Wie genau sind Fossilien?

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Fossilien sind die versteinerten Überreste von Lebewesen. Sie entstehen, wenn abgestorbenes organisches Material unter Ausschluss von Sauerstoff vor der Zersetzung durch Mikroben geschützt und rasch mit Sediment bedeckt wird. Nach und nach übt die Sedimentschicht einen hohen Druck aus. Mineralien lösen sich durch chemische Reaktionen, dringen in das organische Material ein und ersetzen dieses schließlich. Dieser Prozess wird als Mineralisation oder Fossilisation bezeichnet. Schlussendlich wird die gesamte organische Substanz durch anorganisches Gesteinsmaterial ersetzt und es entsteht ein Fossil, das eingebettet ist im umgebenden Gestein.
Die besten Aussichten auf eine Erhaltung als Fossil haben Gewebe oder Substanzen, die von Natur aus einen hohen Anteil anorganischer Substanz haben und damit von Mikroorganismen nur langsam abgebaut werden und auch den hohen Drücken während der Fossilisation am ehesten standhalten, also z. B. Knochen oder hartschalige Gehäuse aus Kalk oder auch die Schalen von Muscheln, Brachiopoden usw.

Die Rekonstruktion eines Lebewesens allein anhand der Fossilien ist sehr schwer. Vieles beruht tatsächlich auf Spekulation, weil Weichteile nur selten erhalten bleiben. Zweifelsohne würden beispielsweise Überreste heutiger Lebewesen von Paläontologen der Zukunft auch völlig anders rekonstruiert werden. Wer käme z. B. allein beim Betrachten des Schädels eines Tapirs auf die Idee, dass ein Tapir einen Rüssel besitzt? Künstlerische Darstellungen ausgestorbener Lebewesen spiegeln deshalb zu großen Teilen immer auch die Vorstellungen des Künstlers wider und reflektieren den Zeitgeist. Vergleicht man beispielsweise Darstellungen von Dinosauriern aus dem viktorianischen Zeitalter mit modernen Rekonstruktionen, fällt es sehr schwer zu glauben, dass die Künstler beider Epochen tatsächlich ein- und dieselben Tiere dargestellt haben. Die heutigen Darstellungen kommen dabei der Wirklichkeit gewiss viel näher als die früheren. Dies haben wir dem Umstand zu verdanken, dass die Paläontologie eine rege Forschungsdisziplin ist und gerade in der jüngeren Zeit viele neue Erkenntnisse hinzugewinnen konnte, die unser Bild über die vergangenen Lebensformen präzisieren konnten. Dennoch bleibt auch bei den zeitgenössischen Illustrationen vieles nach wie vor der Fantasie der Künstler überlassen, etwa die Farbgebung.

Was kann man nun aber aus den Knochen herauslesen? Wenn du einen z. B. einen Oberschenkelknochen betrachtest, dann fällt dir sicher auf, dass diese rnicht vollkommen glatt und ebenmäßig ist wie ein einfaches Rohr. Tatsächlich gibt es auf der Oberfläche leicht raue Strukturen, verschiedene Höcker (Tuber) und Höckerchen (Tuberkel) und Vorsprünge (Processus). Andere Knochen wie z. B. das Schulterblatt weisen bestimmte Knochenkämme auf. All diese Strukturen dienen als Ursprung bzw. als Ansatz für die Muskeln und Sehnen. Dort, wo etwa der Knochen aufgeraut ist, setzen für gewöhnlich die Sehnen am Knochen an. Anhand dieser Knochenstrukturen kann man also recht genau rekonstruieren, welche Muskeln wo und wie beim lebenden Tier verlaufen sein müssen. Man kann dem Tier so Schritt frür Schritt eine Körperform geben. Hilfreich ist dabei das vergleichende Studium der Anatomie heutiger Lebewesen. Da Dinosaurier und Vögel eng miteinander verwandt sind, tatsächlich sind Vögel sogar Dinosaurier, kann man beispielsweise aus der Anatomie heutiger Vögel sehr viel auf das Aussehen der Dinosaurier ableiten.

In einigen seltenen Fällen bleiben auch Weichteile und Konturen in Form von Abdrücken erhalten. Wir wissen heute etwa sehr genau, dass die meisten Dinosaurier ein Federkleid besaßen. Möglich machen das die Funde verschiedener Dinosaurierfossilien v. a. aus China, bei denen die Federn deutlich als Abdruck erhalten geblieben sind. Am bekanntesten sind natürlich hier die fabelhaft erhaltenen Abdrücke von Federn beim Urvogel Archaeopteryx. Insbesondere das weltbekannte "Berliner Exemplar" zählt sicher zu den schönsten Fossilien, die je entdeckt wurden. Aber auch die Knochen können uns etliches über die Befiederung der Dinosaurier verraten. Vom Velociraptor beispielsweise wissen wir, dass er Federn besessen haben muss, obwohl man bislang noch keine Federabdrücke bei dieser Gattung entdeckt hat. Man hat aber auf den Armknochen von Velociraptor winzige Löcher entdeckt, die darauf hindeuten, dass sich dort einst Federkiele befunden haben. Inzwischen hat man eine Vielzahl unterschiedlichster Federtypen bei Dinosauriern nachweisen können, von sehr einfachen Hornfäden (Protofedern) über daunenartige Federn bis hin zu den uns von "unseren" Vögeln wohlvertrauten Konturfedern. Bei einigen Entenschnabeldinosauriern hat man auch Hautabdrücke gefunden, die recht ähnlich dem Schuppenmuster sind, das man z. B. heute noch an den Füßen der Vögel entdecken kann.
Man konnte mittlerweise bei einigen Arten sogar die Färbung rekonstruieren, indem man aus den Federabdrücken Reste von Farbpigmenten rekonstruieren konnte. Vom Archaeopteryx weiß man, dass er wohl schwarze Federn besaß, die ähnlich wie die Federn vieler Rabenvögel leicht irisierend waren. Und bei der Gattung Anchiornis, einer kleinen Raubdionosauriergattung aus Asien, konnte rekonstruiert werden, dass das Grundgefieder grau war. Die Flügelfedern waren wohl weiß gefärbt und schwarz gebändert. Auf dem Kopf hatten die Tiere eine rote Federkrone.

