Ich wurde überhaupt nicht religiös sozialisiert und habe auch nicht auf andere Weise vermittelt bekommen, dass Sex etwas Schlechtes, Schmutziges, etc. sei.
Die meisten Menschen wollen, wenn schon nicht Sex zu dann mindestens aber romantische Liebe und knuddeln
Hier möchte ich Dich darauf hinweisen, dass Asexualität und Aromantik zwei verschiedene Dinge sind, die zusammentreffen können, aber es nicht müssen. Sprich es gibt durchaus asexuelle Menschen, die zwar Interesse an einer romantischen Beziehung, aber kein Interesse an sexueller Interaktion haben.
Zur Frage nach der Ursache haben andere schon geschrieben: Es gibt Asexualität einfach, das ist nicht die Folge eines Traumas oder einer sexualfeindlichen Erziehung.
Ich habe selbst lange gebraucht, um herauszufinden, dass ich asexuell bin. Als alle angefangen haben, sich für Jungs zu interessieren, hatte ich so gar keinen Bock drauf, trotzdem hatte ich irgendwann den ersten Freund als Teenie. Als der mich küssen wollte, hab ich zwar gedacht "Hilfe!" und gesagt bitte nur auf die Wange, aber da dachte ich halt noch: Hey, vielleicht bin ich ja ein Spätzünder.
Ich hatte sogar Beziehungen und ich hatte sogar Sex, nur hatte ich weder das Bedürfnis danach, noch habe ich ihn genossen, aber ich dachte mir halt: So macht man das nun mal, so läuft das im Leben, man hat eine Beziehung, man hat Sex. Vermutlich macht es mir nur keinen Spaß, weil mir die Erfahrung fehlt, der erste Sex ist ja eh selten toll. Beim Knutschen musste ich nach kurzer Zeit immer husten, aber irgendwie hab ich auch dieses Signal ignoriert und dachte, irgendwann wird das schon. Wurde es aber nicht. Tatsächlich war das Sexualleben in der Beziehung für mich immer ein Eiertanz: Wie lange kann ich ihn hinhalten, ohne dass er wegläuft, weil ich ihn nie ranlasse? Ich hab mich auch nicht getraut, offen zu sagen, dass mir das alles nicht gefällt.
Später, als ich erstmals von Asexualität gehört hatte und mich damit befasst habe, fand ich in einem Video eine sehr treffende Beschreibung dafür, wie sich Sex für mich anfühlt: Wie eine Untersuchung beim Frauenarzt. Es ist jetzt nicht ganz furchtbar schrecklich, aber halt auch nichts, von dem ich sage: Oh, toll, das will ich öfter. Nein, ich lasse das einmal im Jahr halt über mich ergehen, aus gesundheitlichen Gründen zwecks Vorsorge, und wenn die nicht wären, könnte ich gut und gerne ganz drauf verzichten. Ähnlich habe ich den Sex in Beziehungen halt über mich ergehen lassen, weil gehört dazu, und ich mochte die Menschen, mit denen ich zusammen war - als Mensch, aber nicht auf romantische Weise, das wurde mir aber auch erst später so richtig klar, denn auf mich trifft tatsächlich zu, dass ich zugleich auch kein Bedürfnis nach Beziehungen habe.
Warum habe ich sie trotzdem geführt, fragst Du nun vielleicht. Nun, einerseits, weil die Gesellschaft einem ja immer wieder zeigt, dass man das so macht. Anderseits hatte ich auch sehr lange kein Selbstbewusstsein und habe zudem leider von meiner Mutter das Muster übernommen, meinen Selbstwert davon abhängig zu machen, dass mich jemand will und ich nicht die bin, die keinen abbekommt.
Mein Beziehungsmuster war immer gleich: Es waren Menschen, zu denen vorher eine Freundschaft bestand. Irgendwann hat sich der andere Part verliebt und ich hatte zwar kein Bauchkribbeln und erst recht nicht das Bedürfnis, zu knutschen und schon gar nicht mehr, zugleich haben mich aber zwei Dinge dazu bewegt, eine Partnerschaft einzugehen: Einerseits war da die Angst, dass die Freundschaft zerbricht, wenn ich ihn abweise, und ich wollte den Menschen weiter in meinem Leben haben, andererseits habe ich mich glaube ich ein Stück weit in das Gefühl "verliebt", dass jemand mit mir zusammen sein will. Trotzdem wurde mir das alles schnell zu eng, es hat sich nicht richtig angefühlt, selbst dieses ganze "Händchen halten, kuscheln, wir sind jetzt zusammen" Ding nicht, und insgeheim hab ich mir eigentlich immer die Freundschaftsphase zurückgewünscht. Zugleich war in mir aber der Gedanke, dass ein Beziehungsende ein persönliches Versagen ist und mir eben doch wieder zeigt, dass ich nicht liebenswert bin.
Ich habe das später aufgearbeitet, an meinem Selbstbewusstsein gearbeitet, auch eine Therapie gemacht, aber nicht wegen meiner Asexualität, die kam da nicht mal zur Sprache. Als ich an dem Punkt war, an dem ich mich selbst lieben konnte und emotional nicht mehr auf die Bestätigung angewiesen war, dass mich jemand will, ist auch das Bedürfnis nach einer Beziehung gänzlich verschwunden. Auch eine Beziehung mit einem asexuellen Partner käme für mich nicht infrage. Das ist aber wie gesagt nur bei mir so, es gibt durchaus Asexuelle, die eine Beziehung führen möchten.
Die Asexualität war also immer da, nur konnte ich sie lange nicht einordnen.
Wenn Dich das Thema interessiert, kann ich Dir übrigens den Roman "Loveless" von Alice Oseman empfehlen. Nachdem ich es gelesen habe, dachte ich mir: Das ist das Buch, das ich mit 16 gebraucht hätte!