Warum gab es so viele Kriegszitterer im WK1 & im WK2 nicht?

7 Antworten

Ich kann nur mutmassen. Ich denke dass dies stark mit der Art der Kriegsführung zu tun hat. Im 1. Weltkrieg waren Soldaten monatelang in Gräben gekauert und wer den Kopf zu weit hob, wurde erschossen. Verpflegung blieb oftmals aus, die hygienischen Bedingungen waren grausam - kein Wasser, keine Toiletten - und gefallene Kameraden lagen noch Tage zwischen den einzelnen Überlebenden. Man stelle sich vor, dein Leben beschränkt sich auf wenige bestialisch stinkende Quadratmeter, in denen du gebückt über deine gefallenen Kameraden steigst und ständig Angst hast, dass du dich bald neben sie legen musst. Viele haben dies bestimmt auch freiwillig getan, aber wer leben wollte dessen Trauma war bestimmt immens.

Die Erfahrungen des ersten Weltkrieges führten auch zu der veränderten Kriegsführung im Zweiten. Truppen waren mobiler, auf Infrastruktur wurde mehr wert gelegt, man führte Flugangriffe durch und fuhr Panzer. Auffallend ist auch der krasse Gegensatz von Grabenkampf zu Blitzkrieg. Das grosse Wettrüsten in der Zwischenkriegszeit war geprägt von der grausamen Erinnerung an den 1. Weltkrieg. Es galt die Fehler von einst zu vermeiden.

Einen Fehler - den Grössten - haben Sie allerdings nicht vermeiden können, nämlich überhaut erst wieder in den Krieg zu ziehen.

Unsinkable2  09.01.2018, 01:32
Ich kann nur mutmassen.

Genau das ist der Grund: Im WK I war jegliche Bewegung ausgeschlossen. Oben pfiffen die Kugeln oder wehte das Giftgas über den Graben. Links und rechts schlugen die Granaten ein. Und im eigenen Graben starben die Kameraden reihenweise.

Wochenlang, ja, monatelang lag man an einer einzigen Stelle in einem endlosen Graben-System. Manchmal ging es zwei, drei Gräben nach vorn. Und schon einen Tag später ging es wieder zurück zum Anfang. Die Kämpfe und das Sterben waren also auch "für jedermann sichtbar sinnlos". Denn man gewann nichts. Keinen Meter. Und keinen Krieg.

Und alles, was man neben den Kriegsgeräuschen hörte, war die Propaganda der eigenen Offiziere und die nächsten Nachrichten von eigenen Toten, die sich wie Lauffeuer durch die Gräben verbreiteten.

Kurz gesagt: Es war eine völlig ausweglose Situation. Flucht, ja, selbst Bewegung mit der Truppe waren völlig ausgeschlossen.

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Hinzu kam allerdings noch verstärkend der wahnsinnige Patriotismus: Unzählige Freiwillige hatten sich gemeldet, weil ihnen "viel Geld für ein paar Wochen Krieg" versprochen wurde. Und weil man ihnen sagte, dass der Feind schnell besiegt sei, weil er Schwäche zeige.

Doch aus den "paar Wochen" wurden "paar Monate". Und aus den "paar Monaten" wurden "paar Jahre". Und aus dem "schnell den Feind besiegen und dann wieder heim aufs Feld" wurde ein auswegloses Gefängnis, in dem jeden Tag Dutzende, Hunderte Kameraden starben. Nicht irgendwo. Direkt neben dir. Links und rechts.

Und auch das mit dem "viel Geld" stellte sich schon bald als unwahr heraus: Man musste überleben, um Geld zu bekommen. Doch das Überleben wurde immer unwahrscheinlicher, je länger der Krieg dauerte.

Kurz gesagt: Man könnte es "verstärkendes Borderline-Syndrom" nennen: Der himmelhoch jauchzende Patriotismus kippte in sehr kurzer Zeit die Einsicht, dass man in eine Todesmaschine gelockt worden war, aus der es kaum eine Chance des Entrinnens gab, um. Quasi "über Nacht". Und ohne Chance, den patriotischen Jubel und seine Folgen rückgängig machen zu können.

Das trat in den nachfolgenden Kriegen sehr viel seltener auf: Zwar rannte man eingangs des WKII noch mit lautem "Hurrraaa!" in den Blitzkrieg, doch stellte sich schon nach einigen Monaten sukzessive(!) die erste Ernüchterung ein. Der Patriotismus war dann oft nur noch weitgehend aufgesetzte Maske, um sich mit dem System zu arrangieren und es irgendwie zu überleben.

