Warum bezeichnete Schiller die antiken Griechen als „edler Volk“?

5 Antworten

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Weil die Dichter der Klassik die "alten Griechen" fast mystisch überhöht haben.

Das ist so ähnlich, wie wenn die Boulevard-Presse heute Dieter Bohlen oder andere Trällerer als Pop-Titanen oder Pop-Giganten bezeichnet.

Klar gab es bei den "alten" Griechen seinerzeit einige bedeutende Philosophen. Sehr bedeutende. Aber das einfache Volk war eine überschaubare Gruppe von Fischern und Bauern, auf die vielleicht das Adjektiv "fleißig" zutrifft, "edel" aber wohl eher weniger.

Auch die vielgepriesene Erfindung der "Demokratie" muss angesichts der damaligen Fremdenfeindlichkeit, die sich im Begriff "Barbaren" für alle Nichtgriechen ausdrückt, hinterfragt werden.

Fazit: Immer schön auf dem Teppich bleiben.

scoredelia  18.07.2019, 16:35

Ups... "Barabaren" ist ein lateinisches Wort und zwischen Griechen und Römern liegen einige kulturelle Abgründe. Im Übrigen bedeutet "Barbaren" übersetzt ganz einfach "die Bärtigen".
Klar kann man die Antike nach Lust und Laune mischen und man kann aus den Griechen wahre Monster machen. Allerdings hat Schiller wohl mehr griechische Schriften gelesen als irgendeiner von uns hier und es dürfte wohl in der Tat einige Gründe dafür geben, dass man sich noch heute stolz auf die griechische Kultur beruft um den Anfang Europas zu markieren.

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mychrissie  18.07.2019, 18:53
@scoredelia

Einige Epochen wurden immer wieder aufgegriffen und dann überhöht. Die Ritterzeit in der Romantik, die Antike in der Klassik und der Renaissance. Aber man sollte historische Fakten eher in Geschichtsbüchern suchen als bei Künstlern. Ich bin sicher, dass Schiller da auch sachlicher und faktischer war, als in seinen literarischen Werken, er war ja auch namhafter Historiker.

Die Griechen haben übrigens alle Fremden, aus denen sie ja auch ihre Sklaven rekrutierten, als unkultivierte Barbaren betrachtet. Das setzte sich bei den Römern fort, die die griechische Kultur allerdings hochachteten.

Übrigens sind geschichtliche Ereignisse früher immer übertrieben worden. Forscher schätzen da einen "Übertreibungsfaktor" von ca. 1:10. Ein "Kampf" von 1000 Soldaten war da wohl eher eine ausgedehnte Keilerei von ein paar Dutzend Männern. Aber 1000 hört sich eben bedeutender an als 100. Ebenso wurden übrigens manche Persönlichkeiten posthum "ausradiert", indem man die Gesichter ihrer Statuen zerstörte und sie zu Bösewichten umdeutete (Beispiel: Nero).

Wer also mehr von der Wirklichkeit erfahren will, findet die nicht unbedingt in der Literatur. Klar haben die Griechen die Demokratie "erfunden". Ob eine Staatsform wirklich demokratisch ist, in der Sklaven, Fremde, Unfreie, die arbeitende Landbevölkerung und Frauen nicht mitzureden haben, muss jeder selbst entscheiden.

Demokratie in unserem Sinne wäre von den Griechen der Antike als Absurdität betrachtet worden.

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Cockadoodledoo 
Fragesteller
 22.07.2019, 09:59

Ja. Heute wird das alte Ägypten glorifiziert. Ich denke nicht, dass wir gerne in einer Gesellschaft leben würden, in der es normal ist, Mädchen zu „beschneiden“.

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Es ist sicher eine Kritik an das monarchische System zu Schillers Lebzeiten mit einem Vergleich zu einer Demokratie. Die Beschäftigung mit der klassischen Antike galt damals auch als sehr modern.

Er bewundert die Größen wie Sokrates, etc. und vor allem die beginnende Demokratie.

Von Sklaven, Kriegen, Frauenunterdrückung, ist natürlich nicht die Rede. So etwas galt ja auch damals nicht als schlecht. Es war nur eben nun mal so. Das war überall und war total normal und richtig damals. Deswegen mußten doch die Menschen sich in Vereinigungen treffen und hatten harte Arbeit zu leisten, um eine andere Sichtweise den Menschen näher zu bringen. Wobei sie sehr viel Gegner hatten (Frauenverbände, Emanzipation, USA = Verbände gegen Sklavenhandel).

scoredelia  18.07.2019, 16:42

Ich verweise auch hier auf "Lysistrate". Gibt es im guten Buchhandel.

