Thermodynamisch kontrolliert und kinetisch kontrolliert?
Bei der Sulfonierung von zB Naphthalin ist es so, dass bei größerer Reaktionstemp. das thermodynamische Produkt entsteht und bei niedrigerer Temp. das kinetische Produkt entsteht. Ich verstehe das nicht ganz, denn ich hätte gedacht, dass bei hohen Temperaturen die Reaktionsgeschwindigkeit zunimmt und dadurch das kinetische Produkt bei bei hohen Temperaturen entsteht?
2 Antworten
"kinetisch" bezieht sich auf die "Kinetik" der verschiedenen möglichen Reaktionen. Insbesondere, wie schnell sie (bei bestimmten Temperaturen) ablaufen können.
Diese Geschwindigkeit hängt nicht so sehr vom thermodynamischen Gleichgewicht ab als vielmehr von der nötigen Aktivierungsenergie, also der Höhe des "Energieberges" zwischen Start und Ziel.
Mechanisches Beispielexperiment:
Stell zwei Plastikschüsseln ineinander. Die äußere sollte deutlich größer und deutlich höher sein als die innere.
In die innere gibst du ein paar Murmeln / Nüsse / ...
Halte beide Schüsseln zusammen und schüttele sie. Das entspricht der thermischen Anregung.
Die möglichen "Reaktionen" sind:
- eine Murmel fliegt aus der kleinen Schüssel in die große (oder umgekehrt)
- eine Murmel fliegt aus der kleinen Schüssel auf den Boden (oder umgekehrt)
- eine Murmel fliegt aus der großen Schüssel auf den Boden (oder umgekehrt)
Das thermodynamische Gleichgewicht ist offensichtlich, dass alle Murmeln auf dem Boden liegen. (Außer bei sehr starken Erdbeben).
Wenn du nur ganz sacht schüttelst, bleiben die Murmeln in der kleinen Schüssel. Das entspricht einer sehr niedrigen Temperatur. Hier sind alle Reaktionen kinetisch gehemmt.
Wenn du stärker schüttelst, reicht es, um viele Murmeln aus der kleinen in die große Schüssel fliegen zu lassen. Das entspricht Raumtemperatur. (Es reicht auch, dass ein paar wenige Murmeln auf den Fußboden fliegen, aber es sind nur wenige, weil die kinetische Hemmung durch den Rand der äußeren Schüssel zu groß ist.)
Wenn du sehr stark schüttelst (hohe Temperatur), landen natürlich (fast) alle Murmeln ziemlich schnell (hohe Reaktionsgeschwindigkeit) auf dem Boden (thermodynamisches Gleichgewicht).
Wir haben eine Reaktion, in der A in zwei Richtungen reagieren kann, entweder zu B oder zu C.
B ← A → C
Dabei sei B das stabilere Produkt, also ΔG(A→B) ist stärker negativ als ΔG(A→C). Andererseits sei die Reaktionsgeschwindigkeit für A→C größer als die für A→B. Die ΔG-Werte sind dabei von der Temperatur nicht wesentlich abhängig.
Dann ist B das thermodynamisch begünstigte Produkt, und C das kinetisch begünstigte Produkt.
Bei niedriger Temperatur läuft die Reaktion kinetisch kontrolliert ab: Die Reaktion A→C ist schnell genug, daß sich C bildet, dagegen ist A→B so langsam, daß keine merklichen Mengen B bilden.
Bei hoher Temperatur sind beide Reaktionskanäle offen, A reagiert also zu B und C. Aber auch die Umkehrreaktion C→A und B→A finden statt, so daß sich das chemische Gleichgewicht zwischen A,B und C einstellt — das liegt aber laut Annahme auf der Seite von B. Daher bekommen wir viel B und wenig bis kein C. Das nennt man dann thermodynamisch kontrolliert.
Ja, genau. Zwischen Reaktionsenergien und Aktivierungsenergien gibt es ja keinen Zusammenhang — deshalb kann die Reaktion mit der größeren (negativeren) Reaktionsenergie auch mal die größere (positivere) Aktivierungsenergie haben, und die mit der kleineren (weniger negativen) Reaktionsenergie die kleinere (weniger positive) Aktivierungsenergie.
Wenn das der Fall ist, dann hat man oft die Möglichkeit, die Reaktion je nach Temperatur kinetisch oder thermodynamisch kontrolliert laufen zu lassen.
Blöd ist natürlich im umgekehrten Fall: Das stabilere Produkt (negativere Reaktionsenergie) hat die kleinere Aktivierungsenergie, und die alternative Reaktion liefert das instabilere Produkt mit der höheren Aktivierungsenergie. Dann ist bei hohen und tiefen Temperaturen immer nur der erste Reaktionskanal zugänglich, und man kann sich das Produkt nicht so schön aussuchen.
(Vielleicht bekommt man aber wieder die Wahl, wenn man einen speziellen Katalysator verwendet, oder das Lösungsmittel wechselt, oder den pH verschiebt, oder statt der blonden eine schwarzhaarige Laborantin den Kolben putzen läßt. Organiker sind da sehr erfinderisch)
Die Reaktionsgeschwindigkeit von A-->C ist größer, weil die Aktivierungsenergie kleiner ist? (falls ich das richtig verstanden habe)