Welche Völker schreiben eine andere Sprache als sie sprechen?

SombreroNegro  23.06.2023, 16:50

Du meinst, sie sprechen und schreiben Arabisch, aber nutzen aramäische Schriftzeichen?

rr1957 
Fragesteller
 23.06.2023, 16:58

nein, sie sprechen arabisch aber schreiben mit aramäischen Schriftzeichen aramäischen Text, zum Schreiben muss man immer die andere Sprache verwenden deren Schrift man kennt.

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Mongolisch könnte so ein Fall sein. Als die Mongolen im 13. Jahrhundert feststellten, dass man ein Reich zwar vom Rücken eines Pferdes aus gut erobern, aber nur sehr schlecht regieren kann, hat Dschinghis Cha Chan festgelegt, dass die Uigurische Schrift für alle amtlichen Dokumente ihres Reiches verwendet werden soll. Heute wird Mongolisch mit russisch-kyrillischem Alphabet geschrieben.

rr1957 
Fragesteller
 24.06.2023, 09:57

Haben die Mongolen dann mit uigurischer Schrift mongolischen Text geschrieben, oder mit uigurischer Schrift auch nur in uigurischer Sprache ?

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Janaki  24.06.2023, 10:08
@rr1957

Soweit ich mich an das, was ich vor Jahren mal gelesen habe, noch erinnern kann, Ersteres.

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Wir schreiben unser Deutsch mit lateinischen Buchstaben. :)

Ich denke mal, dass es weltweit viel weniger Schriftsysteme als Sprachen gibt. Insofern ist es ziemlich normal, dass man ein Schriftsystem nutzt, das mal für eine andere Sprache entwickelt wurde.

Afrikanische Schriften werden praktisch gar nicht mehr benutzt (es gab mal ein paar), fast ganz Afrika südlich der Sahara nutzt die lateinische Schrift, im Norden die arabische Schrift, und es gibt einige Berber, die eine Berberschrift benutzen.

Ich denke, dass früher Aramäisch und die aramäische Schrift weit verbreitet waren (viel weiter als heute, es gibt nur noch verstreute Stellen, an denen noch Aramäisch gesprochen wird). Und Arabisch ist so ähnlich, dass man die aramäische Schrift vermutlich auch prima dafür nutzen konnte.

Araber haben auch nicht immer so geschrieben wie heute, die alte arabische Schrift sah ganz anders aus. Es dauerte sicher eine ganze Weile, bis sich die "neue" arabische Schrift im ganzen Sprachraum ausbreiten konnte. Und die Nabatäer waren aus arabischer Sicht ziemlich weit im Norden.

rr1957 
Fragesteller
 24.06.2023, 13:55

Nochmal: es geht hier nicht darum, ob man arabisch mit aramäischer Schrift schreiben kann - es geht darum, dass man von den Nabatäern NUR Inschriften in aramäischer Schrift und aramäischer Sprache gefunden hat, aber trotzdem überall angegeben wird, dass die Nabatäer im Alltag arabisch gesprochen hätten.

Mir erscheint diese These nicht glaubhaft, und darum frage ich hier, ob so was auch woanders vorkommt (also dass ein Volk immer in einer anderen Sprache schreibt als es spricht).

(Ist der Vatikan ein Beispiel? Schreibt man dort immer lateinisch, auch wenn man untereinander italienisch spricht ???)

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mulan2255  13.07.2023, 01:21

Arabische Schrift findet man neben lateinischer oder auch anderer Schrift (z.B. Vai, N‘ko, Adlam) auch in einer Reihe von Sprachen südlich der Sahara, wie in Haussa, Wolof, Tem (Kotokoli) und anderen. Vergiss Äthiopien nicht. Da werden einige Sprache mit erweiterten Geez-Silbenzeichen geschrieben.

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Ja. Englisch.

Aramäisch und Arabisch sind nicht weit auseinander. Viele Wörter sind komplett identisch, manche sind wie Varianten voneinander, kaum verschiedener als Deutsch und Niederländisch. Man kann die durchaus auch als Dialekte derselben Sprache verstehen, zumal wenn sie nicht mit Jahrhunderten Abstand verglichen werden, sondern zum gleichen Zeitpunkt.

Wenn man das heutige gesprochene Arabisch z.B. mit Hebräisch vergleicht, sind die Unterschiede gross genug, um es nicht ohne Wörterbuch zu verstehen. Vergleicht man aber Hebräisch (das ja erst vor ca. 80 Jahren wiedererweckt wurde) mit Hocharabisch, das eine Kunstsprache aus dem 7. Jahrhunder (Koranschreibung) ist, sind die Unterschiede gering genug, dass die Sprecher der anderen Sprache es zu grossen Teilen ohne Wörterbuch verstehen können. Und dieses intuitive Verständnis definiert ja sprachwissenschaftlich Dialekte und unterscheidet sie von Sprachen.

Zurück zum Niederländischen. Welches letztere übrigens bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Schriftsprache viele veraltete Schreibweisen und grammatikalische Regeln (z.B. ein Kasussystem) verwendete, die in der mündlichen Sprache verschwunden waren. Die Schriftsprache entsprach im Grossen und Ganzen der benachbarten deutschen Sprache, die mündliche hatte sich davon weit entfernt.

