Was haltet ihr vom Sprichwort „Kleider machen Leute“?

10 Antworten

Fernab von Gottfried Kellers gleichnamiger Novelle über die Leute von Seldwyla stimmt die Tendenz... und ich habe hier zwei eigene Erfahrungen auf Lager, die ich gern mal zum Besten gebe, um das Ganze greifbar zu erklären.

  • Im Sommer 2018 wagte ich mit einer Freundin in der Mittagspause, als wir bei einem Kaffee zu dem Thema debattierten, einen Selbstversuch. Ich ging in typischer Berufskleidung - mit Sakko, einfarbigem Hemd, schwarzer oder grauer Hose und Lederschuhen in ein Schreibwarengeschäft, sie tat es zehn Minuten später mit "Löcherjeans" zu Turnschuhen und buntem Shirt, während ich noch im Geschäft verweilte und das Ganze beobachtete. Die Art, mit der wir als Kunden behandelt wurden, unterschied sich deutlich. Der denkende Leser wird in etwa wissen, was ich sagen möchte.
  • Ich habe das Thema Anfang 2019 sogar mal am eigenen Leib zu spüren bekommen - ich war mal direkt nach der Arbeit noch in vollem Ornat auf der Volksbank, um eine Überweisung abzugeben und noch was abzuklären ------> noch mit Sakko, Hemd, Lederschuhen und Co.: Topbehandlung, freundlich, kommen Sie her, trinken Sie Kaffee, bitte sehr und danke sehr. Ein paar Tage später kam ich in Freizeitkleidung - robuste Winterjacke, Winter-Wander-Halbschuhe aus Leder, dunkelgraue Hose, einfarbiges dunkles Sweatshirt, dezent dunkel-karierter Schal, alles sauber, gepflegt und farblich auch passend - und wurde mehr so behandelt wie irgendein fertiger Typ, der anscheinend nicht edel genug gekleidet ist, um es wert zu sein, dass er wie ein Kunde bedient wird. Sorry, das geht gar nicht ... und die Leute dort kannten mich. Ich habe mir das gemerkt und das Thema mal beim Bankdirektor - ich habe auch beruflich mit denen zu tun gehabt, weil ich u.a. diese Volksbank als Kunde betreut habe, es ging um gewerbliche Zeitungsanzeigen, die ich als Mediaberater einer Zeitung auch denen verkauft habe - zur Sprache gebracht. Offenbar hat's Wunder gewirkt, wenngleich ich nicht stolz drauf bin, das gerügt zu haben ... ich kam mir nur grad von diesen Leuten unglaublich dreist veralbert und vorgeführt vor.

Aber ich denke auch, dass die Gesellschaft immer intoleranter geworden ist und verstärkt dazu neigt, Leute nach Äußerlichkeiten zu "bewerten"/in Schubladen einzusortieren.

Ein früherer Kollege von mir, der inzwischen Ende 60 ist, hat eine Haushälterin, eine schwarze Mercedes E-Klasse (W211), eine (gebrauchte) Rolex und trägt noch heute immer einen Anzug. Der gilt als furchtbar arrogant und dekadent, aber nur bei denen, die ihn nicht kannten - man sah nur den gut gekleideten Mann, aber nicht den, der er wirklich war; ein einfühlsamer, sympathischer, witziger Mensch, der es geschafft hatte, sich aus ganz kleinen Verhältnissen hoch zu arbeiten durch eisernes Sparen und harte Arbeit.

Es ist aber immer ein Fall der Herkunft - ich bin in einem sehr speziellen Milieu aufgewachsen, das sehr intolerant wie kleinbürgerlich war und jeden, der es anders machte oder der auffiel, verunglimpfte und diffamierte. Ich bin da nicht ohne Grund weggezogen.

