Unterschied Gleichheit und Gerechtigkeit Ottfried Höffe?

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Otfried Höffe versteht Gleichheit als einen Kern der Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit bedeutet nach seiner Auffassung in sachlicher/objektiver Hinsicht (Gerechtigkeit als das Gerechte) die inhaltliche Richtigkeit des Rechts, in personaler/subjektiver Hinsicht (Gerechtigkeit als Einstellung einer Person) die Rechtschaffenheit einer Person.

Gleichheit in ethischer Hinsicht (Gleichheitsgebot) bedeutet nach seinem Verständnis: Menschen in gleichen Umständen sollen gleich handeln und gleich behandelt werden.

Gerechtigkeit folgt einem Prinzip der Gleichheit in einer Gleichheit vor dem Recht, als Willkürverbot bzw. Unparteilichkeit auf einer ersten Stufe, der Regelanwendung, und einer zweiten Stufe, der Regelfestsetzung/Regelbestimmung.

Bei der Gerechtigkeit gilt eine Gleichheit ohne Ansehen der Person im Bereich von Ausgleichen von rechtswidrigen Schädigungen und von Tausch.

Bei der Gerechtigkeit im Bereich von Austeilung (distributive Gerechtigkeit) gibt es nach Auffassung von Otfried Höffe mehrere Maßstäbe, das Prinzip der Gleichheit ist also nur eines davon und gilt nicht vollständig und uneingeschränkt. Genaue Gleichheit gilt bei Grundrechten (auf dem Menschsein beruhend, Wert als Mensch überhaupt, allen Menschen steht in dieser Hinsicht das Gleiche zu), allgemeinen Verfahrensregeln und einem Offenhalten von Chancen (Chancengleichheit). Es gibt aber Lebensbereiche, in denen andere Maßstäbe gelten, z. B. das Prinzip der Bedürftigkeit und das Prinzip der Leistung. In diesen Lebensbereichen bedeutet Gerechtigkeit nach Auffassung von Otfried Höffe nicht Gleichheit der Ergebnisse.

Otfried Höffe, Gerechtigkeit. In: Lexikon der Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. Originalausgabe, 7., neubearbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 2008 (Beck'sche Reihe ; 152), S. 98:

„Den Kern unserer Vorstellungen von G. bildet – neben den Ideen der unantastbaren Menschenwürde (↑ Humanität), der ↑ Freiheit u. der Solidarität: ↑Wohlwollen – das e Prinzip der ↑ Gleichheit: Menschen in gleichen Umständen sollen gleich handeln u . gleich behandelt werden (Gleichheitsgebot, vgl. ↑ Goldene Regel), negativ formuliert: jede willkürliche Ungleichbehandlung ist ungerecht (Willkürverbot).“

G. = Gerechtigkeit

u. = und

e = ethisch(e)

vgl. = vergleiche

Otfried Höffe: Gerechtigkeit I. Philosophie.

https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Gerechtigkeit

„Gemäß dem engen Zusammenhang mit dem Recht, in Übereinstimmung mit der interkulturell gültigen Goldenen Regel und in Verbindung mit dem Gedanken der Wechselseitigkeit bildet den Kern der G.s-Vorstellungen das Prinzip der Gleichheit bzw. das Gleichheitsgebot: Personen in gleichen Umständen sollen gleich handeln und gleich behandelt werden. Nach der negativen Formulierung, dem Willkürverbot, ist jede Ungleichbehandlung, die nicht aus ungleichen Sachverhalten folgt, ungerecht.“

„Die nähere Bestimmung der G. ist umstritten. Bei dem vielerorts vorherrschenden Gesichtspunkt – für Kritiker ein Dogma der internationalen G.s-Debatte –, der Verteilung von Rechten und Pflichten, Gütern und Lasten (austeilende oder distributive G.), gibt es v. a. drei Maßstäbe: Jedem das Gleiche, weil nach seinem Wert als Mensch überhaupt; jedem nach seiner Leistung oder Leistungsfähigkeit; jedem nach seinen Bedürfnissen. Gemäß der Idee der unantastbaren Menschenwürde und der Unverletzlichkeit der Person in Bezug auf die Grundrechte steht jedem das Gleiche zu, daher Menschenrechte: unveräußerliche Rechte jedes Menschen. Soziale Positionen und wirtschaftliche Güter dagegen sollen nach Leistungs-, nach Bedürfnisgesichtspunkten oder einer Verbindung beider verteilt werden. (Der individuelle Lohn richtet sich meist nach der Leistung, die Sozialhilfe nach Bedürftigkeit, die Steuern nach beidem: nach der Höhe des Lohns, aber auch nach Familienstand und Kinderzahl). Die genauen Regeln zu bestimmen gehört in den Aufgabenbereich der Politik, für die die Idee der G. eine normativ-kritische Funktion hat.

Allg. lässt sich sagen, dass zur unantastbaren Menschenwürde auch die elementare Existenzsicherung gehört, hier deshalb der Bedürfnisaspekt den Vorzug verdient, während die Ausgestaltung der eigenen Existenz der Freiheit des einzelnen zu überlassen ist. Dabei sind alle Güter, Positionen und Ämter grundsätzlich für jeden offenzuhalten, und die Ordnung des wirtschaftlich-sozialen Systems hat nicht dem Vorteil gewisser Gruppen, sondern dem Wohlergehen aller zu dienen.“

G. = Gerechtigkeit

v. a. = vor allem

Allg. = Allgemein

Otfried Höffe, Gerechtigkeit : eine philosophische Einführung. 6., durchgesehene Auflage. München : C.H. Beck, 2021 (C.H. Beck Wissen ; 21689), S. 9:

„Ursprünglich bedeutet Gerechtigkeit lediglich die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht. Bis heute heißt die dem Recht dienende Behörde, das Gerichtswesen, Justiz. Ohne die enge Bindung zum Recht aufzugeben, hat die Gerechtigkeit aber seit langem eine umfassendere und stärker moralische Bedeutung. Sie meint in erster Annäherung sowohl objektiv die inhaltliche Richtigkeit des Rechts als auch subjektiv die Rechtschaffenheit einer Person.“

S. 11: „Das den Menschen Gemeinsame setzt beim Gleichheitsgebot an: »Gleiche Fälle sind gleich zu behandeln«. Sowohl in seiner negativen Gestalt, als Willkürverbot, als auch in seiner positiven Gestalt, als Gebot der Unparteilichkeit, fordert es, Streitfälle ohne Ansehen der Person zu schlichten.“

„Diese Unparteilichkeit erster Stufe, die der Regelanwendung, genügt allerdings nicht. Sie ist vielmehr um eine Unparteilichkeit zweiter Stufe zu ergänzen, um die der Regelfestsetzung. Dabei ist nicht für alle Lebensbereiche eine einzige Regel zu erwarten. Bei den Grund- und Menschenrechten zählt die Gleichheit: »Jedem nach seinem Wert als Menschen überhaupt«. Für die elementare Existenzsicherung drängt sich der Bedürfnisaspekt auf: »Jedem nach seinen Bedürfnissen«. In der Arbeits- und Berufswelt kommt es auf das Leistungsprinzip an und in Strafverfahren auf die Schwere der Rechtsverletzung, verbunden mit dem Maß an subjektiver Schuld.“ 

Gleichheit: Dinge richtig tun, Gerechtigkeit: Die richtigen Dinge tun