Schopenhauer-Aussage, was ist mit dem Zitat gemeint?

5 Antworten

Artur Schopenhauer verneint in der Abhandlung, aus der die Aussage stammt, die Existenz menschlicher Willensfreiheit. Seiner Auffassung nach hat der Mensch Handlungsfreiheit, aber keine Freiheit des Willens.

Der Mensch könne unter gegebenen Umständen insofern nicht anders handeln, als er tatsächlich handelt, als er nur etwas etwas Bestimmtes (dieses Eine) wollen könne.

Von außen betrachtet gelte ein ausnahmsloses Kausalgesetz, von innen betrachtet das Gesetz der Motivation, nach dem sich das stärkste Motiv durchsetzt.

Die Abhandlung ist ziemlich klar und mit Scharfsinn geschrieben, aber die Argumentation ist in manchen Punkten anfechtbar.

Der Satz ist kein wörtliches Schopenhauer-Zitat, sondern eine ein wenig zusammenfassende Wiedergabe. Er taucht in Erörterungen zum Thema häufig auf.

Geert Keil, Willensfreiheit. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston, Massachusetts : de Gruyter, 2013 (Grundthemen Philosophie), S.2:
„Aber was ist Willensfreiheit? Der Sinn der Frage, ob der Wille selbst frei sei, versteht sich nicht von selbst. Wenn Handlungsfreiheit die Freiheit ist, zu tun, was man will, könnte Willensfreiheit die Freiheit sein, zu wollen, was man will. Willensfreiheit zu besitzen müsste dann die Freiheit einschließen, etwas anderes zu wollen, als man tatsächlich will. […]. Ist gemeint, dass man sich aussuchen kann, was man will? Ein solcher Begriff von Willensfreiheit ist von vielen Philosophen kritisiert worden. […].

Nach Schopenhauer kann der Mensch kann tun, was er will, nicht aber wollen, was er will.“

Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften (2., verbesserte und vermehrte Auflage 1860). I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens. II. Der Wille vor dem Selbstbewußtseyn.

„Das Selbstbewußtseyn eines Jeden sagt sehr deutlich aus, daß er thun kann was er will. Da nun auch die entgegengesetzte Handlungen als von ihm gewollt gedacht werden können; so folgt allerdings, daß er auch Entgegengesetztes thun kann, wenn er will. Dies verwechselt nun der rohe Verstand damit, daß er, in einem gegebenen Fall, auch Entgegengesetztes wollen könne, und nennt dies die Freiheit des Willens. Allein daß er, in einem gegebenen Fall, auch Entgegengesetztes wollen könne, ist schlechterdings nicht in obiger Aussage enthalten, sondern bloß dies, daß von zwei entgegengesetzten Handlungen, er, wenn er diese will, sie thun kann, und wenn er jene will, sie ebenfalls thun kann: ob er aber die eine so wohl als die andere, im gegebenen Fall, wollen könne, bleibt dadurch unausgemacht und ist Gegenstand einer tiefern Untersuchung, als durch das bloße Selbstbewußtseyn entschieden werden kann.“

„Also jene unleugbare Aussage des Selbstbewußtseyns „ich kann thun, was ich will“ enthält und entscheidet durchaus nichts über die Freiheit des Willens, als welche darin bestehen müsse, daß der jedesmalige Willensakt selbst, im einzelnen individuellen Fall, also bei gegebenen individuellen Charakter, nicht durch die äußeren Umstände, in denen hier der Mensch sich befindet, nothwendig bestimmt würde, sondern jetzt so und auch anders ausfallen könnte. Hierüber aber bleibt das Selbstbewußtseyn völlig stumm: denn die Sache liegt ganz außer seinem Bereich; da sie auf dem Kausalverhältnis zwischen der Außenwelt und dem Menschen beruht.“

