Lieber 16-Jähriger,
ich finde es sehr mutig von Dir, dass Du Dich mit Deinem Anliegen an dieses Forum hier wendest, in dem ich immer wieder erschrocken bin, wie unempathisch und verurteilend Menschen antworten, die eigentlich vertrauensvoll um Rat und Beistand gefragt wurden (und dann auch noch mit einem Anliegen, das ohnehin stigmatisiert und kriminalisiert, also als Verbrechen behandelt, oder pathologisiert, also als Störung oder Krankheit behandelt wird).
Du machst Dir sehr große Sorgen um Deine Mutter und fühlst Dich verantwortlich für das, was ihr widerfährt - das ist etwas ganz Normales und Liebes und zugleich verhängnisvoll. Denn was ist mit Dir? Machst Du Dir auch Sorgen oder Gedanken um Dich? z.B. Welche berechtigten Gründe und Motive es für Dein Handeln gibt? Was eigentlich Deine Bedürfnisse sind, was Du brauchst und was nicht? Und dass Du eigentlich ganz anderes bräuchtest, als Drohungen und Bedrohungen, noch weitere Belastungen, Strafen oder dergleichen?
Ich kenne einen jungen Mann, der heute Mitte 20 ist, der sich als 13-Jähriger der Schule verweigert hat. Als seine Eltern mit Bußgeldern bestraft wurden, schrieb er einen Brief an entsprechende Stellen und fragte, was das eigentlich solle, dass man seine Eltern dafür bestrafte, dass er für sich in Anspruch nahm, eigene Entscheidungen zu treffen!? Die Entscheidung, zu etwas Nein zu sagen! Sag: warum darf ein Mensch hier eigentlich nicht Nein sagen? Ist das eigentlich zu rechtfertigen? (Meiner Ansicht nach mit keiner einzigen Silbe!)
Matti (Kuhlmann) hat Dich in seinem Kommentar auf einen Link verwiesen: was der Unterschied zwischen einem Schulschwänzer und einem Freilerner ist. Hast Du's mal gelesen? Besser wär eigentlich zu fragen, was der Unterschied zwischen einem Schulschwänzer ist und einem Menschen, der Nein sagt! Der erste sagt eigentlich oder irgendwie Nein, hat aber ein schlechtes Gewissen, weil er denkt, dies sei falsch, das dürfe er nicht oder ähnliches. Das Schulschwänzerdasein ist ein unangenehmer Zustand - den ich Dir vollkommen zugestehe, aber nicht allzu lange wünsche. Denn dann kannst Du (und Deine Mutter) tatsächlich Opfer von blöden Maßnahmen werden.
Ich wage es mal, Dir zwei mögliche Wege zu zeigen (vielleicht gibt's noch mehr), zwischen denen Du grad gefangen bist (wie in einer Zwischenwelt):
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Unselbständig, unmündig und abhängig bleiben und tun, was man Dir vorschreibt, also: zur Schule gehen!
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Dein Leben und damit Deine Bildung (oder umgekehrt) selbst in die Hand nehmen, selbstbestimmt sein (was nicht einfach und bequem ist, 1. scheint erstmal bequemer), mündig sein ...
Mir fällt eine 3. ein: alles erstmal noch so lassen, denn Entscheidungen treffen braucht etwas Zeit und vor allem Informationen...
Für alle 3 Fälle will ich Dir wärmstens "Das Teenager Befreiungs Handbuch" ans Herz legen!
Ob 1. (zur Schule gehen) für Dich möglich ist und unter welchen Umständen es möglich wäre und was Du dafür brauchtest, solltest Du Dir überlegen und schauen, ob Du es bekommst. Wenn Du Dich dafür entscheidest, dann könnte Dein Auftrag an Menschen wie Deine Eltern, Lehrer, Schul- oder Jugendamtsmitarbeiter oder andere sein, Dir die notwendige Unterstützung zu geben.
Für 2. bräuchtest Du Menschen, die Dich beraten und begleiten. Du bräuchtest Mut. Und Du bräuchtest die Bereitschaft, das ein oder andere zu lesen. Dafür kann ich Dir ein paar Anlaufstellen und Tipps nennen:
Schau mal, ob Dich folgende Internetseiten ansprechen (alle bei Google zu finden, bei allen findest Du Ansprechpartner): "Freilerner-Solidargemeinschaft", "Septembertreffen", "Blog für Schüler", "Schulfrei-Festival".
Beim tologo-Verlag gibt's interessante Bücher. Aber das Buch ist "Das Teenager Befreiungs Handbuch"! (das Buch ist der Hammer, eine Fundgrube an allem, was ich in Deinem Alter mir gewünscht hätte!)
Vertrau Dir selbst und wende Dich an Menschen, die Dich ernst nehmen und unterstützen - und zwar so, dass DU es als Unterstützung erlebst (nicht so, weil sie denken, was gut für Dich ist und vielleicht ist es das nicht...). Zwang und Drohung und Strafe ist niemals gut für Dich (und für niemand anderen ebenfalls)! Alles wäre Gewalt: und Du hast ein Recht auf Freiheit von Gewalt und ein Recht auf die freie(!) Entfaltung Deiner Persönlichkeit (google mal "Allgemeines Persönlichkeitsrecht"). (Deine Mutter mit Anzeige zu bedrohen entspräche eigentlich dem Straftatbestand der Nötigung, Dich mit Polizei abzuholen dem des Kindesentzugs und der Freiheitsberaubung - aber in Bezug auf "Schule" wird offensichtlich so getan, als gelte dies alles dort nicht... wie lässt sich das eigentlich rechtfertigen? Eigentlich gar nicht!!).
Alles Gute für Dich! Franklin