..Die wissenschaftliche Diskussion um die Nervengiftigkeit (Neurotoxizität) von MDMA und verwandten Stoffen ist keine Diskussion um Schuld oder Unschuld einer Partydroge, die so oder so ein enormes Schädigungspotenzial aufweist. Sie geht lediglich der Frage nach, ob im Minenfeld von Ecstasy noch eine weitere und besonders böse Überraschung lauert. Und das ist offensichtlich der Fall.
Wenn man im Zusammenhang mit Ecstasy von Neurotoxizität spricht, dann ist nicht die Vergiftung und Schädigung von Nervenzellen im linken Zeh gemeint, sondern die Vergiftung von Gehirnregionen, in denen Ecstasy primär wirkt. Das Gehirn stellt man sich am besten als eine Art unverzichtbare „Schalttafel“ zwischen der Person selbst, ihrem Verstand und dem Körper vor. Das Besondere an dieser „Schalttafel“ ist, dass sie nicht wirklich repariert und schon gar nicht ausgewechselt werden kann.
Ecstasy stand von Anfang an im Verdacht, bestimmte Nervenzellen im Gehirn in ihrer Struktur zu schädigen oder zu zerstören, möglicherweise irreversibel (bleibend). Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist die wissenschaftliche Einigkeit darüber, dass Ecstasy genau das tut, überwältigend. Die Streitfrage jetzt ist eine andere, nämlich ob und wann solche Schäden umkehrbar sind und welche Funktionen im täglichen Lebensablauf durch strukturelle Gehirnschäden nach MDMA-Konsum beeinträchtigt werden können.
Die Theorien, was Ecstasy genau im Gehirn anstellt, ändern sich alle fünf Jahre und müssen an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden. Wichtig zu wissen ist:
MDMA greift vehement in das Gleichgewicht der so genannten Neurotransmitter ein (wörtlich: Übermittler zwischen Nerven). Darunter sind chemische „Botenstoffe“ zu verstehen, die Nervenimpulse zwischen Nervenzellen weiterleiten. Zu den wichtigsten solchen Botenstoffen zählen Serotonin und Dopamin.
Die Abbauprodukte des MDMA wirken primär als Serotonin-Gift. Das heißt: Bei fortgesetztem Konsum kommt es zu immer weniger Serotonin im Hirngewebe. Nervenzellen, die Serotonin produzieren, werden inaktiv, Nervenendigungen zerfallen oder wachsen verkrüppelt nach. Serotonin wird auf körperlicher Ebene eine regulierende (steuernde) Funktion bei der Aufrechterhaltung einer Reihe von Notwendigkeiten zugeschrieben (z.B. Schlaf, Körpertemperatur, Appetit, sexuelle Funktionen, Stimmung, Abruf aus dem Gedächtnis). Die Folgen einer (bleibenden) Schädigung des regulatorischen Serotonin-Systems sind nicht wirklich vorhersehbar.
Ecstasy-User schneiden bei bestimmten Gedächtnis- und Aufgabentests grundsätzlich signifikant schlechter ab als Kontrollgruppen. Einschlägige Studien bestätigen immer wieder die Gültigkeit der folgenden Gleichung: Je größer der Ecstasykonsum, desto geringer die Gedächtnisfunktion. Ecstasy senkt den IQ. Im Herbst 2001 folgerte eine deutsche Ecstasy-Forscherin, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Gedächtnisstörungen und Ecstasykonsum dennoch „nicht zweifelsfrei geklärt“ werden könne, weil bei Ecstasy-Konsumenten vielleicht von vornherein ein Serotoninmangel vorliege, der möglicherweise den Konsum von MDMA auch erst bedinge. Hierzu müssten erst neue Studien in Auftrag gegeben werden. Zum selben Zeitpunkt fasste dagegen ihr amerikanischer Kollege Professor Harold Kalant den Stand der weltweiten Ecstasy-Forschung wie folgt zusammen: „Verschiedene Studien haben allerdings aufgezeigt, dass der Grad der Veränderung in der Serotoninfunktion proportional zur Dauer und Intensität des vorhergehenden Konsums von MDMA verläuft. Und dieser Umstand lässt eher darauf schließen, dass der MDMA-Konsum die Ursache und nicht die Folge einer beeinträchtigten Serotoninfunktion ist.“
Bei Affen, denen acht (auf diese Tierart abgestimmte) MDMA-Dosen über vier Tage hinweg verabreicht wurden, waren die geschädigten oder zerstörten Serotonin-Nervenzellen im Gehirn selbst nach sieben Jahren entweder gar nicht oder nur teilweise regeneriert (Ricaurte et al, 1988). In anderen Gehirnregionen wiederum kam es zu exzessiven Wucherungen neuer Nervenzellen. Langzeitexperimente dieser Art zeigen deutlich, dass Ecstasy-Dauerkonsumenten ein hohes Risiko irreversibler Gehirnschädigungen tragen.
Das Argument von MDMA-Fürsprechern, wonach in Tierversuchen mit „viel zu hohen Dosen“ gearbeitet werde, läuft generell ins Leere. Die Empfindlichkeit gegenüber MDMA-Neurotoxizität steigt von niedrigerer zu höherer Spezies beständig an. Mäuse müssen deshalb eine im Verhältnis zum Körpergewicht weit höhere Dosis erdulden als beispielsweise (kleine) Affen, diese wiederum eine höhere als Menschen, um ähnliche Verhältnisse zu simulieren. Richtig ist, dass Tierversuche keine Menschenversuche sind. Richtig ist aber auch, dass bisher nichts dafür spricht, dass Menschen durch MDMA weniger Schaden erleiden als Tiere.
Das Ausmaß der Nervenvergiftung durch MDMA ist, wie bei anderen Ecstasy-Schäden auch, offenbar gesamtdosisabhängig. Je mehr Ecstasy jemand konsumiert hat, desto größer der Schaden. Der Grad der Neurotoxizität verläuft von MBDB (am geringsten) über MDE zu MDMA und MDA (am höchsten).
Der Serotonin-Level im menschlichen Körper nimmt altersbedingt ab. Eine Schädigung des Serotonin-Haushalts in der Jugend kommt deshalb einer eingebauten Zeitbombe gleich. Mit fortschreitendem Alter kann ein vermuteter Mindest-Level unterschritten werden, unterhalb welchem Schäden nicht mehr kompensiert werden können.
Fazit: Ecstasy schädigt das Gehirn, sowohl in seiner Struktur als auch in seiner Funktion. Solche Schäden können erst nach vielen Jahren oder Jahrzehnten zutage treten. Die Zerstörung des chemischen Gleichgewichts im Gehirn ist NIEMALS eine gute Idee. Noch weniger klug ist es Szene-Ratschlägen zu folgen, wonach die Einnahme psychiatrischer „Glückspillen“ während des MDMA-Rausches die Neurotoxizität des MDMA verhindere.``
MFG Jonathon J. D. N.
Universität Ulm