„Die berichtigte Antwort auf sein Thema aber würde, wie ich im folgenden Abschnitt außer Zweifel zu setzen hoffe, lauten: „Du kannst thun, was du willst: aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblicke deines Lebens, nur Ein Bestimmtes wollen und schlechterdings nichts anderes, als dieses Eine.““

In der zeitlichen und räumlichen Erscheinungswelt gilt entsprechend dem Grundsatz vom zureichenden Grunde ein striktes, ausnahmsloses Kausalgesetz. Nach Arthur Schopenhauer ist der Satz vom zureichenden Grund (Nichts ist ohne Grund, warum es sei und nicht vielmehr nicht sei) ein Urgesetz des menschlichen Verstandes und der allgemeinste Ausdruck für die Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit von Bewußtseinsinhalten aller Art. Er drückt die apriorische (aller Erfahrung vorausgehende; dies greift Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, auf) Verbindung aller Vorstellungen des Subjekts aus. Alle Dinge, die uns auf irgendeine Art erscheinen (Objekte), sind Vorstellungen eines wahrnehmenden und denkenden Ichs (Subjekt).

Das Kausalgesetz gilt also apriori (vor aller Erfahrung). Denn es stellt die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt dar. Bei Objekten der Außenwelt geschehe auf eine gegebene Ursache eine Folge mit zwangsläufiger Notwendigkeit. Wenn die Innenwelt betrachtet wird, gilt ebenso ein Kausalverhältnis. Das stärkste Motiv/der stärkste Beweggrund setzt sich durch. Bei der Motivation liege nur eine besondere Ausformung eines allgemeinen Kausalprinzips vor.

Albrecht  17.07.2013, 21:45

Nach Schopenhauers Auffassung ist der empirische Charakter eines individuellen Menschen angeboren, gleichbleibend und unveränderlich (konstant).

Schopenhauers Argumentation ist von zweifelhaften metaphysischen Annahmen abhängig, insbesondere der einer vor jeder Erfahrung geltenden durchgängigen Kausalität in der Art einer zwangsläufigen Notwendigkeit und der eines angeboren unveränderlichen Charakters, der ohne Spielraum festgelegt ist, indem nach ihm ein Individuum im Grunde die Verwirklichung eines einzigen der Welt zugrundlegenden, nicht von Vernunft geleiteten oder mit ihr verbundenen Willens ist.

Wie dennoch Verantwortung bestehen kann, erörtert Schopenhauer in seiner Schrift „Ueber die Freiheit des Willens“ im letzten Abschnitt (V. Schluß und höhere Ansicht.) Eine Tatsache des Bewußtseins sei allerdings ein deutliches Gefühl der Verantwortung. Ein Gefühl der Zurechnungsfähigkeit beruhe auf einer unerschütterlichen Gewißheit, selbst Täter der eigenen Taten zu sein. Die Verantwortlichkeit, die im Bewußtsein auftritt, treffe im Grunde den Charakter, für den sich Jemand verantwortlich fühlt. „Der Charakter ist die empirisch erkannte, beharrliche und unveränderliche Beschaffenheit eines individuellen Willens.“ Ein „Ich will“ begleite alle Handlungen. Es sei das Bewußtsein eines zweiten Faktors (neben dem Motiv) der Handlung, der aber für sich allein ganz unfähig ist, die Handlung hervorzubringen, bei Eintritt des Motivs hingegen unfähig, die Handlung zu unterlassen.

Indem der Mensch in Tätigkeit versetzt werde, gebe er seine Beschaffenheit dem Erkenntnisvermögen kund, lerne also die Beschaffenheit seinen eigenen Willen erst aus seinen Handlungen kennen. Diese nähere und immer innigere Bekanntschaft sei eigentlich das, was man Gewissen nennt.

