Meine schönste Moment war mit meiner älteren Schwester (3 Jahre älter). Dieser Moment bedeutet mir heute noch sehr viel.
Als Kinder war es zwischen uns größtenteils harmonisch, aber als sie mitten in der Pubertät war (13-15 Jahre), und ich gerade auf der Schwelle von Kindheit und Jugend (10-12 Jahre), wurde unser Verhältnis auf einmal komplizierter. Wir hatten uns mehrmals täglich in den Haaren - und das meistens ohne Grund. Meine Schwester war damals ständig um mich herum und nutzte jede Gelegenheit um mich zu provozieren.
Man muss dazu erwähnen, dass ich in dem besagten Alter ziemlich klein war. Ich war der zweitkleinste in der Klasse, war der schlechteste in Sport, und machte mir damals große Sorgen ob ich noch wachsen würde oder so klein bleibe (ab 12/13 hatte ich dann einen Wachstumsschub und habe alles wieder aufgeholt, doch das ließ sich damals natürlich noch nicht absehen). Meine Schwester dagegen hatte da Glück, sie war schon immer groß für ihr Alter gewesen und mit 14 bereits ausgewachsen. So kam es dass ich ihr in dieser Zeit nur knapp bis zu den Schultern ging.
Also zog sie mich damals meist wegen meiner Größe auf. Das tat sie, indem sie mir ständig Spitznamen gab die darauf anspielen dass ich kleiner war als sie, und mich wie ein kleines Kind behandelte (also z.B. in Babysprache reden, Kopf tätscheln, in die Wange kneifen, Wangenküsse usw.). Das brachte mich natürlich auf die Palme, und die Kloppereien begannen.
Aber genauso haben wir auch Zeit verbracht, in der wir uns gut verstanden haben. Wir haben oft zusammen gespielt (für was sie ja "eigentlich" schon zu alt war), aus Spaß miteinander gerangelt, hatten gemalt und uns Geschichten ausgedacht (und dabei unsere Insider-Witze entwickelt), und fast jeden Abend waren wir beieinander im Bett gelegen und haben geredet. Natürlich mochte ich das damals gern - nur hätte ich es natürlich niemals zugegeben.
An einem Abend war ich bei ihr in ihrem Zimmer, standen nebeneinander und verglichen unsere Körpergröße. Ich beneidete sie mal wieder, und sie machte sich daraufhin in überheblichem Tonfall über mich lustig, ich schaute traurig zu Boden. Dann ist was ganz Unerwartetes passiert: Sie beugte sich auf meine Höhe, nahm mein Gesicht in beide Hände, sagte dass sie mich süß findet und gab mir einen Kuss auf den Mund.
Das hat sie vorher noch nie bei mir gemacht. In dem Moment wusste ich erstmal nicht wie ich reagieren sollte. Normalerweise mochte ich es nicht, wie ein kleines Kind behandelt zu werden, aber diesmal fühlte es sich so an, als ob sie mich gar nicht ärgern wollte, sondern dass es ernst gemeint ist und sie mir eine Freude machen wollte. Wir schauten uns nur wortlos an und sie lächelte. Was danach passiert ist, weiß ich nicht mehr.
So weit, so gut. Als meine Schwester 15 war, wechselte sie die Schule. Sie war dann nicht mehr ständig um mich herum, sondern verbrachte viel Zeit mit lernen um den Stoff nachzuholen. Kurze Zeit später fand sie in der neuen Klasse neue Freunde und veränderte sich total. Sie traf sich in der Freizeit öfters mit ihnen, und wenn sie zu Hause war, kam sie nicht aus ihrem Zimmer heraus und war beim chatten. Sie trug andere Klamotten, schminkte sich stark und verhielt sich ganz anders. Anfangs dachte ich darüber gar nicht nach, war erst über den vermehrten Abstand zu ihr sehr froh.
Nachdem meine Schwester mit 19 auszog, hatte ich zunächst so gut wie keinen Kontakt zu ihr.Aber irgendwann fing ich an mich zu fragen, wie es eigentlich so weit kommen konnte dass wir uns so fremd wurden. Sie kam mir vor wie ein ganz anderer Mensch. Erst als Erwachsene näherten wir uns wieder aneinander an, haben wieder Kontakt und mögen uns, aber ganz so eng wie früher ist es nicht mehr.
Ich denke heute noch gerne an diese Zeit und an diesen Moment zurück. Auch wenn sie oft anstrengend und ich von ihr genervt war, finde ich es im Nachhinein eigentlich total schön.