Quantitativer und Qualitativer Utilitarismus?

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Beim quantitativen Utilitarismus kommt es für die Beurteilung allein auf die Quantität (die Menge/das Ausmaß) der Empfindungen von Lust/Freude (und von Schmerz/Leid) an.

Beim qualitativen Utilitarismus kommt es dagegen für die Beurteilung auch auf die Qualität der Empfindungen von Lust/Freude an. Bestimmte Arten von Lust/Freude werden als wünschenswerter und wertvoller als andere Arten beurteilt.

John Stuart Mill hat den von Jeremy Bentham begründeten ursprünglichen »klassischen« Utilitarismus etwas verändert, aber auch dessen Grundsätze vertreten. Zu diesen sowohl von Bentham als auch von Mill vertretenen Grundsätzen gehört, das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen anzustreben.

Ursprünglich wurde im Utilitarismus ausschließlich nach Quantität beurteilt, indem es auf die Menge/das Ausmaß an Empfindungen von Lust/Freude ankommt und jede Art von Lust/Freude dabei gleich viel zählt.

Als Kriterien/relevante Faktoren/Gesichtspunkte nennt Jeremy Bentham bestimmte Umstände (circumstances) bzw. Elemente/Bestandteile (elements).

1) Intensität (intensity): Stärke/Grad/Eindringlichkeit der Empfindung von Lust/Freude oder Schmerz/Leid

2) Dauer (duration): zeitliche Erstreckung, in der die Empfindung besteht

3) Gewißheit/Ungewißheit (certainty/incertainty): Wahrscheinlichkeit/Unwahrscheinlichkeit des Eintretens der Folge

4) (zeitliche) Nähe/Ferne (propinquity/remoteness): Es geht darum, ob das Eintreten einer bestimmten Folge einer Handlung sofort, bald oder erst deutlich später erwartet wird.

5) Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit/Folgenträchtigkeit (fecundity): Aussicht/Wahrscheinlichkeit, daß einer Handlung weitere Empfindungen der gleichen Art folgen, eine Handlung also über die direkten Folgen hinaus noch neue Lust/Freude bzw. Schmerz/Leid nach sich zieht

6) Reinheit (purity): Aussicht/Wahrscheinlichkeit, daß einer Handlung Empfindungen der entgegengesetzten Art folgen, ob also Lust/Freude durch Schmerz/Leid getrübt wird, die der Handlung - als mit ihr der Tendenz nach verbunden - nachfolgen

7) Ausmaß/Verbreitung/Wirkungsradius (extent): Anzahl der Betroffenen, auf die sich die Handlung erstreckt/die von ihr betroffen sind

qualitativer Utilitarismus

Nach Auffassung von John Stuart Mill können nicht nur quantitative Unterschiede (Menge/Ausmaß des Glücks/der Lust/der Freude) in der Beurteilung einer Handlung eine Rolle spielen, sondern auch qualitative Unterschiede (die Beschaffenheit), wobei bestimmte Arten von Glück/Lust/Freude als wünschenswerter und wertvoller beurteilt werden.

John Stuart Mill beurteilt bei der Lust/Freude diejenige von zweien für wünschenswerter und wertvoller, die - ungeachtet des Gefühls, eine von beiden aus moralischen Gründen vorziehen zu müssen - von allen oder fast allen, die beide erfahren haben und gut urteilsfähig sind, entschieden bevorzugt wird. Wer aufgrund von Erfahrung die besten Vergleichsmöglichkeiten hat, entscheidet, indem er etwas bevorzugt, was wünschenswerter ist.

Neben körperlich-sinnlichen Lüsten/Freuden nennt Mill auch Tätigkeit des Verstandes, des Empfindens, der Vorstellungskraft/Phantasie und des moralischen Gefühls. Höherrangig als z. B. Essen und Sex (die von ihm als angenehm anerkannt bleiben) ist nach Mills Meinung z. B. der Besuch und das Anhören eines schönen Konzerts, das Lesen eines guten Buches und die Anerkennung und innere Freude schöpferischer und sozialer Tätigkeiten.

Seiner Meinung nach ist es, wenn eine von zwei Freuden weit über andere gestellt wird (indem jemand sie auch beim Wissen, größere Unzufriedenheit zu verursachen, nicht gegen noch so viele andere Freuden eintauschen mag), berechtigt, jener Freude eine höhere Qualität zuzuschreiben. Diese übertreffe die der Quantität so weit, daß diese im Vergleich dazu nur gering ins Gewicht falle. Es sei nun aber eine unbestreitbare Tatsache, daß diejenigen, die mit beiden gleichermaßen bekannt sind und für beide gleichermaßen empfänglich sind, der Lebensweise entschieden den Vorzug geben, an der auch die höheren Fähigkeiten (z. B. Vernunftbegabung des Menschen) beteiligt sind.

