Sind wir Biocomputer die Biochemisch gesteuert werden?

17 Antworten

Gemäß der Systemischen Evolutionstheorie sind Lebewesen (aber Unternehmen und Bienenstöcke auch) Kompetenzverlust vermeidende Systeme. Sie sind bestrebt, ihre Kompetenzen gegenüber der Umwelt (wozu auch unser soziales Umfeld gehört) zu bewahren.

Man kann das ziemlich gut über den 2. Hauptsatz der Thermodynamik erklären, gemäß dem sich alle unwahrscheinlicheren Zustände in unserem Universum in Richtung wahrscheinlichere hin bewegen. Ein System, das großes Wissen (große Kompetenzen) über seine Umgebung besitzt, ist aber ein extrem unwahrscheinlicher Zustand. Folglich muss es fortlaufend Ressourcen aus seiner Umwelt beschaffen, um seinen unwahrscheinlichen Zustand bzw. seine Kompetenzen nicht zu verlieren. Gehen die Kompetenzen verloren, ist es dazu nicht mehr in der Lage und es stirbt und scheidet aus der Evolution aus.

Selbsterhalt und Fortpflanzung sind in diesem Sinne nur 2 Formen des Kompetenzerhalts mit unterschiedlichen Zeitpräferenzen: Selbsterhalt bedeutet Kompetenzerhalt mit hoher Zeitpräferenz (sofortiger Kompetenzerhalt), Fortpflanzung hingegen Kompetenzerhalt mit niedriger Zeitpräferenz (= über das eigene Leben hinaus). Bei der Fortpflanzung (allerdings auch bei der Erziehung, Sozialisation und der Schaffung von kulturellen Produkten) wird versucht, die eigenen Kompetenzen an andere weiter zu geben und sie hierdurch zu bewahren.

Man kann also, wenn man so will, Lebewesen letztlich als ein physikalisches Phänomen unseres Universums deuten.

Damit geht aber keineswegs einher, dass die solchermaßen entstandenen Systeme von vornherein in ihrem Handeln und Entscheiden festgelegt sind, wie man es aus deinem Text herauslesen könnte. Im Gegenteil. Das Leben hat anfänglich so begonnen, dass alle Lebensraumkompetenzen in den Genen (in der DNA) tradiert wurden. Alle einfachen Lebewesen sind rein genetische Wesen. Im Laufe der Zeit hat die Evolution dann aber "herausgefunden", dass mehr Flexibilität von Vorteil ist. Lebewesen, die bereits zu Lebzeiten auf veränderte Situationen flexibel reagieren können, haben im obigen Sinne Vorteile. Der Mensch hat das eindrucksvoll vorgeführt. Insoweit haben wir sicherlich die Möglichkeit, unsere eigenen Erfahrungen zu machen und ggf. ganz unterschiedliche Entscheidungen zu fällen, anders als z. B. ein Huhn, das weitestgehend in seinem Verhalten genetisch festgelegt ist.

Ob wir aber einen echten freien Willen besitzen, darüber wird noch spekuliert. Ich persönlich kann es mir nicht vorstellen, wo sollte der herkommen? Meiner Meinung nach spricht viel dafür, dass Entscheidungen in unserem Gehirn längst gefallen sind, wenn wir eine Entscheidung bewusst als solche wahrnehmen.

Das ist alles stark vereinfacht ausgedrückt, aber letztlich richtig. Die Frage ist eben, was man als Individuum daraus macht. Lässt man sich nur von Instinkten, Hormonen etc. treiben oder versucht man, mit Verstand gegen einiges davon anzugehen. Beispiel: Es gibt Leute, die sich sehr schnell zu anderen hingezogen fühlen. Man kann dem natürlich nachgeben und von einem Bett ins andere springen. Oder man kann sich fragen: Passt der Mensch zu mir? Will ich eine Beziehung mit ihm? Oder reicht mir weniger? Und sich dann nüchtern entscheiden.

RanjitHuber  28.07.2013, 17:42

Ich denke die Frage ist etwas tiefgreifender: Denn auch dein Verstand, mit welchem man "gegen gewisse Triebe" angehen will ist ja biochemisch, besser gesagt neurochemisch gesteuert.

