Wie ist die genannte These Kants zu verstehen?

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Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1. Auflage 1781; 2. Auflage 1787). I. Transzendentale Elementarlehre. Zweiter Teil. Die transzendentale Logik. Zweite Abteilung. Die transszendentale Dialektik. Zweites Buch. Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft. Drittes Hauptstück. Das Ideal der reinen Vernunft. Vierter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes. AA III, 401/B 626:

„ S e i n  ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was

zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position

eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst.“

Diese Aussage steht im Zusammenhang mit einer Kritik versuchter ontologischer Gottesbeweise, weil diese das Dasein Gottes aus einem Begriff von Gott (als vollkommenes Wesen  oder ein ähnliches Begriffsverständnis) ableiten wollen, indem Sein (Dasein/Existenz) als ein Prädikat mit einer begrifflichen inhaltlichen Bestimmung verstanden wird und eine tatsächliche Nicht-Existenz als mit dem Begriff von Gott unvereinbar gilt. Dagegen richtet Kant den Einwand, mit einer Existenzaussage (ein bloßes „ist“) dem Begriff kein neues Prädikat hinzuzusetzen:

„Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehöret) zusammen, und sage:  G o t t  i s t , oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten, und zwar den  G e g e n s t a n d  in Beziehung auf meinen  B e g r i f f . Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche.“

Aus der angegebenen Stelle ergibt sich keine These Kants, dass Existenz nur in Bezug auf ein Prädikat, nicht in Bezug auf einen Nominator (Subjekt, Eigennamen) ausgesagt werden kann.

Kant unterscheidet in diesem Abschnitt von einem realen Prädikat (Bestimmung) ein logisches Prädikat (AA III, 400 - 401/B 626):

„Ich würde zwar hoffen, diese grüblerische Argutation, ohne allen Umschweif, durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz zu nichte zu machen, wenn ich nicht gefunden hätte, daß die Illusion, in Verwechselung eines logischen Prädikats mit einem realen (d.i. der Bestimmung eines Dinges), beinahe alle Belehrung ausschlage. Zum  l o g i s c h e n  Prädikate kann alles dienen, was man will, so gar das Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden; denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte. Aber die  B e s t i m m u n g  ist ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein.“

Ein Prädikat ist das, was ausgesagt wird. Mit dem Prädikat wird dem Subjekt (das, worüber etwas ausgesagt wird; ein Subjekt ist dabei Satzgegenstand; nach diesem Satzteil kann mit „Wer?“ oder „Was“ gefragt werden) etwas zugesprochen bzw. bei einer Verneinung abgesprochen, z. B. eine Eigenschaft/ein Merkmal.

Kant hält Existenzialsätze (Aussagen mit einem Urteil über Existenz) für synthetisch.

Das Begriffspaar analytisch - synthetisch bei Immanuel Kant bezieht sich auf die Frage, woran sich die Wahrheit eines Urteils entscheidet.

Analytische Urteile sind solche, bei denen das Prädikat schon im Begriff des Subjekts steckt/enthalten ist und durch bloße Zergliederung (Analyse) aus ihm gewonnen werden kann (Erläuterungsurteile).

Die Wahrheit solcher Sätze gilt – unter Verwendung der sprachlichen Bedeutungsregeln – allein mit Hilfe logischer Gesetze.

Synthetische Urteile sind solche, bei denen das Prädikat dem Begriff des Subjekts etwas hinzufügt und damit Wissen erweitert (Erweiterungsurteile).

Nach Auffassung von Kant sind ist bei synthetischen Urteile die Wahrheit nicht über eine Zergliederung der in ihnen enthaltenen Begriffe, sondern nur über ein Zusammenspiel von Begriff und Anschauung einleuchtend.

Mit „Sein ist offenbar kein reales Prädikat“ meint Kant: Die Aussage über das Dasein/die Existenz (ein faktisches „ist“) fügt dem Begriff irgendeines Dings/Gegenstandes keine inhaltliche Bestimmung hinzu.

Die Aussagen „Ich bin“ (lateinisch: ego sum) und „Ich existiere“ (lateinisch: ego existo) bei René Descartes erheben nicht den Anspruch, den Begriff des Ichs inhaltlich zu bestimmen. Dasein/Existenz sind in ihnen also nicht das, was Kant als reale Prädikate bezeichnet.