Waren die 50er/60er Jahre wirklich so schön wie es behauptet wird?

4 Antworten

Ich habe die Fünfziger und frühen Sechziger als Kind erlebt: Sie waren spießig, muffig und verklemmt. Erst der Aufbruch Mitte der Sechziger brachte etwas frischen Wind in die Republik: Studentenproteste, Frauenbewegung, sozial-liberale Regierung, Anfänge einer ökologischen Bewegung. Davor: reinster Stillstand.

Liebe in den 1950ern und frühen 60ern war sicher alles andere als toll - zumindest wenn man mehr als nur Händchenhalten wollte. Die Pille kam 1961 auf den Markt, wurde aber bis in die späten 60er nur an verheiratete Frauen verschrieben. Kondome konnte man nur in der Apotheke kaufen, und auch das nur "unter dem Ladentisch", und das Ganze galt als sehr anrüchig. Junge Leute bekamen keine Kondome. Stell dir mal Verhütung ohne Pille und ohne Kondome vor - Alptraum!

Außerdem machten sich Eltern strafbar, wenn sie den Freund oder die Freundin ihres Kindes bei sich zuhause übernachten ließen ("Kuppelei").

Ich glaube, diese Zeit wird gern verklärt, weil es Vollbeschäftigung gab und alles auf "Aufbruch" war. Aber es war doch im Vergleich zu heute sehr eng und spießig. Wärest du mit zwei Fernsehprogrammen in schwarz-weiß zufrieden? Und was wäre, wenn man dir gesagt hätte, Mädchen brauchen kein Abitur, die heiraten ja doch? Oder wenn du in einer Wohnung ohne Bad wohnen müsstest?

Gute Frage! Man darf das Gefühl damals nicht mit heute vergleichen. Ich habe ,,Eis am Stiel" auch mit Freue gesehen. Die Geschichte war nicht viel wert, sondern die Musik, die Kleidung und was noch mehr an diese Zeit erinnert. Ich bin auch in dieser Zeit aufgewachsen und es gab zwei riesige Unterschiede zur jetztigen Zeit. Erstens: Die Aufbruchsstimmung. Alles wurde nach dem 2.Weltkrieg neu gebaut; es gab Wachstum und im Gegensatz zu was in den anderen Antworten gesagt wurde; kam es mir nicht ,,spiessig" vor. Di Moral ja, aber die Gestaltung der Häuser, der Elektro-Apparate, der Autos usw. war bunt. Auch aus den USA kamen neue Anstösse. In der jetztigen Zeit ist man dagegen etwas ratlos, ziellos und unzufrieden, weil alles mehr, aber nicht besser wird.

Zweitens: Man erreichte selbst etwas. Es ist doch eine viel größere Freude, zum ersten Mal Musik aus dem selbst zusammengelöteten Verstärker zu hören (und was für Musik!!) als die 47ste App auf dem Smartphone herunterzuladen, im Wissen, dass diese nur für Werbung oder Datensammler dient.

,,Rock and Roll" und ,Beat*" sind in dieser Zeit entstanden und waren eine Revolution! Die heutige Pop-Musik baut noch auf diese Errungenschaften fort.

Ich könnte noch vieles schreiben. Diese Zeit war überhaupt nicht ideal, aber wir haben damals noch Ideale gehabt.

Hallo BenzProlet,

Es kommt schon darauf an, wer das wann und wo sagt: Mein Bewußtsein hat sich erst nach dem Weltkrieg geformt (Jahrgang 1942). Von heut aus muss ich sagen: mein Leben war eine ständige Aufwärtsentwicklung: angefangen hat es mit praktisch Nichts nach dem Krieg, mit Brot aus geschrotetem Mais, weil unsere Müller keine Ahnung - und keine Maschinen - hatten, mit denen man Mais mahlen konnte. Der Mais war sowieso nur wegen eines Mißverständnisses schiffsweise aus Amerika angeliefert worden: als die deutschen Politiker gefragt wurden, was wohl am nötigsten wäre, antworteten die "Korn". Verstanden wurde das englische "Corn", was halt Mais ist.

Das ging dann stetig aufwärts: uns ging es immer besser, die Welt wurde immer schöner. Es gab irgendwann auch mal Autos für jedermann, dann konnte man Urlaub in Bella Italia machen, ans Meer fahren. Man hat sein eigenes Häuschen gebaut (meine Eltern jedenfalls). Man hatte bald eine Waschmaschine, später gar eine Spülmaschine, die Einzelöfen wurden durch Zentrale Heizung ersetzt. Die Kohle wurde vom Ölbrenner abgelöst. (Ich habe noch täglich Koks geschippt). Die rein weißen Nylon-Hemden der 50'er wurden langsam bunter (ein eigenes Kapitel) Die (amerikanisch geprägte) Musik wurde immer beliebter, die alten Nazis starben langsam aus, leider nicht die Rechten, die immer noch das Rad der Geschichte anzuhalten versuchen.

Wenn dich die Musik von damals interessiert, schau doch mal unter www.kontrabassist.de/musik60er.htm nach.

Ich persönlich habe auch die Geschichte der Computerei erlebt: Am Anfang gab es einen Computer in der Uni. Ein Computerkurs war rein theoretisch und es war schon ein Privileg, seine Progrämmchen überhaupt (vom Assistenten) ausprobiert zu bekommen. Nach dem Studium habe ich das dann richtig gelernt: an einer Zuse Z25 damals noch nicht einmal in einer Programmiersprache, sondern in Maschinensprache. Jedes Bit im Hauptspeicher wurde mit einem Lämpchen angezeigt.

Ein ganzes Stück später erst kamen die Personalcomputer auf. Ich habe als Lehrer mit einem Vorgänger des C64, dem VC 20 meine ersten Computerkurse gegeben, und dabei zusammen mit meinen Schülern das damals übliche "Basic" gelernt. Ansonsten war CP/M angesagt, die Programmiersprache, die erst sehr viel später von Pascal und Turbopascal, richtigen Programmiersprachen, abgelöst wurde. Erst relativ spät bin ich dann auf die PC's von IBM umgestiegen und der große Siegelzug von Windows begann. Heute ist der PC lediglich noch ein Hilfsmittel, das dem Kontakt und der Wissenserweiterung dient. Das aber war immer das erklärte Ziel der Entwicklung, auf die ich als Lehrer immer gehofft hatte.

Aber die Vor-Schreiber haben natürlich recht: So wie damals würde heute keiner mehr leben wollen: zurück wäre der reine Terror! Aber wir haben's überstanden und freuen uns heute an dem, was wir haben.

Schöner Grüße aus dem Schwarzwald