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Jerne79  28.07.2013, 21:14
@RanjitHuber

Wenn man aber den Menschen völlig auf Triebe reduziert, wird man der Sache wohl auch nicht gerecht. Natürlich gibt es solche Menschen, aber was macht man dann mit jenen, die z.B. schon allein aus beruflichen Gründen unvoreingenommen sein müssen? Bzgl. Emotionen werden wir uns sicher einig, aber den menschlichen Verstand bekommen wir nicht komplett aus der Geschichte raus.

Um es vielleicht an einem Beispiel festzumachen: Spätestens wenn eigene Interessen nicht ins Gewicht fallen, ist der Mensch doch zu nüchternem abwägen fähig. Nehmen wir z.B. einen Richter während der Verhandlung, der gezwungen ist, nicht nach Sympathie oder Bauchgefühl zu entscheiden, sondern die Fakten zu bedenken. Spätestens da muss man dem Menschen ein Stück weit Beherrschung der eigenen Biochemie zugestehen. Wenn auch vielleicht nicht zwingend allen. ;)

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RanjitHuber  05.09.2013, 23:21
@Jerne79

muss man dem Menschen ein Stück weit Beherrschung der eigenen Biochemie zugestehen

Beherrschung der eigenen Biochemie womit denn? Mit "dem Verstand"? Auch dein Verstand ist ja nichts anderes als neuronale Prozesse in deinem Gehirn. Gegen diese können wir uns nicht wehren. Womit denn auch? Mit dem Verstand? etc. etc. ;-)

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  • Natürlich liegen allen Verhaltensweisen, Gedanken, Gefühlen, Entscheidungen und Erinnerungen des Menschen letztlich biochemische Reaktionen zugrunde. Das ist wissenschaftlicher Fakt.
  • Nur in religiösen oder esoterischen Vorstellungen sind Dinge wie "Leben", "Gefühle" oder "Seele" unabhängig von der Materie und ihren biochemischen Prozessen. In Wahrheit ist alles Physik, Chemie, Biochemie.
  • Liebe ist ein komplexes, evolutives hoch-optimiertes Gefühl, das soziale Bindungen und Aufzucht des Nachwuchses erleichtert. Genau wie alle anderen Gefühle ist Liebe evolutiv entstanden und hat für die menschliche Species offensichtlich ganz erhebliche Vorteile.
  • Trotz all dieser nüchternen Fakten ist es doch aber immer noch so, dass wir eine Identität haben, eigene Entscheidungen treffen, Gefühle fühlen, Gedanken denken und so weiter. Wir sind wir. Die Tatsache, dass das alles auf biochemischen Prozessen beruht, schmälert doch nicht unser Dasein.
Traktor  28.07.2013, 10:47

Spricht was dagegen, daß die Liebe ein Gefühlscocktail ist, der uns mit den intensivsten Wohlgefühlen versorgt, deren Minderung oder gar Wegfall uns sehr schmerzhafte "Kontragefühle" beschert und uns sogar dazu bringen kann, andere Menschen zu töten?

Spricht was dagegen, daß Liebe deshalb auch gerne zur schönsten Selbsttäuschung wird mit entsprechenden Folgen für die vielen anderen Beziehungen, die ja im Grunde nichts anderes sind als Partnerschaften mit dem Ziel gemeinsamer Zufriedenheit?

Wir sollen ja gar nicht so selten schwindeln, tricksen, täuschen, lügen, um das zu erreichen, was wir mehr oder weniger bewußt anstreben ...

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Kajjo  28.07.2013, 23:09
@Traktor

Gewiss kann Liebe ein "Gefühlscocktail" sein, also eine Kombination mehrerer Gefühle. Letztlich sind alle Gefühle ja komplexe Empfindungen und auf dem derzeitigen Stand des Wissens ist es nicht möglich zu sagen, was "Basisgefühle" sind oder ob alle Gefühlsregungen komplex sind.

Gewiss kann es Gefühle geben, deren Abwesenheit wiederum andere Gefühle auslöst. Ob dies bei Liebe so ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber soziale Interaktion und gegenseitige Zuneigung und Wertschätzung ist wohl für Menschen sehr wichtig.

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Eigentlich stimmt deine These. Man nennt diese Erkenntnisse auch "Die Kränkungen der Menschheit". Nummer eins ist die Tatsache, das die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, Nummer zwei die Tatsache, das wir auch nur Tiere sind und Nummer drei die Tatsache, das wir keinen freien Willen haben, sondern auch in vielen Bereichen nur Trieb- und Instinktgesteuert sind.