Schopenhauer knüpft (mit einer gewissen Eigensinnigkeit, indem der Menschen bei ihm vorrangig ein wollendes, nicht aber ein denkendes Wesen ist und indem er das Ding an sich der intelligiblen Welt zuordnet und Aussagen über es zur Grundlage macht, während bei Kant das Ding an sich selbst eine Grenze der Erkenntnis darstellt ) an Immanuel Kant an, der zwischen einer empirischen Welt und einer intelligiblen Welt unterscheid. Beim empirischem Charakter gibt es keine Willensfreiheit, beim intelligiblen Charakter eine moralische Freiheit, indem Verantwortung sich darauf gründet, daß alles darauf ankommt, was einer ist. Nach Schopenhauer liegt Freiheit nicht in einzelnen Handlungen, sondern im intelligiblen Charakter, dem ganzen Sein und Wesen (lateinisch: existentia et essentia) des Menschen selbst, das als freie Tat, als Werk seiner selbst gedacht werden müsse.

Schopenhauers Metaphysik unterscheidet die Welt als Wille (Ding an sich) und Vorstellung (Erscheinung). Die Welt als Ding an sich ist keine Erscheinungsform, nicht zeitlich-räumlich und auch nicht an Kausalität (als einer bloßen Form der Erscheinung) gebunden und ihren Gesetzen unterworfen. Der intelligible Charakter des Menschen, das heißt sein Wille als Ding an sich, außerhalb der Erscheinungswelt, ist frei.

Durch Erkundung seines Charakters und eine danach ausgerichtete Vermeidung von Situationen kann innerhalb des Denkansatzes Schopenhauers im Grunde nicht Willensfreiheit existieren und er sagt sogar aus, daß zwar Erkenntnis über sich selbst erreichbar sei, dies aber nicht an der notwendigen Bestimmung ändere.

Wie Schopenhauer sich die Sache denkt, läßt sich zwar nachvollziehen, doch halte ich Zweifel für berechtigt. Wie sich die beiden Welten zueinander verhalten, bliebt ungeklärt. Der intelligible Charakter ist nach Schopenhauer die Grundlage des empirischen Willens. Wenn seine Überlegungen zur Willensfreiheit richtig sind, kann von dorther (dieser Grundlage des intelligiblen Charakters) kein Spielraum für handelnde Menschen begründet werden, der Voraussetzung für echte Verantwortung ist.

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Albrecht  17.07.2013, 21:46

Nach Schopenhauer ist die Welt in ihrer Tiefenschicht ein blinder Wille, der als Ding an sich ohne Ziel, Sinn und Grund (ohne Beweggrund) wirkt und jeder Vorstellung zugrundeliegt. Jeder Willensakt sei ein Streben, aber einzelne individuelle Willensakte hätten einen Ursprung, eine Motivation. In seiner Mitleidsethik versteht Schopenhauer die moralisch wertvolle Tat als Verneinung der Grundtriebfeder Egoismus und Widerspiegelung einer Einsicht, die Trennung zwischen Ich und Du als Täuschung zu erkennen. Die Individuen seien alle Erscheinungen des Willens, Objektationen, mit denen eine Idee, ein Entwurf sich vergegenständlicht, in die Erscheinungswelt eintritt. Dies werde beim Mitleid durchschaut, der innere Widerstreit und die wesentliche Nichtigkeit des Willens der getrennten Individuen zum Leben erkannt. Die unmittelbare Teilnahme erkenne und empfinde intuitiv im Leidenden sich selbst, sein eigenes Wesen. Die Identifikation mit dem anderen, dessen Wohl und Wehe könne die Macht des Egoismus brechen. Schopenhauer tritt für die Verneinung des Willens zum Leben als Weg zur Erlösung ein (Zustand freiwilliger Entsagung). Wo der Wille sein Wollen verloren habe, sei auch die Macht der Natur außer Kraft gesetzt. Der Wille und seine Verneinung seien nicht dem Satz vom Grunde unterworfen, sie gehörten einer metaphysischen Wirklichkeit an. Die Verneinung des Willens führe aus dem Naturzusammenhang heraus.