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Die deutsche Klassik von Goethe, Schiller u.a. hat sich an der griechischen Klassik als Kunst- und Ausdrucksniveau orientiert, sie teils auch überhöht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sie nicht interessiert, weder damals noch zu ihrer Zeit. Goethe ist doch mit Fürstens jedes Jahr in Kur gefahren und man hat sich andere "klassische Kunstexperimente" vom Hof finanzieren lassen. Da sollte man auch Goethe und Schiller nicht überhöhen. Sie gehörten zu den Nutznießern der Verhältnisse ihrer Zeit. Hätten sie mit einem Finger auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im klassischen Griechenland gezeigt, wären vier Finger aus sie selbst gerichtet gewesen.

scoredelia  18.07.2019, 16:41

Stimmt, aber wir als "Nachgeborene" sind nicht unter einem absoluten Herrscher aufgewachsen, wir könnten frei und unbeschwert unsere Meinung sagen, wir können so einiges was damals schlicht nicht möglich war ohne sein Leben zu verwirken. Ich erinnere hiermit an Georg Büchner, der den M und aufgemacht hat wie du es nun von Schiller und Goethe forderst. Büchner starb mit 28 Jahren.
Krank und im Exil. Und er hat die Finger auf die Wunden seiner Zeit gelegt.
Wie sind die griecvhen mit so etwas umgegangen? Sie hatten eine große Theatertradition, in deren Komödien es sogar Stücke wie "Lysistrate" gab.
Das ist lesenswert für alle die glauben wir wären heute so viel aufgeklärter und freier als damals.

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berkersheim  18.07.2019, 17:22
@scoredelia

Ich mache keinem einen Vorwurf, wenn er sich den Möglichkeiten seiner Zeit anpasst. Keiner der Aufklärer, weder in Frankreich noch in Großbritannien - Kant war in Preußen eine Ausnahme, erhielt aber nach Friedrich II. auch Schreibverbot - bis Nietzsche, Feuerbach, Marx, Schopenhauer konnte in ein öffentliches Amt kommen. Auch kenne ich nur einen Aufsatz, in dem die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen der Zeit Epikurs zusammengetragen wurden und das liest sich, bezogen auf die Normalbevölkerung, nicht toll.

Auch war es leicht, auf dem Niveau der Gerichtsbarkeit der damaligen Zeit denunziert und verurteilt zu werden. Xenophon berichtet in seinen Sokrates-Memoiren über einen Fall, den Sokrates geschickt gelöst hat. Bei Xenophon verkündet Sokrates nicht die Philosophie des Platon und ist ein kleverer Lebensberater, nicht nur Philosoph. Man erkennt schneller, dass er sich dadurch auch große Feinde gemacht hat. Das sind aber neuere Einschätzungen. Noch bis in die 60er Jahre wurde die griechische Antike stark überhöht.

Auch im antiken Griechenland konnte man von den herrschenden Aristokraten und dem Klerus der Tempel leicht angefeindet und verurteilt werden. Aristoteles konnte sich ja auch nur durch Flucht aus Athen dem Schuldspruch entziehen. An Plutarch sieht man, wie Aristokrat und Kleriker oft in eins gingen und es keine Scheu gab, Gegner mit übelsten Lügen zu verleumden. Das ist nicht neu, heute aber etwas schwieriger. Man muss ins Kalkül ziehen, dass damals ein extremer Aberglaube herrschte, mehr noch als im Mittelalter und da sind die Prozesse der Inquisition kein Ruhmesblatt kritischer Vernunft.

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scoredelia  20.07.2019, 08:52
@berkersheim

Stimmt, Berkersheim. Die Idee der Demokratie musste in der Zeit der beginnenden Revolutionen (Ende 18., beginnendes 19. Jahrhundert) überhöht werden und die "Normalbevölkerung" Athens waren die etwa maximal 20000 wohlhabenden "Vollbürger", so die Definition. Alles andere waren "nur" Heloten oder Sklaven. Und dass Heimtücke und Hinterlist damals nicht existierten, hat niemand behauptet. Allerdings ist die Verteilung der Ämter per Losentscheid ein probates Mittel, um Korruption zu verhindern. Schließlich sind "unsere" Politiker genauso wenig Fachleute wie sie es im Fall der Auslosung hätten sein können. Es gibt also durchaus immer noch zu überdenkende Ansätze.
Ich habe in meiner Antwort, auf die du dich beziehst, die Umstände hervorgehoben unter denen die damaligen Kulturschaffenden lebten. Das waren nicht immer die guten Verhältnisse die Goethe sich schaffen konnte. Ich habe Büchner deshalb erwähnt, weil er sich klar positioniert hat und in seinem jugendlichen Ungestüm seine gesellschaftlichen Chancen aufs Spiel setzte. Es gibt aber auch noch mehr verunglückte Literaten in dieser Zeit. Kleist, etwa oder den Lenz über den Büchner geschrieben hat. Dass die Menschheit trotz tausender geistiger Konstrukte immer noch ihre aus Urzeiten ererbten Eigenschaften mit sich herumschleppt ist Allgemeingut. Und dass dazu Bestechlichkeit, Niedertracht, Hetze und andere unschöne Seiten gehören, ist auch nicht neu. Aber die Idee der Demokratie, egal wie unausgegoren sie war, war durchaus etwas Neues in den großen Zeiten Athens und des den Athenern damals bekannten Kulturkreises. Und in der Verklärung dieser Idee hat man angesichts einer verkrusteten Gesellschaft das Fanal gesehen mit dem sich eine Revolution entzünden lässt.

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Du solltest eine historische Epoche nicht an der Gegenwart messen, sondern solltest Dich bemühen aus ihrer Zeit heraus zu urteilen, welchen gesellschaftlichen Fortschritt (oder Rückschritt) sie beinhaltete. Und da steht das griechische klassische Altertum nicht schlecht da: Herausbildung der Demokratie, des Theaters, der Philosophie, des Hochschulwesens u.e.m.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung