Wer kann die Inschrift eines alten Grabsteins übersetzen?

Alte Inschrift - (Geschichte, Latein, Antike)

5 Antworten

Vielen Dank für diese umfangreiche Antwort. Leider bin ich auch kein Experte in Epigraphik, ich kann mir also die sonderliche Stellung von dem "di" und dem "ESX" auch nicht erklären, aber vielleicht war das zu dieser Zeit auch ganz normal. Ich bin jetzt zum ersten Mal mit solchen Inschriften und Latein konfrontiert worden, deshalb tue ich mich auch ein wenig schwer. Das du dir solche Mühe gegeben hast und auch die Kasus so beleuchtet hast, finde ich klasse. Das hat mir schon viel weiter geholfen! Auf die Idee mit dem Weinstock bin ich auch schon gekommen, der sieht wirklich viel besser aus als die Schrift. Vielleicht weiß ja noch jemand weshalb das "S" spiegelverkehrt geschrieben ist, ich bin gespannt. PS: Nein, den Stein habe ich nicht in meinem Keller, ich hab ihn auch nur auf Papier ;).

So, ich bin schon etwas weiter gekommen. Nach ewiger Recherche weiß ich nun wenigstens, was auf dem Grabstein steht. Vielleicht kann mir ja jemand bei der Übersetzung helfen:

Dis Manibus sacrum Serbus vixit annis LXXV diebus X

Wie gesagt, ich hatte noch nie Latein, heißt das soviel wie:

Den Totengöttern geweiht

Rupilius Serbus er lebte 75 Jahre und 10 Tage. 

Ist das so in etwa richtig? Oder kann man das noch ordentlicher übersetzen? Danke schonmal!

Schade, dass keine weiteren Informationen zum Stein zur Verfügung stehen.

Es handelt sich wohl um eine Grabinschrift bzw. einen Gedenkstein. Wenn man sich den Stein ansieht, dann sieht man eine wenig akkurate, auch schriftlich unsichere (verschiedene S-Formen) und unbeholfene Inschrift. Wer auch immer die Grabschrift gesetzt hat: er war in der damaligen Zeit nicht arm, aber auch nicht reich, denn die Inschrift ist nicht sehr umfangreich. Der Steinmetz hatte mit Inschriften offenbar wenig Erfahrungen. Ob er überhaupt Latein konnte, darf hinterfragt werden. Wenn Serbus = servus, wenn man sieht, dass der Steinmetz innerhalb zusammengehöriger Worte Lücken lässt (serbus; annis) oder nicht Zusammengehörendes verbindet (Zahlzeichen L mit A von annis), dann vermute ich, dass er überhaupt kein Latein konnte und nach Gefühl gemeißelt hat.

Interessant ist aber, dass die Inschrift durch ein Bild ergänzt wird. Zu sehen ist ein Gefäß, aus dem sich Weinranken mit Weinreben ausbreiten. Symbolisch gedeutet, könnte es sich um die christliche Vorstellung von Jesus als "Weinstock" und seinen Jüngern als "Reben" handeln. In christlichen Zusammenhängen kann die Weinrebe auch als Lebensbaum gedeutet werden.

Es wäre interessant zu wissen, wo die Inschrift gefunden wurde und unter welchen Fundumständen. So lässt sich nur mit aller Vorsicht sagen: die unbeholfene, dennoch lateinische Inschrift und der bildliche Hinweis weisen darauf hin, dass der Stein der Übergangsphase von Spätantike und Frühmittelalter zugeordnet werden kann. Vermutlich ist er ein provinzialrömischer Fund, der auf eine christliche Bevölkerung verweist, die noch römisch ist oder nichtrömisch ist, aber römische Sitten übernimmt, besser: nachahmt, ohne sie korrekt zu verstehen.

Ich lese folgende Inschrift - leider ist das Photo sehr pixelig, die Steinoberfläche und auch die Buchstaben sind nicht ganz klar zu erkennen:

D(is) M(anibus) S(acrum)

(?) RUPILLUS S

E  RBUS VI

X(it) LA (?) NIS

XXV DI(ebus)

F(ecit)  S(acerdos)  X(risti)

Übersetzung:

Den Seelen der Verstorbenen heilig

(?) Rupillus Serbus (oder verschrieben für servus = Sklave)

lebte 50 Jahre

25 Tage

Der Gemeindepriester Christi ließ (diesen Stein) anfertigen.


Es war nicht ungewöhnlich, dass die christliche Gemeinde, hier stellvertretend der Gemeindepriester, für ein verstorbenes Gemeindemitglied einen Gedenkstein aufstellen ließ. Ob der Verstorbene "servus", ein Sklave war oder doch "Serbus" hieß und sich vielleicht um die Gemeinde verdient gemacht hat, darüber lässt sich ohne zusätzliche Kenntnisse leider nur rätseln.

