Was bewirken überhaupt Wahlen und Abstimmungen?

Das Ergebnis basiert auf 35 Abstimmungen

Viel 63%
Wenig 23%
Nichts 11%
Einiges 3%

7 Antworten

Viel

Die Wahl ist dafür da, dass jeder Mensch in einem Land mitbestimmen kann, durch wen er oder sie vertreten wird. Sowohl durch welche Partei, als auch durch welche Personen dieser Partei. Damit hat man Einfluss darauf, ob die eigenen Interessen vertreten werden oder nicht.
Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass die eigenen Interessen nicht immer von vielen geteilt werden. Dann kann die Stimme natürlich nicht massiv berücksichtigt werden in der Politik, denn es soll ja nach Möglichkeit darum gehen, so viele Menschen wie möglich zu repräsentieren. Nach Möglichkeit alle, das ist aber realistisch kaum umsetzbar. Wahlen sind also das wichtigste Instrument für die politische Teilhabe, da hierdurch direkt bestimmt werden kann, wer für mich oder dich einstehen soll auf politischer Ebene.
In der Theorie sind Wahlen also das überhaupt beste Mittel für politische Mitbestimmung. In der Praxis gibt es natürlich Hindernisse. Wahlen werden fast immer auch mit Strategie angegangen. Die wenigsten Menschen gehen frei von äußeren Einflüssen zur Wahl und wählen genau diejenigen Parteien oder Menschen, von denen sie aktuell am besten vertreten werden. Es spielen Faktoren eine Rolle wie "wie kann meine Stimme Gewicht haben?", "Was wählen andere, will ich mich anschließen oder gegenwirken?", "Wenn ich gegenwirken will, welche Partei hat die besten Chancen?", usw... Und genau daher kommt oft die Trägheit und die Unveränderbarkeit in parlamentarischen Demokratien. Aus solchen Gedanken heraus entsteht eine Landschaft, in der neue Parteien so gut wie nie eine Chance haben und immer nur die gleichen Parteien gewählt werden. Niemand möchte eine Stimme verschenken, die meisten setzen auf eine "sichere" Wahl, bei der sie wissen, dass die Stimme Gewicht haben wird, also eine Partei, die mit Sicherheit im Parlament landet.

Zudem ist oft ein Gefälle merkbar von hoher zu niederer Ebene. Die Bundespolitik ist häufig weit weg von den normalen Bürgerinnen und Bürgern. Colin Crouch beispielsweise beschreibt eine sehr enge Verzahnung von Regierungen mit der Wirtschaft und sieht darin einen großen Grund für die global merkbare Unzufriedenheit mit Demokratien. Die Landesebene ist da noch viel näher, kann aber dafür nicht so viel bewirken wie die Bundesebene. Und die Kommunalebene ist in der Regel sehr nah den Bürgerinnen und Bürgern, hat aber eben kaum Einfluss bzw. kann nicht über die Kommunen hinaus arbeiten.
Auch Koalitionen sind häufig Problemfelder, da man zwar für eine bestimmte Partei stimmt, letztlich aber nicht damit einverstanden ist, was für eine Koalition sich daraus bildet. Das sieht man dann an Umfragewerten, z.B. bei der letzten Wahl. Einige, die SPD, Grüne und FDP gewählt haben, waren mit dieser Koalition einverstanden, andere nicht. In der Wählerschaft der SPD und Grünen wollten auch einige eine Koalition mit der Linken. Das sind Streitfragen, auf die man dann wenig Einfluss hat nach der Wahl.