In seiner Mitleidsethik nimmt Schopenhauer zumindest für einige Menschen Willensfreiheit an, indem die Verneinung des Willens zum Leben im Mitleid die Macht des Egoismus bricht. Eine befriedigende Erklärung, wie dies möglichst sein kann, obwohl seine Abhandlung zur Willensfreiheit dafür keinen Raum läßt, bietet er nicht.

Nach Schopenhauer kann der Mensch durch Erkenntnis doch (wenn auch nur in seltenen Ausnahmefällen) Willensfreiheit erreichen, nämlich durch eine besondere Einsicht, das Durchschauen des Prinzip der Individuation (principium individuationis), des Einzeldaseins alles Lebendigen. Er ändert dabei seinen Charakter nicht, sondern hebt ihn auf. Erkenntnis meint beim Mitleid einen vorbegrifflichen, vorrationalen Zustand, in dem der Mensch anders sieht und anders will.

Angesichts der miteinander kaum verträglichen Spannungen und Widersprüche der Aussagen ist die Überzeugungskraft wackelig. Wenn so etwas möglich ist, muß ja etwas an der Argumentation gegen die Existenz der Willensfreiheit falsch sein.

Arthur Schopenhauers, Die Welt als Wille und Vorstellung I 4 § 53 – 70 enthält Darlegungen, wie sich Schopenhauer die Begründung von Verantwortung denkt.

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Albrecht  17.07.2013, 21:47

§ 55: „Daß der Wille als solcher frei sei, folgt schon daraus, daß er, nach unserer Ansicht, das Ding an sich, der Gehalt aller Erscheinung ist. Diese hingegen kennen wir als durchweg dem Satz vom Grunde unterworfen, in seinen vier Gestaltungen: und da wir wissen, daß Nothwendigkeit durchaus identisch ist mit Folge aus gegebenem Grunde, und Beides Wechselbegriffe sind; so ist Alles was zur Erscheinung gehört, d.h. Objekt für das als Individuum erkennende Subjekt ist, einerseits Grund, andererseits Folge, und in dieser letztern Eigenschaft durchweg nothwendig bestimmt, kann daher in keiner Beziehung anders seyn, als es ist. Der ganze Inhalt der Natur, Ihre gesammten Erscheinungen, sind also durchaus nothwendig, und die Nothwendigkeit jedes Theils, jeder Erscheinung, jeder Begebenheit, läßt sich jedesmal nachweisen, indem der Grund zu finden seyn muß, von dem sie als Folge abhängt. Dies leidet keine Ausnahme: es folgt aus der unbeschränkten Gültigkeit des Satzes vom Grunde. Andererseits nun aber ist uns diese nämliche Welt, in allen ihren Erscheinungen, Objektität des Willens, welcher, da er nicht selbst Erscheinung, nicht Vorstellung oder Objekt, sondern Ding an sich ist, auch nicht dem Satz vom Grunde, der Form alles Objekts, unterworfen, also nicht als Folge durch einen Grund bestimmt ist, also keine Nothwendigkeit kennt, d.h. frei ist. Der Begriff der Freiheit ist also eigentlich ein negativer, indem sein Inhalt bloß die Verneinung der Nothwendigkeit, d.h. des dem Satz vom Grund gemäßen Verhältnisses der Folge zu ihrem Grunde ist.“

„Der Mensch ist, wie jeder andere Theil der Natur, Objektität des Willens: daher gilt alles Gesagte auch von ihm. Wie jedes Ding in der Natur seine Kräfte und Qualitäten hat, die auf bestimmte Einwirkung bestimmt reagiren und seinen Charakter ausmachen; so hat auch er seinen Charakter, aus dem die Motive seine Handlungen hervorrufen, mit Nothwendigkeit. In dieser Handlungsweise selbst offenbart sich sein empirischer Charakter, in diesem aber wieder sein intelligibler Charakter, der Wille an sich, dessen determinirte Erscheinung er ist. Aber der Mensch ist die vollkommenste Erscheinung des Willens, welche, um zu bestehn, wie im zweiten Buche gezeigt, von einem so hohen Grade von Erkenntniß beleuchtet werden mußte, daß in dieser sogar eine völlig adäquate Wiederholung des Wesens der Welt, unter der Form der Vorstellung, welches die Auffassung der Ideen, der reine Spiegel der Welt ist, möglich ward, wie wir sie im dritten Buche kennen gelernt haben. Im Menschen also kann der Wille zum völligen Selbstbewußtseyn, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens, wie es sich in der ganzen Welt abspiegelt, gelangen. Aus dem wirklichen Vorhandensein dieses Grades von Erkenntniß geht, wie wir im vorigen Buche sahen, die Kunst hervor. Am Ende unserer ganzen Betrachtung wird sich aber auch ergeben, daß durch die selbe Erkenntniß, indem der Wille sie auf sich selbst bezieht, eine Aufhebung und Selbstverneinung desselben, in seiner vollkommensten Erscheinung, möglich ist: so daß die Freiheit, welche sonst, als nur dem Ding an sich zukommend, nie in der Erscheinung sich zeigen kann, in solchem Fall auch in dieser hervortritt und, indem sie das der Erscheinung zum Grunde liegende Wesen aufhebt, während diese selbst in der Zeit noch fortdauert, einen Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst hervorbringt und gerade dadurch die Phänomene der Heiligkeit und Selbstverleugnung darstellt.“

§ 70: „Der Schlüssel zur Vereinigung dieser Widersprüche liegt aber darin, daß der Zustand, in welchem der Charakter der Macht der Motive entzogen ist, nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise. So lange nämlich die Erkenntniß keine andere, als die im principio individuationis befangene, dem Satz vom Grunde schlechthin nachgehende ist, ist auch die Gewalt der Motive unwiderstehlich: wann aber das principum individuationis durchschaut, die Ideen, ja das Wesen der Dinge an sich, als der selbe Wille in Allem, unmittelbar erkannt wird, und aus dieser Erkenntniß ein allgemeines Quietiv des Wollens hervorgeht; dann werden die einzelnen Motive unwirksam, weil die ihnen entsprechende Erkenntnißweise, durch eine ganz andere verdunkelt, zurückgetreten ist. Daher kann der Charakter sich zwar nimmermehr theilweise ändern, sondern muß, mit der Konsequenz eines Naturgesetzes, im Einzelnen den Willen ausführen, dessen Erscheinung er im Ganzen ist; aber eben dieses Ganze, der Charakter selbst, kann völlig aufgehoben werden, durch die oben angegebene Veränderung der Erkenntniß."

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Xstar 
Fragesteller
 17.07.2013, 21:51
@Albrecht

Danke für die Antwort, damit muss ich mich erstmal intensiv auseinandersetzen!

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Albrecht  20.07.2013, 00:11

Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften (2., verbesserte und vermehrte Auflage 1860). II. Der Wille vor dem Selbstbewußtseyn.

„Bei einem solchen succesiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive unter steter Begleitung des inneren „ich kann thun was ich will“ dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm hinhält, succesiv nach allen als möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesen Punkt fixieren; welches bloße Täuschung ist. Denn sein „ich kann dies wollen“ ist in Wahrheit hypothetisch und führt den Beisatz mit sich „wenn ich nicht lieber jenes Andere wollte:“ der aber hebt jedes Wollenkönnen auf.“

„Ich kann thun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, Alles, was ich habe, den Armen geben und dadurch selbst einer werden, - wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, und zwar in dem Maaße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können, dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen."

