Sollte ich mich besser fürs Seminar krank schreiben lassen?

1 Antwort

Ich kann voll gut verstehen, dass das super schwierig ist, mir gings auch immer ähnlich bei so gemeinsamem Wegfahren, und es ist ja wahrscheinlich schon eine riesige Herausforderung, überhaupt deinen gewohnten Alltag zu verlassen.

Ich denk, letztendlich kannst du nur selbst entscheiden, was du tust, aber ich werd mal versuchen, dir ein paar Erwägungen an Herz zu legen, vielleicht hilft ja was davon :)

Erst mal: Ich weiß nicht, in was für einem körperlichen Zustand du bist und ob du in ärztlicher/therapeutischer Behandlung bist. Wenn du denkst, dass du in einem akut gefährdeten Zustand bist, dann würde ich dir davon abraten, wegzufahren. Die Menschen dort sind kein medizinisches Fachpersonal und mit starkem Untergewicht wird es dir auch nicht möglich sein, dem Seminar zu folgen.

Aber sonst kann es eine tolle Möglichkeit sein und wenn du denkst, dass es dich grundsätzlich interessiert und du gerne fahren würdest, go for it!

Bezüglich Essen kann man natürlich nie genau vorhersehen, was es wann geben wird, aber wenn du Sicherheit willst, kannst du ja vorher nachfragen, was es dort so circa geben wird. Überleg dir am besten im Vorhinein, wie viel du mindestens bei jeder Mahlzeit essen solltest - also zB zum Frühstück MINDESTENS 2 Brote oder so, und lass dich davon nicht abbringen. Auch nicht, wenn die anderen es anders machen, und auch nicht, wenn du in dem Moment "keinen Hunger" hast. Idealerweise kannst du das vorher mit einer*m Ärzt*in oder Therapeut*in besprechen, die können dir ein paar Anhaltspunkte bezüglich Portionsgrößen geben.

Nochmal: Die anderen Menschen dort haben andere Bedürfnisse und andere Körper. Was und wie viel die essen hat absolut keinen Einfluss darauf, was und wie viel du essen solltest, um durch den Tag zu kommen. Wenn du jemanden dort gut kennst, und dich der Person anvertrauen kannst, dann kannst du auch darum bitten, dass sie dir rückmelden, wenn sie denken, du isst zu wenig, aber das hängt natürlich davon ab, wie sehr du diesen Leuten vertrauen kannst, und zwingen können sie dich sowieso zu nichts.

Mir hat es immer geholfen, einen "vorgegebenen" Essensplan wirklich als Minimum zu sehen. Alles, worauf ich spontan Lust hab, darf dazugegeben werden, aber das Minimum muss sein. Aber da ist natürlich auch jeder Mensch bisschen anders.

Wenn du dich gar nicht wohlfühlst mit dem Essen, was es dort gibt, kannst du dir auch für den Notfall eigene Sachen mitnehmen. Gerade, wenn deine Kolleg*innen wissen, dass du ein Thema mit dem Essen hast, werden sie das bestimmt verstehen.

Je nachdem, was du von den anderen Leuten dort möchtest und wie gut du mit ihnen sprechen kannst, kannst du ihnen auch einfach erklären, wie du gerne hättest, dass mit dir umgegangen wird. Ich hab oft erlebt, dass Freund*innen extrem verunsichert waren, wie sie auf mich reagieren sollen, und nicht wussten, ob und wie sie das Thema ansprechen sollen. Da kann es helfen, von sich aus offen zu sagen: "Ich weiß, dass ich abgenommen hab, und ich versteh, dass ihr euch Sorgen macht, aber bitte behandelt mich einfach so, wie jede andere Person auch." Oder "Ich bin mir sehr unsicher beim Thema Essen und hätte gerne, dass ihr mich während der Mahlzeiten ablenkt und wir über irgendwas anderes reden" oder "Ihr könnt mir gern sagen, wenn ihr findet, dass ich zu wenig esse - ich weiß das manchmal selbst nicht und bin froh über Feedback" oder was auch immer du gern hättest. Wie gesagt, die meisten sind froh über solche Anhaltspunkte und werden sich freuen, dir helfen zu können.

Was Schuldgefühle und negative Gedanken angeht: Denk mal darüber nach, was du in 10 Jahren für Erinnerungen an das Seminar haben willst. Willst du dich daran erinnern, was du an Tag 4 zum Frühstück gegessen hast, oder willst du dich an eine nette Zeit mit coolen Menschen erinnern? Überleg, dass das Essen, im "Big Picture" eigentlich super winzig ist und für dein Leben wahrscheinlich letztendlich kaum Auswirkungen haben wird - besonders, wenn es nur eine Woche ist.

Momente, die du in Gemeinschaft und mit anderen erlebt hast, bleiben dir ein Leben lang in Erinnerung und sind doch viel, viel schöner, als die kurzfristigen Schuldgefühle, die ganz sicher nicht ewig bleiben werden.

Was manchmal helfen kann, ist eine Liste zu schreiben mit all den Dingen, die du machen kannst, wenn du "gesund" bist - zB Hinausgehen ohne blöd angeschaut zu werden, zum Bus rennen ohne umzukippen, mit Freundinnen auf einen Kaffee gehen und spontan ein Stück Kuchen essen, und so weiter. Das können ganz kleine Dinge sein, aber vielleicht macht das sichtbar, wie viel schöner und flexibler das Leben dann ist. Und dann denk dir, dass all diese schönen Dinge es vielleicht wert sind, ein bisschen zuzunehmen (und in einer Woche wirst du nicht besonders viel zunehmen, selbst wenn du jeden Tag das ganze Nachspeisenbuffet plünderst :)).

Also wenn es dir möglich ist, sieh das Seminar als Chance, aus deinem Alltag auszubrechen. Hör auf, Kalorien zu zählen, und halte die negativen Gefühle aus, die das auslöst. Dann wirst du auch merken, dass absolut gat nichts Schlimmes passiert. Nutz die neuen, spontanen Situationen, um dir selbst Herausforderungen zu stellen. Und vielleicht bleibt ja was davon auch nachher noch hängen :)

Das ist natürlich alles leichter gesagt als getan, aber vielleicht hilft dir ja was davon, ich wünsche dir auf jeden Fall alles, alles Gute und du schaffst das!

Und in 10 Jahren kannst du dann hoffentlich zurückblickrn und dich an nette Abende am Lagerfeuer erinnern :)

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung