Ethik Bentham / Mill?

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Jeremy Bentham und John Stuart Mill vertreten einen »klassischen« Utilitarismus und haben dessen Grundsätze gemeinsam.

Bei Mill gibt es eine gewisse Milderung und Aufweichung einiger Grundsätze. Hinzufügungen/Ergänzungen und Erläuterungen, die Mill unternimmt, führen zu Unterschieden:

  • Einführung einer Unterscheidung zwischen qualitativen Arten von Glück/Lust/Freude (qualitativer Utilitarismus) bei Mill: Bei Bentham ist der Utilitarismus rein quantitativ, Mill hat einen qualitativen Utilitarismus hinzugefügt.
  • Einführung von Handlungsregeln als Sekundärprinzipien mit einer einer gewissen eigenständigen Verbindlichkeit für das, was moralisch geboten ist (wie gehandelt werden soll), bei Mill, wobei die Regeln Ausnahmen haben können: Mill betont, die Nützlichkeit einer Handlung erweise sich oft nicht unmittelbar, sondern erst bei Überlegung ihrer Folgen bei regelmäßiger Anwendung. Das Nützlichkeitsprinzip, das Primärprinzip ist, wird in etwas konkretere, lehr- und lernbare Anleitungen umgeformt. Beispielsweise ist Wahrheitsliebe und damit ein Verbot zu lügen insgesamt nützlich, weil eine Abweichung von ihr (Verletzung des Sekundärprinzips) die Vertrauenswürdigkeit menschlicher Äußerungen untergräbt, von der gesellschaftliches Wohlergehen abhängt und die Voraussetzung von Kultur und Sitte ist, wobei die Regel Ausnahmen hat (z. B. Verweigerung einer Auskunft an einen Übeltäter).

qualitativer Utilitarismus

Beim quantitativen Utilitarismus (Bentham) kommt es für die Beurteilung allein auf die Quantität (die Menge/das Ausmaß) der Empfindungen von Lust/Freude (und von Schmerz/Leid) an.

Beim qualitativen Utilitarismus (Mill) kommt es dagegen für die Beurteilung auch auf die Qualität der Empfindungen von Lust/Freude an. Bestimmte Arten von Lust/Freude werden als wünschenswerter und wertvoller als andere Arten beurteilt.

Nach Auffassung von John Stuart Mill können nicht nur quantitative Unterschiede (Menge/Ausmaß des Glücks/der Lust/der Freude) in der Beurteilung einer Handlung eine Rolle spielen, sondern auch qualitative Unterschiede (die Beschaffenheit).

John Stuart Mill beurteilt bei der Lust/Freude diejenige von zweien für wünschenswerter und wertvoller, die - ungeachtet des Gefühls, eine von beiden aus moralischen Gründen vorziehen zu müssen - von allen oder fast allen, die beide erfahren haben und gut urteilsfähig sind, entschieden bevorzugt wird. Wer aufgrund von Erfahrung die besten Vergleichsmöglichkeiten hat, entscheidet, indem er etwas bevorzugt, was wünschenswerter ist.

Neben körperlich-sinnlichen Lüsten/Freuden nennt Mill auch Tätigkeit des Verstandes, des Empfindens, der Vorstellungskraft/Phantasie und des moralischen Gefühls. Höherrangig als z. B. Essen und Sex (die von ihm als angenehm anerkannt bleiben) ist nach Mills Meinung z. B. der Besuch und das Anhören eines schönen Konzerts, das Lesen eines guten Buches und die Anerkennung und innere Freude schöpferischer und sozialer Tätigkeiten.

Seiner Meinung nach ist es, wenn eine von zwei Freuden weit über andere gestellt wird (indem jemand sie auch beim Wissen, größere Unzufriedenheit zu verursachen, nicht gegen noch so viele andere Freuden eintauschen mag), berechtigt, jener Freude eine höhere Qualität zuzuschreiben. Diese übertreffe die der Quantität so weit, daß diese im Vergleich dazu nur gering ins Gewicht falle. Es sei nun aber eine unbestreitbare Tatsache, daß diejenigen, die mit beiden gleichermaßen bekannt sind und für beide gleichermaßen empfänglich sind, der Lebensweise entschieden den Vorzug geben, an der auch die höheren Fähigkeiten (z. B. Vernunftbegabung des Menschen) beteiligt sind.

Bei einem qualitativen Utilitarismus werden losgelöst von der Quantität der Empfindungen von Lust/Freude bestimmte Arten von Lust/Freude höher gewertet (rechnerisch könnte dies als Multiplikation mit einem hohen Faktor gedacht werden).

Bei der Bevorzugung einer Freude mit höherwertiger Qualität ist unter dem Gesichtspunkt von (eigener) Zufriedenheit oder Unzufriedenheit die Unterscheidung der Begriffe »Glück« und »Zufriedenheit« zu berücksichtigen, die Mill vornimmt.

Höher begabte und mit größeren Fähigkeiten ausgestattete Wesen sind anspruchsvoller und verlangen mehr, um sich völlig glücklich zu fühlen. Sie sind zu mehr Glück fähig und können trotzdem insofern unzufrieden sein, als sie nach mehr streben und immer das Gefühl haben, von der Welt nur ein unvollkommenes Glück erwarten zu können. Zufriedenheit und Glück sind verschiedene Begriffe. Ein Wesen mit großen Fähigkeiten zum Genießen ist weniger leicht voll zufriedengestellt. Trotzdem ist dieses Streben nach Ausschöpfung in der Entfaltung der Fähigkeiten für sie nach Mills Urteil die bessere Daseinsweise.

Der Gedanke bei Mill ist: Ein Schwein hat nicht so hohe Begabungen und große Fähigkeiten wie ein Mensch, ist daher auch nicht so anspruchsvoll und leichter zufriedenzustellen als ein Mensch. Ein Mensch ist zu mehr Glück als ein Schwein fähig, er hat die Möglichkeit zu Freuden höherer Qualität. Auch wenn nicht volle Zufriedenheit erreicht wird, ist daher sein Leben vorzuziehen (es ist bessser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufriedengestelltes Schwein). Ein Mensch ist zu einem Leben in der Lage, das in qualitativer Hinsicht reicher an Lust/Freude ist als das Leben eines Schweines.

Bei Mill kommt es, auch infolge eines Versuchs, in einer Werbung für den Utilitarismus ein Stück weit Bestandteile von Tugendethik, Goldener Regel, Christentum und Gefühlsethik in die Darlegung einzubauen (das Prinzip der Nützlichkeit auch für Menschen, die andere Ausgangspunkte in ihren ethischen Überzeugungen haben, annehmbar erscheinen zu lassen), zu einer gewissen Relativierung/Aufweichung von Grundsätzen des »klassischen« Utilitarismus: Eine Handlungsregel als Sekundärprinzip ist eine gewisse Aufweichung des Konsequentialismus (Folgenprinzips; für die ethische Bewertung einer Handlung sind allein die Folgen ausschalggebend), der qualitative Utilitarismus eine gewisse Aufweichung des Hedonismus.

qulkuu 
Fragesteller
 04.06.2020, 21:13

Kommt spät aber : Danke !!! Hat mir sehr geholfen

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