Bentham - Freude/Leid in zweiter Linie?

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Worin der Unterschied besteht, ist zu entnehmen:

Jeremy Bentham, An introduction to the principles of morals and legislation (1780). Chapter IV: Value of a lot of pleasure or pain, how to be measured (Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung. Kapitel 4: Wie der Wert einer Menge an Freude oder Leid gemessen werden kann)

Der Wert einer Freude/einer Lust/eines Vergnügens (pleasure) oder eines Leids (pain) wird von Jeremy Bentham im hedonistischen Kalkül (das einer rationalen Wahl dient) aufgrund bestimmter Kriterien/relevanter Faktoren berechnet. In der theoretischen Annahme ist die Berechnung quantitativ. Die Handlungsalternative mit dem höchsten Wert ist die richtige. Bentham verwendet quantitative (bzw. nach seiner Meinung quantifizierbare) Gesichtspunkte. Als Kriterien/relevanter Faktorennennt er bestimmte Umstände (circumstances).

Um den Wert der allgemeinen Tendenz einer Handlung (die Richtung, in die sie hinzielt bzw. sich hinbewegt), von der die Interessen einer Gemeinschaft (community) betroffen sind, genau zu berechnen, gibt Bentham ein Vorgehen an.

Von jeder unmittelbar betroffenen Person wird in Berechnung gestellt:

  • Wert jeder unterscheidbaren Freude, die von ihr in erster Linie (in the first instance) hervorgebracht wird

  • Wert jedes Leids, das von ihr in erster Linie (in the first instance) hervorgebracht wird

  • Wert jeder Freude, die von ihr in zweiter Linie (after the first) hervorgebracht wird

  • Wert jedes Leids, das von ihr in zweiter Linie (after the first) hervorgebracht wird

Die Werte der Freuden auf der einen Seite und der Leiden auf der anderen Seite werden jeweils zu einer Summe addiert und gegeneinander abgewogen, was die gute oder schlechte Tendenz der Handlung insgesamt hinsichtlich der Interessen dieser individuellen Person ergibt.

Der Vorgang wird bei allen Personen, deren Interessen betroffen sind, wiederholt und die Tendenz für die ganze Anzahl der Gemeinschaft der betroffenen Individuen ermittelt.

Der Wert von Freude oder Leid in erster Linie ist offenbar der Wert von Freude oder Leid für sich selbst betrachtet. Dieser Wert wird entsprechend folgender Umstände größer oder kleiner sein:

1) Intensität (intensity)

2) Dauer (duration)

3) Gewißheit/ Ungewißheit (certainty/incertainty), also Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Folge

4) (zeitliche) Nähe/Ferne (propinquity/remoteness)

Diese Umstände sind Eigenschaften der Freude oder des Leids selbst.

Bei der Betrachtung des Wertes von Freude oder Leid sind für die Aufgabe/den Zweck, die Tendenz einer Handlung einzuschätzen, noch zwei weitere Umstände zu berücksichtigen:

5) Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit (fecundity): Möglichkeit, daß eine Freude weitere Freuden nach sich zieht

6) Reinheit (purity): Möglichkeit, daß die Freude durch ein damit verbundenes Leid getrübt wird

Diese zwei Umstände (Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit und Reinheit) sind strikt genommen kaum Eigenschaften/Merkmale der Freude oder des Leids selbst und für den Wert dieser Freude oder dieses Leids in Rechnung zu stellen, sondern sie sind strikt genommen nur Eigenschaften/Merkmale der Handlung oder eines anderen Ereignisse, wodurch Freude oder Leid hervorgebracht worden ist. Entsprechend sind diese Umstände nur der Tendenz einer solchen Handlung oder einer solchen Ereignisses in Rechnung zu stellen.

Um diese zwei Umstände (Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit und Reinheit) geht es anscheinend beim Wert von Freude oder Leid in zweiter Linie. Denn Bentham schreibt, daß der Wert in zweiter Linie (after the first) die Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit der ersten Freude (gemeint ist anscheinend die Freude in erster Linie) und des ersten Leids und die Unreinheit des ersten Leids und der ersten Freude begründet/herstellt/schafft.

Ein weiterer Umstand der zu berücksichtigen ist (wobei es sich hinsichtlich des Wertes von Freude oder Leid in erster Linie und in zweiter Linie ebenso verhält):

7) Ausmaß/Verbreitung/Wirkungsradius (extent): Anzahl der Betroffenen, auf die sich die Handlung erstreckt/die von ihr betroffen sind