MfG

Arnold



Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.
wavebp 
Fragesteller
 12.06.2017, 20:43

Vielen, vielen Dank für diese Antwort. Ich bin begeistert was du dort alles herauslesen kannst. Höchst interessant! Auch deine Interpretation mit dem Weinstock hört sich schlüssig an, da wäre ich so schnell nicht selbst drauf gekommen. Ich habe selbst auch noch weiter recherchiert und bin in einer Datenbank fündig geworden. Die Inschrift stammt aus Tunesien. Laut der Datenbank ist die Zahl aber LXXV, das wäre doch aber ein extrem hohes Alter für die damalige Zeit, oder? Da hört sich 50 Jahre und 25 Tage wahrscheinlicher an. Aber sieh selbst: 

http://db.edcs.eu/epigr/edcs_id.php?s_sprache=en&p_edcs_id=EDCS-12500001

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ArnoldBentheim  12.06.2017, 21:05
@wavebp

Hochinteressant! Offenbar hat der Herausgeber der Inschrift nicht genau hingesehen! Das L=50 steht eindeutig vor A(N)NIS! Die letzten drei Buchstaben (FSX) hat er auch nicht aufgeführt, sondern komplett unterschlagen. Ein Mann im Alter von 50 entspricht einer durchschnittlichen Lebenserwartung, wobei ein hohes Alter von 75 Jahren grundsätzlich vorkam.

Interessant ist die Herkunft: Africa proconsularis. Wie ich vermutete, eine provinzialrömische Inschrift aus einer christianisierten Provinz. Ich schätze mal, dass sie aus der Zeit der Vandalenherrschaft, vielleicht einer späteren Zeit im 6. Jahrhundert stammt, als die Zugehörigkeit zum byzantinischen Reich das Lateinische allmählich verdrängte - oder der Steinmetz war eben Grieche mit oberflächlichen Lateinkenntnissen.

Ich glaube, ich bin auf der richtigen Spur.  :-)

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Hi,

die Epigraphik ist auch nicht mein Fachgebiet - ich habe nur von Latein Ahnung, aber das sieht erstmal ganz gut aus.

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DM = Dis Manibus = Für die göttlichen Seelen der Ahnen (eine Widmung)

Das S kann ich auch nicht ganz erklären. Wenn es "sacer" heißen soll, müsste es dann "sacris" sein: Für die heiligen göttlichen Seelen der Ahnen. Könnte sein. Ergibt Sinn.

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Bei "annis" fehlt ein "n". Vielleicht wurde das "A" da regional lang gesprochen. Das Wort soll aus dem gotischen "athn" kommen. Das könnte möglich sein. Vielleicht war der Autor auch ein orthographischer Anfänger. :) Ist ja eine ziemlich krakelige Schrift. 

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Was mich mehr verwundert, ist, dass "dies" im Akkusativ (der zeitlichen Ausdehnung) steht - also 10 Tage lang. Aber "annis" steht nicht im Akkusativ. Das müsste "annos" heißen.

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Bei vixit kann ich auf dem Foto kein "t" erkennen. Demnach müsste es "vixi" heißen - also "ich". 

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Für die heiligen göttlichen Seelen (meiner) Ahnen
Ich, Rupilius Serbus, lebte 75 Jahre und 10 Tage.

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Das Einzige, was mich neben "annis / annos" noch irritiert, aber vielleicht bist du da ja Experte, ist die ulkige Stellung der letzten drei Buchstaben:

Also warum ist das "dies X" so albern geschrieben? Erst das "di" in eine Zeile quetschen und dann das "E S X" auf eine komplette Zeile darunter. Vielleicht bin ich auch nur zu sehr mit dem heutigen Druckbild vertraut...
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LG
MCX


PS: Den Weinstock hat er ja ganz gut hinbekommen. Vielleicht ist das ein versteckter Hinweis, dass der Herr Rupilius es mit der Nüchternheit nicht so genau genommen hat. Das könnte auch den "annis/annos-Fehler" erklären :) :) :)

Miraculix84  12.06.2017, 13:21

Annis könnte auch ein Ablativus respectus sein:

Ich, RS, lebte in Bezug auf die Jahre 75 und 10 Tage lang.

Das ist jetzt aber schon recht tief in die gramm. Trickkiste gegriffen. Gefällt mir auch nicht so ganz, aber noch habe ich keine bessere Erklärung für den Kasus-Wechsel gefunden.

LG
MCX

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PS: Wo hast du den Grabstein denn gefunden? Steht der bei dir im Keller? :)

LG
MCX