Dennoch bleiben die Rekonstruktionen stets Näherungen. Selbst heute noch basiert vieles in den Darstellungen auf Annahmen, Vermutungen und (wohlbegründeten) Spekulationen. Beispielsweise weiß man bis heute noch nicht endgültig, wie denn die auffälligen Knochenaufsätze von Stegosaurus auf dem Rücken angeordnet waren: waren sie in zwei Reihen parallel zueinander angeordnet oder leicht versetzt zueinander? Ragten aus dem Rücken von Spinosaurus einfach nur riesige Knochendornen oder spannte sich zwischen diesen ein häutiges Segel? Zukünftige Forschung wird bei manchen dieser Fragestellungen gewiss Licht ins Dunkel bringen. Die Antworten auf manche Fragen werden aber wohl immer im Verborgenen bleiben.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
DiegoderAeltere  28.07.2020, 16:54

Eine gute Antwort, aber in einem Punkt muss ich dir widersprechen: Dem Schädel des Tapirs sieht man sehr wohl an, dass er einen Rüssel trägt, u.a. am reduzierten Nasale und den riesigen Nasenöffnungen. Genau die gleichen Anpassungen kann man auch am Skelett von Elefanten betrachten, darum nutzt man sie auch als Indikator zur Beantwortung der Frage, ob z.B. fossile Verwandte der Elefanten oder andere Säugetiere einen Rüssel hatten.

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Darwinist  28.07.2020, 17:59
@DiegoderAeltere

Danke für deine Ausführung! Das ist natürlich richtig, ich habe mich zugegeben auch sehr ungenau ausgedrückt. Was ich meine: man kann erkennen, dass Tiere einen Rüssel haben. Wie lang dieser Rüssel aber ist, kann man daraus nicht unbedingt schließen.

Man nimmt z. B. für Macrauchenia, einen Vertreter der südamerikanischen Huftierem, einen Rüssel an. Aber wie lang war er? War er so lang wie bei einem Elefanten? Oder eher kürzer wie bei einem Tapir oder einer Saiga-Antilope? Und wozu diente er? War er ein Greifwerkzeug, diente er womöglich als Klimaanlage? Diese Dinge kann man mit Gewissheit nur bestätigen, wenn Weichteilgewebe des Rüssels erhalten bleibt, wenngleich man durch die Position der Nasenlöcher einige Vermutungen darüber anstellen kann.

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Paläontologen sind ja auch nicht ganz doof. Man hatte über Jahrhunderte Zeit, bei der Rekonstruktion von ausgestorbenen Tieren dazuzulernen, und es ist allgemein bekannt, dass mehr dazugehört, als einfach Haut über ein Skelett zu spannen. Das arme rekonstruierte Nilpferd könnte beispielsweise seinen Kiefer weder öffnen noch schließen, weil absolut kein Platz für die entsprechende Muskulatur wäre.

Die Backenzähne des Nilpferds verraten außerdem eindeutig, dass es sich um einen Pflanzenfresser handelt, da liegt dann auch der Schluss nahe, dass die großen Eck- und Schneidezähne eher für Rivalenkämpfe gedient haben und nicht für die Nahrungsaufnahme, also würde man auch direkt vermuten, dass das Tier bewegliche Lippen hatte, um überhaupt Pflanzen abrupfen zu können, und die Muskeln, die die Lippen bewegen, müssen auch irgendwo untergebracht werden.

Wir können außerdem aus phylogenetischen Stammbäumen Rückschlüsse ziehen auf die Muskelausstattung von ausgestorbenen Tieren. Welche Muskeln z.B. bei Dinosauriern vorhanden waren, lässt sich größtenteils schon sagen, wenn man ihre direkten Nachfahren, die Vögel, ihre nächsten Verwandten, die Krokodile, und entfernte Verwandte wie Echsen und Schildkröten betrachtet, ohne einmal ein Fossil in die Hand nehmen zu müssen.

Probleme bei der Rekonstruktion betreffen vor allem fossile Arten ohne lebende Verwandte, z.B. die vielen seltsamen Arten aus dem Kambrium, die teilweise gar keinem heutigen Tierstamm zugeordnet werden können.