Die menschliche Liebe zu seinen Kindern ist im Grunde nur eine stark ausgeprägte K-Strategie. Es gibt zwei verschiedene, wie gesagt schon die K-Strategie. Sie steht für hoch spezialisierten aber wenig Nachwuchs, das man sich viel um die Kinder kümmert, ihnen Dinge beibringt etc. Das extremste Beispiel dafür sind die Menschen. Sehr wenig Nachwuchs, dafür viel Tradition, viel von Generation zu Generation übergebenes Wissen, lange Kindheit, späte Reife. Das andere sind r-Strategen. Nehmen wir als Beispiel Frösche, die legen einfach jedes Jahr ihre hunderte Eier in den Teich und kümmern sich danach null drum. Die Masse macht es nun mal, das davon welche weiterkommen.

Die Entwicklung der Liebe zum Kind verstärkt es nochmal, das wir uns um es kümmern, uns in Gefahr begeben würden um es zu beschützen, das wir ihm alles lehren, was wir gelernt haben. Ein (Selektions) Vorteil gegenüber anderen.

Bei der Liebe zwischen Mann und Frau, da gibt es Unstimmigkeiten. Ich würde behaupten, das der Mensch schon zur Monogamie tendiert, wobei das aber auch sehr stark durch die Gesellschaft geprägt ist. In anderen Ländern herrscht Polyandrie oder Polygynie und die Liebe zwischen Mann und Frau ist schon anders.

Egal aber wie sie nun geformt ist. Auch Liebe zwischen Menschen in einer Beziehung ist ein Selektionsvorteil und nicht einzigartig. Auch Pinguine zum Beispiel hegen sehr tiefe Bindungen zum Partner, schließlich sind sie auch sehr stark von einander abhängig. Der Kinderwunsch ist so stark geworden, das es gar nicht unbedingt mehr das eigene Kind sein muss, was man groß zieht. Nach dem von einigen Eltern die Eier leider erfroren sind mit dem Embryo drin, kommt es danach zu Kämpfen, weil die Mütter die Eier oder schon geschlüpften Kinder anderer klauen wollen, nachdem sie erst einmal ausgiebig getrauert haben.

So wie aber schon Richard Dawkins sagte: „Alle Fragen über das Leben haben die gleiche Antwort: natürliche Selektion.“ Wenn etwas ein Selektionsnachteil gewesen wäre, würde es nicht exitstieren.

Irgendwo ist es ja schon eine Kränkung, wir leben hier auf dem Planeten, Instinkt gesteuert wollen wir unsere Gene weitergeben an die nächste Generation, sind in 3 Generationen schon fast komplett vergessen und irgendwann wird der Planet eh nur noch ein aufgeschmolzener Lavaball sein, weil unsere Sonne ein roter Riese ist. Alles war nüchtern betrachtet für die Katz. Aber so schlimm die Wahrheit ist, das heißt nicht, das wir nun alle ein deprimiertes Leben führen müssen, die Natur schenkte uns, das wir Freude verspüren können und warum sollten wir das nicht tun und uns Mühe geben die Erde zu einer besseren Heimat zu machen für zukünftige Generationen, das ist nun mal der Sinn des Lebens, aus biologischer Sicht.

Eumel200 
Fragesteller
 03.08.2013, 16:32

Du hast vollkommen Recht und ich finde deine Antwort sehr gut und detailliert,gefällt mir. Ich weiss,dass wenn man alles ein wenig nüchtern betrachtet,wie die Dinge eben sind,so wie du auch bereits geschrieben hattest,dass man früher oder später wohl depressiv davon werden würde,das ist mir auch schon sehr oft in den kopf geschossen,nur fällt es einem einfach schwerer,sich das Leben durch die Tatsachen bunter auszumahlen,als es ist und mit einer rosaroten Brille durchs Leben zu gehen,aber im Endeffekt,hat man keine andere Wahl,als es sich bunt auszunahlen,bevor man depressiv wird.

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Hi, und nein wir sind keine "Biocomputer"! Wir sind Geschöpfe Gottes 8auch wenn du das nicht glauben möchtest). das steht auch in einem sehr berühmten Buch. Aber trotzdem interessante Frage! Viele Grüße

Eumel200 
Fragesteller
 04.08.2013, 20:22

Naja,dass wir geschöpfe,eines auch von den Menschen erfundenen "Gottes" sind,überzeugt mich am aller wenigsten...

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