„Es ist durchaus weder Metapher noch Hyperbel, sondern ganz trockene und buchstäbliche Wahrheit, daß, so wenig eine Kugel auf dem Billard in Bewegung geratken kann, ehe sie einen Stoß erhält, ebenso wenig ein Mensch von seinem Stuhle aufstehen kann, ehe ein Motiv ihn weg zieht oder treibt; dann aber ist sein Aufstehen so nothwendig und unausbleiblich, wie das Rollen einer Kugel nach dem Stoße.“

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Das Zitat lautet komplett so:

Ich kann thun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, Alles, was ich habe, den Armen geben und dadurch selbst einer werden, - wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen,; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, und zwar in dem Maße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können, dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen."

(Schopenhauer in zehn Bänden, Zürich 1977, Bd. VI, S. 82)

Dies ist immer das Ausgangszitat für den Beleg, dass der Mensch eben keinen "freien Willen" hat, wie das v. a. christliche Religionsapologeten behaupten, um die Theodizee in ihrem Sinne zu begründen.

Schopenhauer ist in all seinen Denkstrukturen streitbar, aber hier hat er total Recht! Wichtig ist hier folgende Frage zu beantworten: würde ein Mensch unter den gleichen Umständen, unter den gleichen Bedingungen und in der selben Situation genau die gleiche Entscheidung ein zweites Mal wieder fällen?

Es gibt dazu hervorragende Experimente, z. B. aus dem Jahr 1979 von Benjamin Libet (musst Du googeln) oder von den Neurologen Prof. G. Roth aus Bremen und Prof. W. Singer aus Frankfurt. Auch ein gewisser John-Dylan Haynes vom Max-Planck-Institut Leipzig hat dazu Versuchsreihen gestaltet.

Fazit von deren Experimenten (die Schopenhauer eben Recht geben): Wir wollen, was unser Gehirn bereits für uns entschieden hat. Unser Gehirn hat offenbar seine Entscheidung längst getroffen, ehe wir "meinen", uns mit "freiem Willen" bewusst zu entscheiden.

Albrecht  20.07.2013, 01:24

Eine behauptete Lenkung durch Gott (bzw. Gottheiten) ist auch eine der grundsätzliche Herangehensweisen (neben einer Berufung auf Schicksal oder Naturgesetzlichkeit) zur Bestreitung der Existenz von Freiheit beim Wollen der Menschen. Die Aussage, freier Wille werde vor allem von christlichen Religionsapologeten behauptet, schiebt in der philosophischen Diskussion wichtige Verfechter der Freiheit mit ganz anderen Argumentationen als nebensächlich und in der Anzahl gering beiseite, was nicht zutreffend ist.

Ob ein Mensch unter gleichen Umständen, gleichen Bedingungen und in derselben Situation genau die gleiche Entscheidung träfe, ist als solches gar nicht empirisch in einem Experiment nachprüfbar, weil dazu eine Rückwärtsbewegung in der Zeit stattfinden müßte.

Bisher hat kein Experiment die Freiheit menschlicher Willensbildung widerlegt. Diskutiert wird, welche Schlußfolgerungen aus bestimmten Experimenten gezogen werden können und welche nicht. Was als „Fazit“ genannt wird, ist nur eine von mehreren verschiedenen Deutungen und ist auf Einwände und Widerspruch gestoßen.

Die Trennung zwischen „Ich“ und Gehirn, als ob das Gehirn ein steuerndes Subjekt sei und das Ich irgendetwas, das davon abgekoppelt daneben besteht („Wir wollen, was unser Gehirn bereits für uns entschieden hat“), ist seltsam und sehr begründungsbedürftig.

