Vergeben - Wohltat für mich oder Zeichen für Schwäche?

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Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ähm.... Bist du dir sicher, dass du dieses Konzept richtig verstanden hast? Es geht hier nicht darum, jemandem zu verzeihen, der einen konstant schlecht behandelt und das zuzulassen, indem man sich sonst was von wegen Vergebung einredet.

Bei Vergebung geht es um große und eher einmalige, auf jeden Fall aber abgeschlossene Taten. Du würdest betrogen, belogen, jemand hat dir Schaden zugefügt, die Sache ist geschehen. Um mit dieser Sache dann abzuschließen, ist Vergebung sehr hilfreich.

Deine Situation ist aber eine vollkommen andere. Denn sie ist nicht vorbei oder abgeschlossen. Du bist andauernd mit der Person und ihrem schädlichen Verhalten konfrontiert. Das musst du allein um dich selbst zu schützen (und an erster Stelle steht nunmal für dich dein Wohl) nicht hinnehmen.

Ich würde den Kontakt vollständig abbrechen. Wenn dies nicht möglich ist, würde ich ruhig bleiben aber trotzdem sachlich NICHT einlenken sondern immer wieder deutlich machen, dass die andere Person Grenzen überschreitet und Konsequenzen ziehen (zB zeitweiliger Kontaktabbruch, keine Besuche mehr, keine Gefallen mehr, nichts unter den Teppich kehren sondern konstant ansprechen, nie mehr gute Miene zu bösen Spiel machen).

Das mag unbequem sein - aber auch Vergebung wird hier niemals dazu führen, dass sich die Situation für dich bessert. Das ist ein Irrglaube. Denn es geht immer weiter.


Diana093023 
Fragesteller
 06.07.2021, 16:23

Wegen meiner Unsicherheit habe ich die Frage gestellt.

Ich denke nach einer Trennung ist zu vergeben wieder sinnvoll. Jedoch nicht solange man den Kontakt hält.

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Hallo Diana,

da ist schon was dran und wer Vergeben allen Ernstes als Zeichen menschlicher Schwäche definiert, der ist aus meiner Sicht einer dieser Pseudocoolen, die auch gepflegte Umgangsformen mit Bitte und Danke, Respekt, Ehrlichkeit oder das Stehen zu eigenen Gefühlen als Inbegriff von Schwäche und Unsicherheit einstufen - kurz gesagt Leute, die man unmöglich ernst nehmen kann und die in der Regel mit einem "wir-sind-jetzt-auch-wer"-Gehabe nerven.

Ich persönlich (m, 30) kann vergeben, aber nicht vergessen. Das meiste kann ich vergeben und vergessen, aber eben nicht alles. Ohne da jetzt näher drauf einzugehen: Ich habe viele dramatische Augenblicke erlebt ... und damit auch Gesten, die so entwürdigend und erniedrigend gewesen sind, dass ich sie nicht vergessen kann. Obwohl ich erst 30 bin, sind da echt schlimme Sachen vorgefallen. Manches kann man vielleicht begründen bzw. erklären, etwa durch emotionale Unreife durch Jugendliche oder "Bildungsresistente" oder eventuell unbedachte Äußerungen die nicht so gemeint aber dennoch ohne Ende beleidigend und entwürdigend gewesen sind, aber zu rechtfertigen vermag es das auch nicht.

Nein, manchen Leuten kann und will ich weder vergeben noch will ich ihnen das vergessen, was sie anderen angetan haben - teilweise sogar über den Tod hinaus. Aber da sagt mir mein Gefühl, dass es richtig ist und richtig war und weiterhin richtig sein wird. Und wenn das Gefühl einem das Okay gibt, ist es auch "okay". Also aus meiner Sicht.

Das muss jeder mit sich selber ausmachen und da kann sich auch niemand anmaßen in das, was ein anderer tun oder nicht tun bzw. vergeben oder nicht vergeben soll. Meine Freundin hat mir auch schon gesagt, ich sollte dem und dem doch vergeben ... aber manchmal kann ich es auch 20 Jahre später nicht und sehe es gar nicht ein. Egal, das Leben geht weiter - und mich belasten so alte Sachen auch nicht mehr. Ich stehe drüber, aber vergeben oder vergessen kann und will ich nicht. Es war zu schwerwiegend.