Wege, das zu ändern, sind z.B. Petitionen oder Proteste. Damit kann man politisch zusätzlich zur Wahl partizipieren und kann korrigierend eingreifen, wenn das Gefühl entsteht, eine gewählte Partei habe sich vom Willen der Wählerschaft entfernt. Außerdem kann auch das Engagement in einer Partei helfen, den Kurs mitzubestimmen.
Das Paradoxe ist, dass viele Probleme der Repräsentation eigentlich vom Volk ausgehen, gerade von großen Teilen des Volkes dann aber bemängelt werden, was zu Frust und Verdrossenheit führt. Z.B. die starke Bindung zur Wirtschaft war vom Volk gewollt. Es ist bis heute ein Totschlagargument, sobald man Veränderung anstrebt, die Wirtschaft vorzuschieben. "Die und die machen die Wirtschaft kaputt!", "Ja aber die Arbeitsplätze...", "Das schadet der Wirtschaft". Das sind Sätze, die man fast immer in politischen Diskussionen hört. Damit sollen härtere Eingriffe beispielsweise unterbunden werden, aus der Angst heraus, die Wirtschaft würde darunter leiden. Das bringt die Wirtschaft aber erst recht in eine Position, von der aus die machen kann was sie will, ohne Angst davor haben zu müssen, dass die Politik eingreift. Die Wirtschaft erpresst sozusagen regelmäßig die Politik, weil die Politik von einer funktionierenden Wirtschaft abhängig ist. Damit ist Politik auch sehr undankbar, denn egal wie, die Menschen finden immer einen Weg, unzufrieden damit zu sein. Das Ganze führt dann natürlich in eine ewige Abwärtsspirale, die zu aktuellen Entwicklungen wie einem global wahrnehmbaren Rechtsruck führt bis hin zum Abbau von Demokratien durch Rechtspopulisten wie Viktor Orban in Ungarn. Wir befinden uns diesbezüglich in einer sehr spannungsreichen Zeit, denn immer mehr Menschen auch in der Forschung sehen sozusagen den Höhepunkt der Demokratie als überschritten an und nehmen eine Tendenz hin zu autoritäreren Systemen wahr. Es bleibt eine offene Frage, wo diese Tendenz hinführt. Bleiben wir bei der Demokratie, wenn wir merken, dass es kaum bessere Systeme gibt aus einem moralischen Standpunkt heraus? Oder doch wieder hin zu autoritären politischen Systemen...? Die nächsten Jahre werden spannend was das angeht.

Wenig

Um meine Antwort zu begründen sollte erstmal die grundlegende Natur des bürgerlichen Staates erläutert werden:

Der bürgerliche Staat in Form einer parlamentarischen Demokratie fußt auf parlamentarische Wahlen mit mehreren Parteien. Der Idee nach äußert das Volk durch verschiedene Parteien mitsamt Weltanschauungen ihren politischen Willen und partizipiert so, mitsamt anderer Maßnahmen wie Proteste, Volksentscheide etc. an der Herrschaft. Wahlen und Abstimmungen sollten demnach recht viel (im Rahmen der Verfassung) verändern können.

Das ist die reine Idee, um sie nun zu beurteilen muss ihre Umsetzung jedoch in Relation mit den materiellen Gegebenheiten, etwa der Ökonomie, gesehen werden. Die Ökonomie basiert auf dem Prinzip der freien Marktwirtschaft (Kapitalismus), welche sich durch den privaten Besitz an den Produktionsmitteln, dem Wettbewerb und dem Wertgesetz charakterisiert. Dieser nun führt, durch das stehte Ringen der Konkurrenten, zur Bildung von Monopolen, also Unternehmen mit faktisch marktbeherschender Stellung. Diese üben nachweislich großen Einfluss auf die Politik aus, sei es mit durch Lobbyverbände wie die NRA in den USA, oder die Kohlelobby in Deutschland aber auch alleine durch ihr hohes wirtschaftliches Gewicht. Der von diesen nicht vom Volke kontrollierten, legitimieren und praktisch dem Volke nicht verpflichteten (Trotz der rechtlichen Verpflichtung, Besitz gesellschaftlich Sinvoll zu nutzen steht der Profit im Mittelpunkt) Monopolen ausgeübte tatsächliche Macht bildet eine Antithese, einen Widerspruch zur formellen Demokratie, ja sie höhlt sie gar aus. Zu sehen sind sind diese Widersprüche an Erregnisen wie Artikel 13 und der Reaktion der EU (Namentlich Axel Voss) auf die Proteste dagegen, das Verkaufen von Waffen in Kriegsgebiete, welche offiziell als Zeichen der Solidarität dargestellt werden, tatsächlich jedoch eine große Quelle an Profit ist.

Sie äußern sich auch in der Komposition der Regierungen und Parteien, in Deutschland sitzen primär Juristen im Parlament, in den Vorständen teils großer Parteien finden sich Personen mit engen Beziehungen zu Unternehmen (CDU, Friedrich Merz, Blackrock-Unternehmen), in China und Russland haben die neu entstanden Oligarchen und Reichen bedeutende Stellungen in Staat und Partei erlangt und übet die Verflechtungen zwischen der US-Regierung und der Wirtschaft könnte man ganze Bücher füllen.