Man kann sich auch fragen, ob das gesprochene und geschriebene Englisch angesichts der extremen Abweichung von gesprochener Sprache und deren völlig chaotischer Verschriftlichung noch dieselbe Sprache sind. Schliesslich wurden die Schreibweisen auf einer Sprachentwicklungsstufe festgelegt, die man heute Mittelenglisch nennt und die ungeschulte heutige Sprecher gar nicht mehr verstehen. Damals ergab sie Sinn, weil sie der damaligen Sprechpraxis entsprach. Heute erscheinen sie willkürlich und chaotisch, weil man aus Regeln nicht die Aussprache geschriebener Worte erschliessen kann.

Bei solchen Abweichungen von gesprochener und geschriebener Sprache, zwischen denen fünf oder mehr Jahrhunderte liegen, kann man m.E. durchaus ebenso von zwei verschiedenen Sprachen sprechen, da die resultierenden Unterschiede kaum kleiner sind als die zwischen Aramäisch, Hebräisch und Arabisch zur quasi gleichen Zeit.

Die Definition von verschiedenen Sprachen ist zu grossen Teilen willkürlich, weil die Definition ja auf individuelles Verstehen-Können abhebt, was natürlich individuell enorm variieren kann. Da spielen auch Faktoren wie der Umfang des eigenen Wortschatzes hinein oder die allgemeine Intelligenz. Wenn man als Bildungsferner 5.000 Wörter beherrscht, hat man ganz andere Möglichkeiten als ein gebildeter Mensch, der 30.000 Wörter kennt, darunter auch viele "veraltete" Wortformen. Denn gerade diese veralteten Wörter öffnen das Verständnis der anderen Sprache, die aus dem gemeinsamen Urwortschatz allgemein ein anderes Wort verwendet.

Oder konkreter: die gemeinsame Ursprache hat für eine Sache Wort A und Wort B. Sprache A verwendet allgemein üblich Wort A, Sprache B verwendet Wort B. Aber Sprache A hat sehr wohl auch Wort B, nur das es in ihr als "veraltet" gilt. Während Sprache B auch Wort "A" hat, nur das es dort als veraltet gilt.

Ein Beispiel mag das allgemein übliche schwedische Wort behöva sein. Dem Durchschnittssprecher mag das fremd sein. Ich kenne aber das alte deutsche Wort Behuf. Und das niederländische hoeven. Ich lese das also intuitiv als brauchen, bedürfen. Und ein Schwede, der seinen historischen Wortschatz gut kennt, hat auch bruka und weiss, was das auf einer früheren Sprachstufe bedeutete.

Wer nur das jeweilige übliche Alltagswort kennt, hat keine Chance, die andere Sprache zu verstehen. Wer immer schon reichlich und gerne alte Schriftsteller gelesen hat, die vor Jahrhunderten auch andere Wörter verwendeten, kann sie als eine Art Dialekt empfinden. Ich konnte z.B. Schwedisch lesen, bevor ich es gezielt gelernt habe. Ein guter deutscher und niederländischer Wortschatz eröffnen das Verständnis. Und wenn man aufmerksam ist, bemerkt man Regeln, wie sich Laute verändert haben und kann Worte "umformen", bis sie bekannte eigene Worte ergeben. Nur die Aussprache macht Schwierigkeiten.

"Sprache" und "Dialekt" sind also ziemlich willkürliche Begriffe. Etwas klarer?

Das Nabatäische war kein Arabisch. Es war eher ein aramäischer Dialekt, der eine Reihe arabischer Elemente enthielt.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Nabatäische_Sprache

rr1957 
Fragesteller
 13.07.2023, 09:51

ja genau. Und in der verlinkten URL steht "Da die Bevölkerung des Nabatäerreiches überwiegend einen nordarabischen Dialekt gesprochen haben dürfte, ist das Nabatäische wohl vornehmlich als Schriftsprache anzusehen."

Und darum meine Frage hier, ob es weitere Beispiele gibt für Völker, die in einer anderen Sprache schreiben als in der, die sie sprechen. Und zwar immer.

(Es geht NICHT um die Schrift, sondern darum, dass der geschriebene Text andersssprachig ist. So als ob in Deutschland alle Schilder und Tafeln auf englisch wären.)

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mulan2255  13.07.2023, 16:47
@rr1957

Mir fällt da das Pahlavi ein, das Mittelpersische. Das wurde mit einer aus dem Aramäischen geformten Schrift wiedergegeben. Und es scheint gar nicht so einfach zu sein, diese zu lesen. Laut dem Frahang-i Pahlawig von Junker wurden Aramäische Logogramme geschrieben, welche aber mittelpersisch ausgesprochen worden sind. Deshalb hat er sowohl die aramäischen Konsonanten als auch die miterlpersische Phonetik dort gelistet (ich habe es zu Hause).Er nannte es Heterogramm.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Mittelpersische_Sprache

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Junker_(Sprachwissenschaftler)

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Heterogramm_(Sprachwissenschaft)

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