Die meisten Menschen ändern sich im Grunde ihres Herzens nie und verstellen sich nur geschickt, weil sie viel zu feige sind selbstkritisch nachzudenken und sich selbst mal auf den Prüfstand zu stellen. Kann ich verstehen, es ist aus eigener Erfahrung echt schwer und mancher hat vielleicht auch Angst davor, dass Lebenslügen wie Seifenblasen zerplatzen, wenn man nachdenkt und ins Gebet geht.

Kleines Beispiel: Als letztes Jahr eine ehemalige Mitschülerin kurz vor der 30 nach jahrelanger Krebs-Odyssee zu Grabe getragen wurde, sah ich nicht die Krebspatientin und Todkranke, sondern die Jugendliche, die sich über alles und jeden lustig machte; sie war die damalige "Klassenschönheit" - die aber, ohne dass ich schlecht reden will, damals sehr arrogant war und später nicht die Welt besser. Eine ganz tragische Sache, klar, aber so richtig Trauer empfand ich auch nicht, weil sie sehr unsympathisch gewesen war, oberflächlich und arrogant; sie hat sich immer über andere erhoben und lustig gemacht - auch über meine Familienverhältnisse. So was Demütigendes vergisst man nicht.

Außerdem hatte ich einen Lehrer, der wissentlich sexuelle Übergriffe auf Mädchen, aber auch Mobbing der ekligsten Art und ganz viel Leid wissentlich gebilligt hat, weil die Eltern der Drahtzieher zu seinem Freundeskreis gehörten. Der wusste ganz genau, was da los war und nahm es in Kauf, dass viele Kinder belästigt, gedemütigt, sogar befummelt und bedrängt worden sind von den Leuten, für die er privat der Duzfreund der Eltern und der liebe Übungsleiter im Sportverein war. Der Mann ist längst tot, aber das kann ich ihm nicht verzeihen. Und ich habe überhaupt kein Problem damit bzw. ein blütenreines Gewissen dabei.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wer sagt denn überhaupt, dass ich vergeben will? Vielleicht finde ich ja, dass manche Dinge nicht vergeben werden sollten? Soll ich jetzt etwa meinen vergewaltiger ausfindig machen und ihm sagen, dass das schon okay war, was er da getan hat? Ich finde irgendwie nicht. Und ich sehe auch nicht, dass ein Unrecht nachträglich zu legitimieren mich glücklicher machen soll.

In deiner konkreten Situation vermittelst du die Botschaft, dass du keine Grenzen hast und sie machen kann, was sie will. Was sie dann garantiert auch tun wird.

Da sollte man auch trennen zwischen Kommunikation und Gefühlen. Ich kann eine Grenze kommunizieren ("ich will x nicht") ohne wütend oder nachtragend oder sauer zu sein. Das halte ich auch für gesund und richtig. Sich kurz aufregen kann auch gut sein, weil Gefühle in sich hinein fressen auf Dauer nicht gut tut.

Ich denke, die Kunst ist ein Mittelweg. Erkennen, was man loslassen kann und will. Und was nicht.

Ich weiß allerdings nicht, warum es pauschal gut sein soll, immer darüber zu sprechen, dass man irgendwas vergeben hat. Nimm dein Beispiel. "ich verzeihe dir, dass du meine Grenze nicht respektiert hast" klingt nach einem prima Einstieg für den nächsten Streit. Halt über Grenzen diesmal.

Ich habe die Vergebung hierbei meistens als etwas interpretiert um mit einem Thema abzuschließen. Somit schließe ich zeitgleich mit dem Thema sowie ebenfalls mit der Person ab und befreie mich von dem Groll.

Wenn mich eine Person immer wieder und wieder in eine Position bringt in der ich vergeben muss hat sie nichts in meinem Leben zu suchen.

Ebenfalls gibt es aber auch Leute denen ich nicht wirklich vergeben kann aber dafür fehlt mir dann wahrscheinlich die mentale Stärke um dies immer zu schaffen.

Ich weiß aber nicht genau warum ich die andere Person unbedingt darüber informieren sollte wenn ich ihr vergeben habe.