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Ob das im ersten wirklich mehr als im zweiten Weltkrieg waren ist die ganz große Frage?

Zu bedenken ist dabei, daß das Nazi-Regime wesentlich restriktiver als das Kaiserreich war. Im WW2 war es sicher nicht ganz ungefährlich, sich als Kriegszitterer zu outen - das konnte auch als Feigheit vor dem Feind ausgelegt werden und das endete nicht selten tödlich.

Außerdem verarbeiten Menschen Ereignisse, denen sie hilflos ausgeliefert sind anders als solche, bei denen sie aktiv sind.

Im WW1 lagen die meisten Frontsoldaten in Schützengräben und bekamen regelmäßig vom Feind mit Artilleriebeschuß "eingeschenkt". Sie waren dem völlig hilflos ausgeliefert - ob eine Granate direkt über ihnen explodierte oder ein dutzend Meter weiter, darüber hatten sie keine Kontrolle.

Im WW2 befand sich die Wehrmacht die meiste Zeit in Bewegung. Dabei ist es nicht entscheidend, ob es eine offensive oder defensive Bewegung war - Hauptsache Bewegung, also kein völliges ausgeliefert sein, sondern aktive Möglichkeiten.

Letztlich ist PTBS aber auch heute noch längst nicht genügend erforscht und aus der Zeit des WW2 oder gar WW1 war nichtmal der Begriff bekannt.

ggbra 
Fragesteller
 09.01.2018, 22:13

Das betrifft nicht nur die deutschen Soldaten sondern alle

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Das waren natürlich Simulanten was denkst Du den. Meine Mutter (81) hat erzählt das ihr Vater sich rein zufällig in den Fuß geschossen hätte und deshalb am WW1 nicht ganz teilnehmen konnte. Auch so ein dümmliches Missgeschick, gelle.

Ich denk auch das der WW2 humaner in der Führung war. In WW1 pfiff jemand in die Pfeife und dann musste man durch den Kugelhagel des Maschinengewehrs in die sichere Verletzung oder in den Tod. Der WW2 wurde da geschickter geführt. Das darf man ja nicht sagen, aber Hitler hat das als Abenteuerspielplatz verkauft und lange Zeit war es das auch.

verreisterNutzer  09.01.2018, 00:42

Das ein shell-shok mit Simulation nichts zu tun hat, hat während des ersten Weltkriegs sogar die Generalität eingesehen, war mit ein Grund dafür sich vom System der Schützengräben zu trennen und das Modell der tiefgestaffelten Verteidigung zu übernehmen.

Die Ausweitung des Verteidigungsfeldes führte dazu, dass sie Streuungsdichte der Granaten pro qm deutlich zurück ging und damit wurde auch der Shell-Shock weniger problematisch.

Wenn die Leute einfach nur simuliert hätten, hätten sie wohl nach Kriegsende und häufig bis ans Ende ihres Lebens keinen Grund gehabt weiter zu simulieren, gelle?

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zetra  09.01.2018, 20:24

Dann bedenke bei deinem Vergleich auch die Anzahl der Toten: 14 : 60 Millionen.

Die letzte Zahl steht fuer den `geschickten Krieg`.

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Der Unterschied vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg war ja gravierend fuer die Zivilbevoelkerung.

Den Druck des Graeuens hatten ja nur die Soldaten an der Front im Ersten Weltkrieg.

Die Bevoelkerung musste `nur` mit der Unterversorgung und den Verlusten ihrer Angehoerigen klarkommen. Die Begeisterung, wenn man das alles Glauben mag, war ja enorm, somit der Fall natuerlich tief.

Im Zweiten Weltkrieg wurde ja auch an den Sieg geglaubt, hier allerdings setzte auch bald eine Ernuechterung ein. An der Front und im Heimatland, denn jetzt kamen zu Tausende die Bomberflugzeuge und radierten die Staedte und grosse Teile der Bevoelkerung mit aus.

Deine Kriegszitterer im 1. zum Gegenteil im 2. WK., bekomme ich nicht auf die Reihe, denn es gibt darueber keine Erkenntnisse aus oben genannten Gruenden heraus.

Womöglich lag es im Ersten Weltkrieg auch an den Giftgas-Nachwirkungen, die im Zweiten WK nicht mehr eingesetzt wurden.