Wehrhafte Toleranz?

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Das bedeutet, dass Toleranz nicht absolut alles hinnehmen und sich gefallen lassen muss, denn eine tolerante Haltung darf nicht zulassen, dass sie durch die völlige Akzeptanz selbst der Intoleranz (bzw. der Akzeptanz von Haltungen, die die Toleranz missbrauchen, untergraben oder überhaupt zerstören wollen) gefährdet wird: Toleranz heißt nicht Regungslosigkeit, sondern Wehrhaftigkeit gegenüber allem, was die Toleranz gefährdet. In gewissem Sinne also: Toleranz dem ebenfalls Tolerierenden gegenüber, aber Intoleranz gegenüber der Intoleranz.

Ein sehr ähnliches Beispiel ist die "wehrhafte Demokratie": Demokratie bedeutet nicht unbegrenzte Freiheit für jedwede politische (oder relgiöse, gesellschaftliche etc.) Haltung, ganz gleich, wie diese aussehen sein mag. Sondern sie schafft Mechanismen (Institutionen), die der Demokratiefeindlichkeit wehrhaft und aktiv entgegentreten können. Das ist z.B. der Verfassungsschutz, der demokratiefeindliche Gruppierungen, welche das System nur auszunutzen versuchen, um es schließlich zu zerstören, beobachtet. Die wehrhafte Institution unterbindet im meist sehr eng und genau definierten Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten aktiv demokratiefeindliche Regungen (z.B. durch Beobachtungen, Verbote, Ausschöpfen der Rechtsmittel etc.). So kann z.B. der Verfassungsschutz gegen verfassungsfeindliche terroristische Gruppierungen oder gegen radikale religiöse Vereinigungen vorgehen.

Derartige Mechanismen der Wehrhaftigkeit werfen immer wieder ethische Fragen der Verhältnismäßigkeit auf: Wo endet die Intoleranz gegenüber Toleranzfeindlichkeit und wo beginnt z.B. die Zensur? Wann überschreitet der Verfassungsschutz seine rechtmäßigen Kompetenzen zur Abwehr von Demokratiefeindlichkeit und wird ein Instrument der Unterdrückung?

Joachim Gauck hat es für mich gut ausgedrückt.

Immer habe er für die Freiheit und für Toleranz gekämpft. Denn diese seien nicht einfach gegeben. In unseren unsicheren Zeiten, in denen der Zusammenhalt der Gesellschaft ins Wanken geraten sei, werde Demokratie zu einem besonders kostbaren Gut, so Gauck. «Was muss die Gesellschaft, was muss der Einzelne als Freiheit tolerieren, und wo liegen die Grenzen der Toleranz?» 
Toleranz sei nicht gleichgültiges Tolerieren und Dulden, sondern beinhalte Achtung, Respekt und Dialog. «Ich war und bin aber bis heute der Meinung, dass es kein Laisser-faire geben darf gegenüber jenen, die Pluralität und Toleranz mit Füssen treten», so Gauck, der sich vehement für eine wehrhafte Toleranz einsetzt. «Toleranz, die Nachsicht und Duldsamkeit preist gegenüber den Verächtern der Toleranz, hilft den Tätern und nicht den Opfern», so Gauck: «Intoleranz gegenüber einer Intoleranz, die Menschen unterdrückt und verachtet, ist eine Haltung von Demokraten im Namen der Menschenwürde.»

https://www.bazonline.ch/freiheit-demokratie-und-toleranz-sind-gerade-in-unruhigen-zeiten-wesentlich-102871441723