Was meint Bossuet damit überzeugt euch seine Argumentation?

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Jacques Bénigne Bossuet (1627 - 1704) hat seine politische Auffassung in »La Politique tirée des propres paroles de l'Écriture Sainte« („Die Politik, gezeichnet nach den eigenen Worten der Heiligen Schrift“) dargestellt und darin den Staat mit der Person des Königs/Fürsten gleichgesetzt (VI, 1,1: „tout l' état est dans personne du prince“). Ein Zusammenleben von Menschen hält er ohne eine Autorität, die Ordnung stiftet, für unmöglich. Bossuet erklärte die französischen Könige zu Repräsentanten der natürlichen, gottgewollten Ordnung der französischen Monarchie.

Deutung der Sätze

Die Aussagen des Textausschnittes stehen in Buch 3, Artikel 1, Proposition 3 (erster Satz) und 4 (die weiteren Sätze). Nach dem ersten Satz ist etwas Text ausgelassen.

Bossuet meint: In einen Staat gibt es keine berechtigte Zwangsgewalt, mit der Gewalt gegen einen Fürsten, der souveräner Herrscher dieses Staates ist, ausgeübt werden kann. Zwangsgewalt, die Gewalt ausübt, bedeutet eine Macht, die rechtmäßige Anordnungen/Befehle vollstreckt. Die rechtmäßige Befehlsgewalt steht aber allein dem Fürsten zu und daher auch die Zwangsgewalt im Staat. Er hat die souveräne Autorität zu richten und verfügt über alle Staatsgewalt.

Die 4. Proposition ist eine gewisse Begrenzung der Stellung des Monarchen. Aus der 3. Proposition darf nicht abgeleitet werden, Könige sei von den Gesetzen befreit, ihnen also nicht unterworfen, und dürften sich nach Belieben über die Gesetze hinwegsetzen. Die Könige unterstehen wie alle anderen Menschen Recht und Gesetz. Ein Grund dafür ist, dass die Könige gerecht sein sollen, ein anderer Grund, dass die Könige dem Volk Vorbilder in der Beachtung der Gesetze sein sollen.

Könige sind aber nicht den Strafen der Gesetze unterworfen. Dies bedeutet, dass sie niemand im Staat wegen Verletzung der Gesetze bestrafen und zur Einhaltung der Gesetze zwingen kann.

Überzeugungskraft der Argumente

Die 3. Proposition ergibt sich nur, wenn jemand eine Monarchie mit ungeteilter souveräner Macht des Herrschers (keine Gewaltenteilung, keine Mitbestimmung) und in Bezug auf weltliche Instanzen absoluter Autorität für richtig hält. Von diesem Standpunkt aus ist die Auffassung in der 3. Proposition folgerichtig. Der Standpunkt selbst ist aber wenig überzeugend. Die Berechtigung einer staatlichen Macht liegt darin, etwas Guten zu dienen, also gute Ziele anzustreben und Nutzen zu erbringen. Die Politik sollte sich auf das Allgemeinwohl richten, also alle Bürger(innen) berücksichtigen. Es ist daher falsch, wenn ein Staat dazu verwendet wird, einem einzigen Menschen uneingeschränkte Macht über alle anderen Menschen im Statat zu geben und ihm eine völlig über den anderen stehende Stellung zu geben. Sie werden zu Untertanen herabgedrückt. Es ist gefährlich, wenn ein Machthaber uneingeschränkt und ohne Kontrolle herrscht.

Die 4. Proposition, nach der die Könige den Gesetzen unterworfen sind, ist zustimmungsfähig. Es entspricht dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, wenn Gesetze für alle Bürger(innen) gelten. Eine Verpflichtung zur Gerechtigkeit und eine Vorbildfunktion, dem Volk ein gutes Vorbild bei der Einhaltung der Gesetze zu sein, sind überzeugende Begründungen.

Danach kommt aber eine Einschränkung, die eine Bindung der Könige an die Gesetze in den praktischen Folgen abschwächt. Wenn ein König gegen Gesetze verstößt, ist er nicht den Strafen des Gesetzes unterworfen. Es kann niemand im Staat gegen Rechtsverletzungen des Königs mit Maßnahmen einschreiten, die vorgesehene Strafen vollziehen, und so einen starken Druck zum Handeln im Einklang mit dem Recht ausüben.

Unter Rückgriff auf die 3. Proposition könnte Bossuet damit argumentieren, dass es ja im Staat niemand mit Zwangsgewalt gibt, der den König bestrafen könnte (nur er sich selbst). Dies spricht aber vor allem gegen den grundlegenden Standpunkt, der hinter der 3. Proposition steht.