Bei einem qualitativen Utilitarismus werden losgelöst von der Quantität der Empfindungen von Lust/Freude bestimmte Arten von Lust/Freude höher gewertet (rechnerisch könnte dies als Multiplikation mit einem hohen Faktor gedacht werden).

Glück und Zufriedenheit

Bei der Bevorzugung einer Freude mit höherwertiger Qualität ist unter dem Gesichtspunkt von (eigener) Zufriedenheit oder Unzufriedenheit die Unterscheidung der Begriffe »Glück« und »Zufriedenheit« zu berücksichtigen, die Mill vornimmt.

Höher begabte und mit größeren Fähigkeiten ausgestattete Wesen sind anspruchsvoller und verlangen mehr, um sich völlig glücklich zu fühlen. Sie sind zu mehr Glück fähig und können trotzdem insofern unzufrieden sein, als sie nach mehr streben und immer das Gefühl haben, von der Welt nur ein unvollkommenes Glück erwarten zu können. Zufriedenheit und Glück sind verschiedene Begriffe. Ein Wesen mit großen Fähigkeiten zum Genießen ist weniger leicht voll zufriedengestellt. Trotzdem ist dieses Streben nach Ausschöpfung in der Entfaltung der Fähigkeiten für sie nach Mills Urteil die bessere Daseinsweise.

Der Gedanke bei Mill ist: Ein Schwein hat nicht so hohe Begabungen und große Fähigkeiten wie ein Mensch, ist daher auch nicht so anspruchsvoll und leichter zufriedenzustellen als ein Mensch. Ein Mensch ist zu mehr Glück als ein Schwein fähig, er hat die Möglichkeit zu Freuden höherer Qualität. Auch wenn nicht volle Zufriedenheit erreicht wird, ist daher sein Leben vorzuziehen (es ist bessser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufriedengestelltes Schwein). Ein Mensch ist zu einem Leben in der Lage, das in qualitativer Hinsicht reicher an Lust/Freude ist als das Leben eines Schweines.

Nach Auffassung von Mill können Menschen nicht nur Freuden der bloßen Sinnlicheit erleben, sondern auch Freuden des Verstandes, der Empfindung, der Vorstellungskraft und des sittlichen Gefühls.

John Stuart Mill, Der Utilitarismus. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Dieter Birnbacher. Durchgesehene Ausgabe. Stuttgart : Reclam, 1985 (Universal-Bibliothek ; Nr. 9821), S. 17 – 18:  

„Wer meint, daß diese Bevorzugung des Höheren ein Opfer an Glück bedeutet – daß das höhere Wesen unter den gleichen Umständen nicht glücklicher sein können als das niedrigere - , vermengt die zwei durchaus verschiedenen Begriffe des Glücks [happiness] und der Zufriedenheit [content]. Es ist unbestreitbar, daß ein Wesen mit geringerer Fähigkeit zum Genuß die besten Aussichten hat, voll zufriedengestellt zu werden; während ein Wesen von höheren Fähigkeiten stets das Gefühl haben kann, daß alles Glück, das es von der Welt, wie sie beschaffen ist, erwarten kann, unvollkommen ist. Aber wenn diese Unvollkommenheiten überhaupt nur erträglich sind, kann es lernen, mit ihnen zu leben, statt die anderen zu beneiden, denen diese Unvollkommenheiten nur deshalb nicht bewußt sind, weil sie sich von den Vollkommenheiten keine Vorstellung machen können, mit denen diese verglichen werden. Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.“

mlsakdrjaj  24.07.2020, 11:55

hallo, bin 2 jahre danach dran Ups.. aber hättest du vielleicht ein konkretes Fallbeispiel indem der qualitative und der quantitative Utilitarismus vorkommen können? bin ein bisschen am verzweifeln da ich bald eine Präsentation habe.. danke

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Albrecht  24.07.2020, 14:48
@mlsakdrjaj

Es kann an eine Entscheidungssituation zwischen einer Handlungsoption A gedacht Handlungsoption B gedacht werden, bei der ein qualitativer und der quantitativer Utilitarismus zu voneinander unterschiedlichen Beurteilungen führen.

Jemand kann in einem Restaurant bei einigem Warten noch einen leckeren Nachtisch (Dessert) bekommen oder rechtzeitig aufbrechen, um ein schönes Konzert/eine schöne Opernaufführung (oder eine andere hochwertige musikalische Veranstaltung) zu besuchen. Nach einem qualitativen Maßstab wäre aber die musikalische Veranstaltung überlegen.

Quantitativ sind das Essen und die musikalische Veranstaltung in der Menge der Lust/Freude gleich oder das Essen im Vergleich etwas überlegen. Nach einem quantitativen Utilitarismus wäre in dieser Situation das Essen des Nachtisch (Desserts) richtig oder zumindest nicht falsch. Nach einem quantitativen Utilitarismus wäre in dieser Situation der Besuch der musikalischen Veranstaltung richtig und das Essen des Nachtisch (Desserts) falsch.

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