Ich sehe das Thema "Kleider machen Leute" im weitesten Sinne auch an vielen, die aus meiner Heimat stammen und etwa in meinem Alter sind (bin ein 1990er) ----> es ist leider immer wieder erschreckend, wie "ältlich" die in ihren Köpfen und Moralvorstellungen oft sind. Die würden das natürlich von sich weisen bzw. sehen sich als total modern und cool an, weil sie in engen Jeans und Sportschuhen rumlaufen, auf Partys total ausflippen und jeden ihrer Schritte bei allen Social Networks festhalten, die es gibt. Deren Spießigkeitsfaktor merkt man, wenn man sich mit ihnen unterhält. Es traut sich von vielen Leuten meiner Jahrgänge kaum einer mehr optisch so offensichtlich "uncool" zu sein ------> aber die Gesellschaft ist gerade in meiner Generation viel verklemmter als es viele alte Leute je gewesen sind nur zeigt sie es nicht und übertüncht es mit lässigen Klamotten und irgendwelchen bei Facebook publizierten, ich nenn's mal "Besäufnispartys" am Wochenende. Man merkt das erst, wenn man mit denen redet. So nach dem Motto "hey, ich bin 22 & mit der Lehre fertig & MUSS jetzt spießig werden". Ich glaube, ihr wisst in etwa, was ich meine - ich nenne diese Leute früh Altgewordene. Jeder so wie er mag und wenn es denen gut geht warum nicht, aber für mich wäre es nichts.

Und das ist wieder so ein Beispiel: Diese Leute gelten als jugendlich, cool, modern und aufgeschlossen, weil sie sich modisch anziehen, aber im Geiste sind sie schon in jungen Jahren uralt. Ich galt übrigens bei vielen Gleichaltrigen in meiner Heimat als sehr nett, aber auch ziemlich spießig, aber das taten die vielleicht nur, weil sie nur mein Leben sahen und meinen Mercedes und meine strikten Planungen - und weil sie oberflächlich und in ihrer Spießigkeit total intolerant sind. Das sind auch genau die, die sehr gern betonten, meine Freundin sei menschlich schwach und hinterlistig und falschrum, weil sie sagt, was sie denkt - ich mach's ja genauso.

Meine Kleidung scheint vielleicht tatsächlich spießig zu sein, bin z.B. kein Jeansträger, weil ich Jeans unbequem finde - aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich trotzdem auch in schwarzer oder grauer/beiger Hose fast lockerer angezogen bin wie viele Gleichaltrige, die meinen locker zu sein und trotzdem mit Strickpulli und Hemd und "Anzugschuhen" schon im Alltag oft sehr ... naja, spießig halt, oder mit Goodwill konservativ gekleidet aussehen, aber als modern oder schick gelten, während ich daneben der Typ bin, der mit seinem Sakko als Archivar zwischen Akten hockt. Deswegen bin ich der Ansicht, wahres Spießertum fängt im Kopf an.

Aber da bin ich fast wieder vom Thema abgeschliffen, tut mir leid. Die Quintessenz meiner Zeilen - die mir aber jetzt richtig Spaß gemacht haben - lässt sich damit umschreiben, dass das Mantra "Kleider machen Leute" generell zutrifft.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Bedauerlicherweise ist dieser Spruch, auch wenn ich das ätzend finde, nicht weit von der Wahrheit entfernt. Wir alle beurteilen Sachen auf einen Blick - nicht immer bleibt diese Beurteilung bestehen - aber wenn wir das tun: dann auch, weil wir die Kleidung sehen.

Es kann die gleiche Person sein, aber ich wette 99% würden auf eine Person in völlig verwahrloster Kleidung komplett anders reagieren, als auf die gleiche Person im Anzug, oder Kleid.

Das ist menschlich.

Es kommt drauf an. Ich zb beschäftige mich viel mit Klamotten und nach viel hin und her hab ich nen eigenen style entwickelt mit dem ich mich identifizieren kann. Die Individualität die dadurch an die Öffentlichkeit kommt ist mir extrem wichtig udn ich fühle mich sehr wohl damit

es gibt aber natürlich auch leute die sich nicht dafür interessieren

diesen drang nach Individualität finde ich aber sehr attraktiv an anderen menschen deswegen besteht meine erste Einschätzung einer anderen person erstmal aus dem style und den Klamotten die sie an hat

Eine gepflegte Erscheinung und anständiger Kleidungsstil macht schon was her. Muss ja nicht unbedingt teuer sein