Der Punkt ist, Kapital unterminiert die Demokratie und Volkssouveränität, tendiert dazu, die Interessen der Bevölkerung unter den Interessen des Profits zu stellen.

Dazu eventuell das Werk von Joseph Vogl "Kapital und Ressentiment"

Der Kapitalismus schädigt also der Demokratie und läuft ihr oft entgegen, das diese nicht zwangsläufig zusammen gehören führte bereits der libertäre Ökonom Hayek an.

https://www.opendemocracy.net/en/friedrich-hayek-dictatorship/

Die Spielräume der Parteien sind also begrenzt, Parteien wie SPD, die Grünen und AfD versprechen zwar viel, was sie schlussendlich machen ist jedoch primär eine Frage der Politökonomie. Die Grünen etwa versprachen keine Waffenlieferungen in Kriegsgebieten, jetzt sind sie vollkommen dafür, Joe Biden versprach Entlastungen für die Bevölkerung und Studenten, tatsächlich kam nur wenig, die Ampel-Koalition versprach soziale Politik, doch wo ist sie bei Corona der anstehenden Haushaltskürzung 2024 geblieben? https://www.prosieben.de/serien/newstime/news/ampel-beschliesst-haushaltsentwurf2024-drastische-kuerzungen-geplant-84156

Die AfD verspricht eine "Politik für den kleinen Mann", ihr Programm sowie einige ihrer führenden Mitglieder haben aber nähe zum Neoliberalismus, welcher nunmal den "kleinen Mann" seinen wirtschaftlichen Sorgen und Nöten selbst überlässt.

https://youtu.be/kc4yEB0j1b8?si=uG9s5e3vBOUg_53O

Proteste und Petitionen sind in ihrer Wirksamkeit auch recht limitiert. Dort, wo sie wirklich Opposition zum staatlichen Kurs stellen, etwa zu Artikel 13, Lützerath, dem Ukrainekrieg oder Proteste und formale Kritik an Israel werden sie oft diffamiert, eingeschränkt oder gar nicht erst beachtet.

Das soll allerdings nicht heißen, daß Wahlen gar nichts verändern, ob nun die SPD, Grüne, AfD oder FDP an der Macht ist Macht durchaus einen Unterschied, jedoch eher in Schattierungen als in deutlichen Farbänderungen.


Chartist  25.10.2023, 14:42

Wie es eben in einer Postdemokratie ist.

0
Viel

Grundsätzlich: Sehr viel.

Natürlich hat die einzelne Stimme bei verschiedenen Wahlen unterschiedlich viel "Macht".

Auf kommunaler Ebene beispielsweise, mit nur einigen hundert bis hin zu wenigen tausend Wahlberechtigten, kann eine einzelne Stimme schon sehr viel bewegen. Auf Bundes- oder gar europäischer Ebene macht die Stimme eines einzelnen Wählers allein natürlich nicht viel aus.

Dasselbe gilt auch auch außerhalb der Politik. In einem kleinen Gremium, beispielsweise innerhalb eines Vereinsvorstands, kann eine Stimme schon sehr viel ausmachen, als einzelnes Mitglied auf der Hauptversammlung eines Großvereins eher weniger.

Insgesamt zeigen Wahlen aber immer eine gewisse Tendenz an - auch wenn die z.B. durch Nichtwähler und Protestwähler etwas verzerrt wird.

Viel

Es liegt in der Natur der Sache, dass das gewählte Ergebnis auch umgesetzt wird. D.h. zum Beispiel bei Bundestagswahlen die Parteien in der Stärke in den Bundestag einziehen, wie die Wähler entschieden haben.

Bestreiten tun das immer gerne diejenigen, die eine Minderheitsmeinung haben und nicht akzeptieren, dass die Mehrheit eben anders denkt.


DerHans  25.10.2023, 12:13

Leider nimmt ein Großteil (meist sogar mehr als ein Drittel) der Wählerschaft, sein Wahlrecht nicht ernst. So dass, tatsächlich eine Mehrheit der GESAMTEN Bevölkerung nie erreicht wird.

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Sie bewirken, dass gewählt wird bzw. abgestimmt wird. Ob das etwas sinnvolles ergibt, bleibt dahingestellt. Siehe unsere Ampel-Regierung

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung