Wieso definieren sich so viele Leute über ihren Beruf?

16 Antworten

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Deine Frage lese ich dankbar - wundere mich darüber auch immer wieder. Die meisten Eltern, die ich beobachte, erzählen im ersten Satz über das Wohlbefinden ihrer Kinder, was welchen beruflichen Weg sie einschlugen, auch Menschen berichten von sich selbst zunächst in Positionen oder Funktionen in der Gesellschaft, die bezahlt werden. Dabei trifft die Berufswahl zunächst keine Aussage über den Charakter, das derzeitigen Befinden oder den Grad des Erfolgs/ der Glücklichkeit im Leben. Ein Physiker, kann gerade für den Nobelpreis nominiert sein (würde man sogleich erfahren) oder eine zwei jährige Haft abgesessen haben, kurz vor dem Freitod zu stehen. Emotionen und Einstellungen teilen jedoch wenige mit anderen Menschen, viele über-andere-Erzählende wissen über solche tatsächlich wichtigen Bewegungen im Leben der Betroffenen nicht Bescheid oder wollen anderen keinen Einblick in diese freigeben. Wenige Menschen übertragen den Beruf in die eigene Individualität, überhaupt: färben ihren Beruf mit eigenem Stil. In Hitchcocks Reisepass sollte ein Prüfender einer Anekdote zufolge die Berufsbezeichnung "Produzent" eingetragen finden, konnte damit nichts anfangen: "Was produzieren sie denn ?" - Hitchcock: "Gänsehaut". Aus dieser Antwort heraus reflektiert er seine Sicht der Wirkung seiner Werke, bis er eine Gesellschaftsanalyse und eigene Empfindungen liefert.

Der Beruf ist eine Möglichkeit für den Menschen, sich zu finden und Früchte in die Welt zu pflanzen - die bloße Bezeichnung ist nichtsaussagend; viele große Geister wechselten ihren Beruf episodisch oder waren beispielsweise zugleich Jurist, Denker, Schriftsteller, Propagandist, Schlosser und Hausmeister - sie definierten sich nicht über Berufe, sondern Gedanken. Viele wiederum wollten diesen Anstoß in ihrer Interpretation nicht nutzen und interepretieren sie wiederum am Erfolg ihrer Vorschläge, nicht diesen selbst.

Gretzel 
Fragesteller
 04.08.2011, 09:24

Vielen Dank für einen Einblick in deine Sichtweise!

Beruf als Möglichkeit sich "unsterblich" zu machen - das ist ein interessanter Gedanke, abseits des Dahinlebens als Futterbeschaffer u. -verwerter und Nachkommenzeuger.

LG Gretzel

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Wie du an den Antworten siehst definieren sich auch hier viele über ihre Berufstätigkeit.

Wenn ich einmal ganz Mathematisch an die Sache heran gehe, sehe ich das anders.

Und jetzt kann man sich streiten ob es hier, oder da einige Prozent mehr sind.

Die ersten 20 Lebensjahre (oder mehr, wenn man studiert) haben nichts mit dem Beruf zu tun. Wenn man dann das Rentenalter hinzufügt. kommt man schon auf 35 bis 40 Jahre die nichts mit dem Beruf zu tun haben.

Ein drittel des Jahres sind Wochenenden und Feiertage. Dazu kommen Urlaubstage und Krankentage, so wie andere Zeiten. Und schon ist man bei 50 % eines Jahres die nichts mit der Arbeit zu tun haben.

Das heist bei 48 Berufsjahren sind das 24 Jahre die mit dem Beruf verbunden sind.

Leute die sich über den Beruf definieren, haben also einen Zeitraum von 24 Jahren über den sie sich definieren. gegenüber einem Zeitraum von 50, oder mehr Jahren, der nichts mit dem Beruf zu tun hat.

Ich denke ein Problem ist für manche auch, das sie sich nicht maßgeblich über andere Dinge definieren können.

Wie würdest du denn antworten, wenn dich jemand fragt was du so tust. Da denkt man nun mal als erstes an das, was die meiste Zeit des Tages einnimmt. Wenn mich jemand fragen würde, wer ich bin, würde ich allerdings auch nicht mit meinem Beruf oder was auch immer antworten. Wobei mich das noch nie jemand gefragt hat :) Die meisten fragen ja "was machst du so". Man denkt halt die Leute wollen wissen was man beruflich so treibt. Es sei denn jemand fragt explizit "was machst du so in deiner Freizeit". Dann ist ja offensichtlich dass ich nicht von meinem Beruf/Studium/was-auch-immer erzähle. Ich denke es ist eine Frage WIE man jemanden etwas fragt. Vielleicht ist es aber auch die heutige Gesellschaft. Viele definieren sich nun mal über ihren Beruf und profilieren sich eben damit. Kommt halt drauf an in welchen Kreisen man verkehrt.

Gretzel 
Fragesteller
 03.08.2011, 12:43

Wie ich antworten würde? Ich habe da letzte Woche mal ein "Experiment" gemacht und mich bei einem Essen mit Kollegen/Freunden eines Kumpels als Hausfrau vorgestellt;-)! Die Männer waren übrigens relativ gelassen, aber das erschreckte Zusammenzucken der Frauen hättest du mal sehen sollen;-), hehe

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Ich kann Deine Denkweise total nachvollziehen!

Ich selbst bin auch der Meinung, dass der Beruf über einen Menschen nicht alles aussagt; das wäre sehr banal (und borniert gedacht!).

Es gibt in jedem Beruf "SOLCHE und SOLCHE!"

Ich meine, dass der Beruf schon einiges über einen Menschen aussagt, aber noch lange nicht das Wesentliche (das ist nämlich der Charakter!).

Es kommt nämlich gerade auf den Charakter an, den ein Mensch hat, unabhängig vom Beruf!

Außerdem finde ich es nicht "als die feine Art", bei jeder Gelegenheit seinen Beruf in den Vordergrund zu stellen (wenn man einen angesehenen hat!) und sich sozusagen über den Beruf zu definieren.

Eine "wahre Persönlichkeit" lässt nämlich nicht "ihren Beruf heraushängen" (das hat sie gar nicht nötig!), sondern sensible Menschen in der Umgebung werden schon von sich aus merken (aus den Gesprächsinhalten und den Charaktermerkmalen!), dass sie es mit "einer Persönlichkeit" zu tun haben (und nicht mit einem "selbstherrlichen und fantasielosen Angeber!").

Gretzel 
Fragesteller
 03.08.2011, 12:45

Da hast du mir aus der Seele gesprochen und für mich auf den Punkt gebracht! Danke dafür^^

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MichaelSelm  03.08.2011, 12:46

Ich kann dir nur Recht geben. Daher ein DH

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Deine Theorie ist absolut einleuchtend ung klar beschrieben - und ich habe mich erwischt meine eigene, ganz persönliche Denkweise ein wenig zu lockern - deinetwegen :-))

Der Beruf den man wählt (sofern man ihn freiwillig wählt) ist oft ein sehr großer Teil deines Lebens - mal so mindestens 40 Jahre! Klar manche ändern ihren Beruf komplett von Zahnarzt zu Anwalt oder so, aber im Grunde ist es eine Wahl.

Eine Wahl zwischen dem was du sein willst, was du sein kannst (welche Ziele du erreichst) und dem was du sein wirst. Und besonders im Beruf hast du oft (als beinahe einziger Bereich im Leben) die Möglichkeit wirklich selbst zu bestimmen wohin die Fahrt geht. Ich denke, dein Verhalten während einer ganzen Zeitspanne "Karierre" sagt durchaus sehr, sehr viel über dich und deine Persönlichkeit aus. Also kann man dem Thema "Hallo ich bin Arzt!" - grundsätzlich nicht gleich negativ gegenüber eingestellt sein, von wegen "ja toll du bist Arzt, aber WER bist du?" Ich denke es gibt Berufe die mehr über eine Person aussagen als ihre Freizeitaktivitäten. Und dann gibt es aber auch Berufe, liebe Gretzel, die mir persönlich nichts zu der Person sagen würden. Bei z.B. einem Versicherungsmenschen könnt ich mir keine großartig individuellen persönlichen Eigenschaften vorstellen - den Menschen müsste ich wirklich über seinen Freizeitanteil definieren.

Ein Mensch, der aber z.B. Polizist ist - ein Job für den man mehr als ein bisschen Herzblut braucht - dem würde ich ganz schnell Werte wie "Gerechtigkeitssinn, Mut, Risikobereitschaft, Beschützerinstinkt (?!)" zurechnen. So als Pauschale sozusagen ;-) Ob ich dann mit meiner Grobdefinition richtigliegen würden - das weiß man natürlich nicht.

Fakt ist, ich interessiere mich auch immer sehr dafür was ein Mensch "macht" - also mit welchen Tätigkeiten er denn die 40 Jahre arbeitsleben rumbekommt - und ob er es denn gerne macht. Denn darüber bastel ich mir auch immer ein grobes (Betonung: oberflächlich, grob) Bild über ihn.

Wo ich dir Recht gebe: Ein Mensch ist trotzalledem immer noch soviel mehr als nur sein Beruf. Denn da gibt es ja noch die Familie, Freunde, Liebesleben, Hobbies und Träume, die einen Menschen formen und zu dem machen was er letztlich ist.

Vielen Dank für so eine interessante Frage,

Liebe Grüße Amy

Gretzel 
Fragesteller
 04.08.2011, 09:29

Lieben Dank für deine Antwort! Und ja - ich kann deinem Ansatz gut folgen, dass die Berufswahl ganz klar etwas über persönliche Eigenschaften aussagen kann oder das Bild einer Person abrunden.

So langsam verstehe ich unser Streben danach etwas Bedeutendes zu schaffen, aus der Menge heraus zu stechen.

LG Gretzel

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