Stimmt es dass es früher unüblich war mit dem anderem geschlecht befreundet zu sein also vor 100-200 jahren?

7 Antworten

Stimmt es dass es früher unüblich war mit dem anderem geschlecht befreundet zu sein also vor 100-200 jahren?

Das sind so Klischees, die sich hartnäckig halten. Freundschaften zwischen Männern und Frauen hat es immer gegeben. Dagegen gab es nur wenige Vorbehalte.

Anders sah es mit unehelichen Liebesbeziehungen aus. In bürgerlichen und adeligen Kreisen waren sie grundsätzlich verpönt, weil sie das Ansehen der betreffenden Frauen - bei Männern tolerierte man außereheliche Liebesverhältnisse schon eher, zumal wenn sie Frauen aus den unteren Schichten betraf - und ihrer Familien erheblich schädigte. Auf dem Heiratsmarkt verringerten sich ihre Chancen deutlich. Uneheliche Kinder in diesen Familien waren vollends eine Katastrophe.

In den kleinbürgerlichen und Unterschichten waren die Anschauungen zwar ähnlich, dennoch wurden uneheliche Liebesverhältnisse eher toleriert. Das hatte damit zu tun, dass oftmals das Geld für reguläre Eheschließungen fehlte und eine Kinderschar kaum zu unterhalten war. Abtreibungen kamen trotz Verbots nicht selten vor. Die Einkommen waren so gering, dass im 19. Jahrhundert für die Arbeiterfamilien notwendige Kinderarbeit gerade in der Industrie mit ihren negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Bildung der Kinder ein bedenkliches Phänomen wurde. Die Situation besserte sich im Kaiserreich, gut ausgebildete Facharbeiter stiegen in die kleinbürgerlichen Schichten auf, weil ihre Löhne sich deutlich verbesserten, Kinderarbeit wurde weitgehend zurückgedrängt und die Schulpflicht durchgesetzt, denn das Reich brauchte Facharbeiter und Soldaten, die gesund waren und die grundlegenden Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens beherrschten.

Nach dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik scheinen sich die Einstellungen in den Familien zu außerehelichen Liebesbeziehungen ein wenig gewandelt zu haben. Aber das war nur ein Phänomen der Großstädte, und auch in diesen in bürgerlichen Schichten nach wie vor nicht gerne gesehen. Diese Einstellung wurde ungebrochen durch die Nazizeit bis in die frühe Bundesrepublik weitergetragen. Erst die Generationen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg - Stichwort: 1968er Bewegung - leiteten einen Wandel ein. Heute stören sich nur noch wenige Menschen daran, wenn es uneheliche Lebensgemeinschaften gibt. Tat sich die Politik damit anfangs noch schwer, so hat sie allmählich auch die Gesetzgebung dahingehend angepasst, uneheliche Lebensgemeinschaften unter staatlichen Schutz zu stellen und zu privilegieren. Bis in die 1970er/80er Jahre wäre das kaum denkbar gewesen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.

Ja, es stimmt, dass es früher unüblicher war, mit dem anderen Geschlecht befreundet zu sein. Die Gründe dafür waren u. a. geschlechtsspezifische Rollen, die Bedeutung der Ehe und Familie sowie konservative Sitten und Moral. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich die gesellschaftlichen Normen dann gewandelt, und Freundschaften zwischen Mann und Frau sind heute viel akzeptierter und werden als ganz normal angesehen.

Da nie auch sexuelle Kontakte ausgeschlossen werden konnten, war das damals bei uns ähnlich unüblich wie heute noch in streng muslimischen Gesellschaften. Ohne anwesende "Anstandsdamen" die als moralische Aufpasser fungierten, lief nichts. Schutz vor unanständigen Handlungen durch mehr-Augen-Prinzip. Kinder durften noch befreundet sein, aber mit Pubertät war Schluß.

Das war sehr verschieden und kam auf die Kultur und sogar auf die Subkultur an.

Lies mal einen Roman von Jane Austen. Sie erzählt, wie Menschen gelebt und geliebt haben in der Zeit von König Edward in England (Anfang 19. Jh.).

Sie gehörte dem sogenannten Landadel an. Das waren Gutsbesitzer, die aber in der Regel keinen Adelstitel hatten.

In dieser Gesellschaft war es absolut undenkbar, dass sich ein unverheirateter Mann und eine unverheiratete Frau auch nur allein zusammen in einem Zimmer aufhielten!

Genau so undenkbar war es, dass eine solche Frau und ein solcher Mann sich einen Brief schrieben (eine ihrer Heldinnen tut das "verbotenerweise" trotzdem, musste aber etwas aushecken, wie sie den Brief überbringen konnte, und wie sie dem Mann erklärt, warum sie zu einem so "unerhörten" Mittel greift).

Die moralischen Vorstellungen waren also sehr streng in dieser spezifischen Gesellschaftsschicht. Das ist aber wohl eher ein Extrembeispiel!

Vor allem waren die Kontaktmöglichkeiten stark beschränkt. Selbst Ehefrauen standen unter der Weisungsbefugnis des Mannes.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Lehrer u. Fachbetreuer für Mathematik und Physik i.R.