kulturen und die Dämonisierung alles Nicht-Christlichen zeigen, dass diese Religion nicht auf Respekt vor dem Alten, sondern auf Verdrängung basiert.
Fazit: Die christliche Religion ist kein originäres, „gottgegebenes“ System, sondern eine durchpolitisiertes Konglomerat aus fremden Ideen. Ihre Feste sind oft nicht mehr als heilige Masken über heidnischen Wurzeln. Wer das erkennt, beginnt zu verstehen, dass viele Wahrheiten älter, tiefer und ehrlicher sind als das, was sich später „Offenbarung“ nannte