Tatsächlich liegt der Altersdurchschnitt bzgl. des Erkennens des eigenen Schwulseins bei 12,5 Jahren. Obwohl es bei mir und vielen Freunden genauso früh oder sogar noch früher war, überraschte mich dieses junge Alter beim ersten Lesen der Statistiken doch sehr.
Aber das ist der Durchschnitt, nicht der Einzelfall. Letztendlich sagt dieser Wert auch nichts darüber aus, dass sich jeder mit der Erkenntnis sofort zufrieden geben würde. Und abgeschlossen ist ein Coming Out damit auch nicht.
Ich dachte zwar im Kindesalter und der frühen Pubertät, dass ich mit 30 sicher irgendwann eine Frau und Kinder haben würde, konnte mir aber selbst zu Beginn der Geschlechtsreife beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich zu einer Frau kommen sollte. Mein Interesse daran war von Anfang an gleich Null. Ich nutzte als 12 bis 14Jähriger die altersübl. Experimentierphasen meiner Freunde und Kumpels - obwohl ich sehr genau wusste, was ich will. Von daher war ich nicht selten die treibende Kraft dahinter ;)
Geoutet habe ich mich damals dennoch nicht. Ich kann mich leider nicht mal erinnern, wie genau ich zu dem Begriff "schwul" stand. Ich weiss aber, dass ich mit 14 einen Independantfilm mit dem Namen "Abschiedsblicke" sah (mit Steve Buscemi), der die völlige Normalität der Homosexualität in einem Teil der New Yorker Schwulenszene zeigte - und viele junge Schwule. Besonders sprach mich damals in diesem Film eine Szene an, die sich im Hausflur/auf der Treppe vor einer großen Abschiedsparty abspielte: Leute gingen rein und raus, fast alle davon waren schwul. Der von Steve Buscemi dargestellte Charakter unterhielt sich mit einem gutaussehenden jungen Schwulen, der höchstens 20 war und sich in einen anderen verliebt hatte. Völlige Normalität: man sieht jemanden, verliebt sich in jemanden, flirtet mit ihm etc.
Sowas gab es in meinem Leben nur unter Heteros. Sichtbare Schwule schien es in meinem Umfeld nie zu geben. Plötzlich ahnte ich, dass es eine gigantische Welt neben meiner gewohnten Alltagsrealität gab. Und ich war ein Teil davon. Dieses Gefühl machte mir schlagartig klar, dass ich damit nicht wirklich allein war. Es gab da viele Gleichgesinnte und etwas, was uns alle verband.
An dem Abend fühlte ich mich nach diesem Film wie berauscht. Und ich sprach es zum ersten Mal aus: "Ich bin schwul!" Es dauerte sehr lange, bis diese Worte ihren eigenartigen Klang verloren. Aber es drängte mich zu meinesgleichen.
Obwohl es noch ein weiteres Jahr dauerte, nahm mein Coming Out langsam Gestalt an. In der Zeitung hatte ich die Telefonnr. einer Schwulen- und Lesbengruppe entdeckt und dort mit klopfendem Herzen angerufen. Ich fühlte mich aber ausserstande, persönlich aufzutauchen, weil ich erst 14 war und somit meinte, viel zu jung zu sein. Heute weiß ich, dass das Unsinn ist. Ein Jugendlicher Hetero wartet mit dem Kennenlernen von Mädchen ja auch nicht, bis er erwachsen ist..
Ich wollte aber warten, bis ich 18 bin.
Ein Jahr hielt ich das aus. Irgendwann hielt ich dem Druck nicht mehr stand, immer allein damit zu sein, während mein ganzes schul. Umfeld sich im Balzmodus befand. Das wäre mir dort nicht möglich gewesen.
Irgendwer schrieb mal, dass Homosexuelle eine "Pubertät light" haben. Alles, was für andere normal ist, geht für Schwule und Lesben nicht. Oft gibt es das Umfeld auch nicht her, sich anderen anzuvertrauen - und schon gar keinen Flirt.
Vor dem Coming Out geht somit einer der wichtigsten Teile des Lebens überhaupt nicht los. Man wartet, steht unter Druck und hat Angst.
Angesichts der gestiegenen Homophobie ist ein öffentl. Eingeständnis an Schulen auch nicht ganz ungefährlich. Man riskiert massives Mobbing und einen Ausschluss aus der Klassengemeinschaft. Sicherheitsh. gehen die meisten dieses Risiko überhaupt nicht erst ein.
Ich empfehle allen Betroffenen in dieser Situation genau das, was ich damals auch gemacht habe: nehmt telefonischen oder persönlichen Kontakt zu einem schwulen Zentrum/Verein oder einer schwulen Coming-Out-Gruppe auf. Ein Outing gegenüber anderen Schwulen u. Lesben birgt all diese Gefahren nicht!
Macht man das, ist schlagartig dieser Druck weg. Wichtig sind echte Personen. Das Internet kann auch eine Isolationsfalle sein. Echte Freunde findet man nämlich im echten Leben viel besser - und in dieser Situation tatsächlich auch ziemlich schnell. So eine Jugendgruppe (im Zweifelsfall in der nächstgrößten Stadt) ist dann einfach wie der Himmel auf Erden. Nur schwule Jungs u. lesbische Mädels - manchmal ab 14 Jahren - ich habe aber schonmal einen 13jährigen dort getroffen. Viele sind oft 15 bis 18 Jahre alt.
Man hat immer soooo viel Angst vor dem Verlust von Freunden, vergisst aber, dass man tausend neue Leute kennenlernt, die oftmals noch viel kompatibler zu einem sind.
In der Regel lösen sich nämlich DIE Freundschaften,die einem selber unwichtig werden.
Erst schwule Freunde finden, dann gegenüber den alten Freunden outen. Das schafft Rückhalt!