Wenn man die Situation der heutigen Jugend mal mit der Situation der Jugend von früher vergleicht - nicht 60er, sondern wirklich früher -, dann gibt es heutzutage wesentlich mehr Möglichkeiten "das zu tun, was man wirklich will". Vielleicht ist gerade das das Problem. Gesellschaftliche Zwänge gibt es zwar auch heute noch, aber es fehlt etwas, gegen das man sich wirklich auflehnen kann; es ist schon fast Mainstream, dagegen zu sein, anders zu sein, individuell zu sein.
"Man möchte sich für etwas entscheiden können - oder zumindest gegen etwas. Doch Gegner oder Feinde gibt es kaum noch, weil es sie nicht geben darf und weil ohnehin alle alles verstehen. [...]
Aus den Konflikten des 20. Jahrhunderts haben die westlichen Kulturen den Schluss gezogen, dass sämtliche Formen von Konfrontation und Polarisierung falsch sind. Das ist eine ehrenwerte Einstellung mit geringem Realitätswert, nicht etwa weil Konflikte so erstrebenswert wären, sondern weil sie mehr sind als bloße geistige oder physische Auseinandersetzungen. Sie formen eben auch Kulturen und fördern die technische Entwicklung. Sie stiften Identität und damit Orientierung. [...]
Es gab eine Ordnung, an der entlang oder gegen die man leben konnte. Denn auch das gehört zu den heute so ungeliebten Konfrontationen: Sie sorgten für Klarheit und, was noch wichtiger ist, für Unterscheidbarkeit.
Der feste Rahmen der alten Gesellschaft ist so oft beklagt und bejammert worden, dass es heute zum festen Kulturgut gehört, die Welt von damals für einen schrecklichen Ort zu halten. Eltern waren immer streng, Verbote seelisch grausam und allgegenwärtig. Nur konnte sich jeder, der in der unbekümmerten Konsumwelt der sechziger und siebziger Jahre keinen Sinn erkannte, einen anderen organisieren.
Die Tatsache, dass die Konfrontation mit den konservativen Eltern schnell eine Jugendkultur gebar, die einflussreicher war als jede vor ihr, ist Beweis dafür. Diese Kultur wurde medial gefördert. Der Konflikt bot eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung und damit zur Identität, zum Selbstbild, zur Marke. Man orientierte sich anders. Aber zunächst bewegten sich die, die meinten, alles anders machen zu müssen, und jene, die stur bei dem blieben, was sie für richtig erachteten, in einer Gesellschaft, in einer Welt. Ob sie es wollten oder nicht, sie drehten sich in der gleichen Logik, es gab einen Common Sense. [...]
[Common Sense ist] ein Navigationssystem, mit dem sich unterschiedliche Teile der Gesellschaft noch verständigen können, eine Art ethisches Regelwerk, das gemeinsames Denken und Handeln gestattet, wo allem Anschein nach nur Differenz besteht. Was gilt wo als richtig und falsch, anständig und unanständig? Der Common Sense sagt uns: Das tut man nicht. Das ist die eigentliche, ursprüngliche Bedeutung des Wortes Common Sense: Gemeinsinn, auch Gemeinschaftssinn. Der hat nichts mit jener Zwangsgemeinschaft, mit dem Druck zur Solidarität zu tun, der heute wieder üblich geworden ist. Dieser Common Sense ist ein Code, aus dem sich ein gemeinsamer Nenner unterschiedlicher Gruppen, Gesellschaften, Märkte, Menschen eben, ergibt. Dieser Gemeinsinn, dieser gute Common Sense macht es möglich, sich zu einigen und unterschiedliche Wege zu gehen. [...]
Die Verunsicherung unserer Tage hat [...] mit erfüllten Wünschen zu tun. Vielleicht ist einfach zu viel von dem möglich geworden, was sich die Menschheit so lange gewünscht hat. Das ist der alte Fluch der Romantik, die Deutschland so geprägt hat [...]. Es ist der Fluch der Blauen Blume, dem Symbolgewächs der Romantik, der Ideologie der Sehnsucht, die alles menschliche Streben verbindet. Wer sie findet, das ist Kern und Ziel aller romantischen Überlegungen, findet sich selbst. Das gibt seit vielen, vielen Jahren guten Stoff für Romane, Gedichte, Theaterstücke, Filme und andere Illusionen aller Art ab. Das ist das Ziel aller Wünsche. Happy End. Und dann?
Es ist eine Sache, sie zu finden, eine andere, bei sich zu bleiben. In der Romantik ist das aber kein Problem: Niemand will die Blaue Blume wirklich finden. Die Sehnsucht soll aufrechterhalten bleiben. Stay hungry heißt das heute, zwischendurch immer wieder mal: Motivation."
Das war ein kleiner Teil eines Artikels aus brand eins. Am Ende steht: "Nach Diderot und d'Holbach sollte es den Menschen völlig genügen, 'ihr eigenes Glück in dieser Welt zu finden, der eigenen Umwelt so wenig wie möglich zu schaden und so viel Gutes wie möglich zu schaffen'.
Das ist nicht verrückt sondern ein menschliches Programm, das es verdient, immer wieder versucht zu werden.
Das ist es, was uns an den 'Mad Men' [eine Serie] so fasziniert. Sie geben ihre Suche nach dem Glück nicht auf. Sie sind nicht zufrieden. Sie wollen noch was. Das sollten wir auch. Und uns dabei an unseren Erfolgen statt an unseren Ängsten orientieren. Dann wären wir fast schon Optimisten. [...]"