Bei neurologisch argumentierenden Verfechtern eines strikt notwendigen Ablaufs besteht oft eine Neigung zu Vorannahmen und begrifflichen Grundlagen im Bereich der Hirnforschung, die Fehlschlüsse (falsche Schlüsse vom Teil auf das Ganze) sind (vgl. als Kritik daran: Maxwell R. Bennett/Peter M. S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften. Aus dem Englischen übersetzt von Axel Walter. Mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010, besonders S. 87 – 142). Sie geben eine Darstellung des Gehirns (oder Teile von ihm) wie ein handelndes Subjekt, das (statt der Person insgesamt) Träger von Wahrnehmungen, Denken, Fühlen und Entscheidungen ist, also weit mehr als Ort des Geschehens. Ein Gehirn ist kein Subjekt. Ein Standpunkt kann die These sein, das Gehirn allein sei ausschlaggebend. Dann sollten ihm aber keine Handlungen zugeschrieben werden, sondern nur etwas wie Vorgänge bzw. Prozesse, die ablaufen. Bei einer anderen Auffassung als der, daß eine Person denkt und das Gehirn ein Werkzeug (Organ) des Denkens ist, fehlt ein Subjekt und eine Redeweise, das Gehirn denke, wolle, entscheide, beginne eine Handlung (und Ähnliches), ist nicht folgerichtig. Es handelt sich um einen Kategorienfehler. Wenn tatsächlich das Gehirn alles steuert, ohne irgendein Lenken einer Person, kann es keine Entscheidungen und Handlungen geben, sondern nur etwas, das Quasi-Entscheidung und Quasi-Handlung genannt werden kann.

Das Treffen einer Entscheidung selbst kann nicht gemessen werden, sondern Hirnaktivität. Welche neuronalen Vorgänge in welcher Art eventuell Korrelate (Entsprechungen) zu mentalen (geistigen) Vorgängen sein könnten, ist ein kompliziertes Problem und auf keinen Fall schon restlos geklärt. Ein Auftreten im Bewußtsein im Sinn einer Vergegenwärtigung im Nachdenken ist überhaupt nicht anders als nachfolgend zu erwarten. Ein Bereitschaftspotential geht voraus. Das Bereitschaftspotential allein ist aber noch keine völlige Festlegung (ist kein nicht mehr rückgängig machbarer Handlungsimpuls). Wenn bei dem Drücken eines Knopfes mit dem linken oder rechten Zeigefinger eine Trefferquote von 60 Prozent erreicht wird, ist dies keine durchschlagende Widerlegung (bloßer Zufall wäre 50 Prozent). Eine zwangsläufige Notwendigkeit wird (von Einwänden anderer Art abgesehen) mit etwas, das deutlich unter (annähernd) 100 Prozent liegt, auf keinen Fall nachgewiesen.

Geert Keil, Willensfreiheit. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston, Massachusetts : de Gruyter, 2013 (Grundthemen Philosophie), S. 179 – 216 enthält eine Erörterung, welche tatsächliche Aussagekraft empirische Befunde haben, und eine Argumentation mit Einwänden gegen Folgerungen, eine zwangsläufige Notwendigkeit sei damit nachgewiesen.

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LSSBB  20.07.2013, 21:10
@Albrecht

Albrecht, danke für Deine Sachlichkeit!

Lassen wir es bei Deiner Feststellung:

auf keinen Fall schon restlos geklärt.>

Es gibt genug Tests, die belegen, dass das mit der "Freiheit des Willens" sehr problematisch ist. In jedem Fall stehe ich zu meiner Aussage, dass diese These vom "freien Willen" von der Verantwortung des (hier) christlichen Gottes für die Machenschaften seiner "Schöpfung" ablenken und "ihn" entschuldigen soll!

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Mit der Aussage vetritt er vermutlich die Stellung, dass der Mensch keinen "freien Willen" habe. Aber ohne den dazu gehörigen Kontext kann man das natürlich nur vermuten.

Wir wollen unsere Triebe befriedigen, jedoch können wir die Triebe nicht verändern und steuren. Es geht in dem Satz von Schopenhauer vor allem und den freien Willen und dass dieser Wille von Gefühlen, Erfahrungen aber auch Urinstinkten gesteuert ist und wir ihn nicht selbst steuern können. Dadurch wollte er zum Ausdruck bringen, dass der Mensch keinen freien Willen besitzt.

Die Möglichkeiten eines jeden Menschen sind begrenzt, er hat keine Macht über sein Wollen.