negative Integration

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Der Begriff „negative Integration“ wird am besten inhaltlich erläutert. Integration ist die Herstellung eines Ganzen (einer Gemeinschaft). Bestimmte Regeln und/oder Werte sind eine gemeinsame Grundlage, die akzeptiert wird. Negativ ist sie, wenn eine Verneinung die wesentliche Grundlage bildet (irgendwer oder irgendetwas wird abgelehnt). Dabei sind zwei Blickrichtungen möglich:

1) Eine Gruppe erfährt Ablehnung, Druck, Verfolgung, Ausgrenzung, Diskriminierung, Unterdrückung und schließt sich gegen ihre Gegner zusammen.

2) Verschiedene Gruppen werden in der Ablehnung und Bekämpfung eines Feindes geeint.

Kulturkampf und Sozialistengesetz haben die betreffenden Gruppen (kirchennahe Katholiken, sozialdemokratische/sozialistische Arbeiterbewegung) nicht aufgelöst, sondern zu ihrem inneren Zusammenschließen und einer gemeinsamen Frontstellung beigetragen. Sie entwickelten langanhaltende Vorbehalte, Abneigungen, und Feindschaften/Gegnerschaften, auch wenn die Zentrumspartei nach beginnender Beilegung des Kulturkampfes auch bei manchen Angelegenheiten die Regierung unterstützte (zunächst eher punktuell). Katholiken und Sozialdemokraten haben sich andererseits auch gerade wegen gegen sie gerichteter Anschuldigungen und Verleumdungen (Abstempelung als „Reichsfeinde“) teilweise bemüht, sich als gute Patrioten zu zeigen.

Beim Kulturkampf handelte es ich um einen Gegensatz zwischen Staatsautorität und Autorität der Kirche. Bismarck rechtfertigte den „Kulturkampf“ mit der Verteidigung staatlicher Interessen, die durch die katholische Kirche gefährdet seien. Er begründete die Maßnahmen als Abwehr reichsfeindlicher Gesinnung. Er warf dem politischen Katholizismus Bekämpfung der nationalen Einheit vor. Nationale Minderheiten im Deutschen Reich mit katholischer Religion wie die Polen und die dadurch aufgeworfene Probleme verstärkten Bismarcks Einstellung. Die Katholiken, besonders die Ultramontanen (lateinisch „ultra montes“ = „jenseits der Berge“, als südlich der Alpen, wo der Vatikan liegt) sah er als Befehlsempfänger des Papstes. Bismarck unterstellte sogar die Neigung, sich mit den ebenfalls als „Reichsfeinde“ abgestempelten Sozialisten zu verbünden.

Wenn „negative Integration“ als Herrschaftstechnik gemeint ist, geht es um die geschickte Ausnutzung erzeugter Furcht. Die bekämpfte Gruppe soll als ernsthafte Gefahr erscheinen.

Bismarck hat in vielen Fällen gerne eine innenpolitische Polarisierung betrieben. Ein Ziel war eine Mehrheit sich zum Teil widerstreitender Kräfte hinter sich zu bringen (zu sammeln) und gegen jemand als Feind zu führen („Reichstreue“ gegen „Reichfeinde“). Bei dieser Mehrheit, innerhalb derer es auch Konflikte gibt, kann unter Umständen zumindest ein Teil einem Druck ausgesetzt sein, bestimmte Auffassungen und Anliegen zurückzustellen. Dann wird ein Stück weit der Eigenwille gebrochen. Beim Kulturkampf waren Liberalen aufgrund ihrer antiklerikalen Ausrichtung mit Überzeugung dabei, allerdings hatten manche Bedenken bei bei der Beeinträchtigung von Bürgerrechten.

Tatsächlich war die Zusammenführung begrenzt, auch wenn z. B. bei der Reichtagswahl 1878 eine Frontstellung gegen Sozialisten prägend war. Viele Konservative unterstützen im Kulturkampf die Regierung eher widerwillig und halbherzig. Die inneren Konflikte innerhalb der Mehrheit machten sich immer wieder auch bemerkbar.

Vgl. zu den Herschaftstechniken wie „negative Integration“ und „Sammlungspolitik“:

Hans-Peter Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich : 1871 – 1918. 2., durchgesehene Auflage. München : Oldenbourg, 2005 (Enzyklopädie deutscher Geschichte ; Band 52), S. 66 - 68

In Darstellungen kann überprüft und verglichen werden, in welchem Ausmaß ein Modell auf das Geschehen zutrifft und ob es auch Deutungsunterschiede gibt, z. B. bei:

Thomas Nipperdey, Machtstaat vor der Demokratie. 3., durchgesehene Auflage. München : Beck, 1995 (Deutsche Geschichte [1866 – 1918] : Band 2), S. 359 - 400

Lothar Gall, Bismarck : der weiße Revolutionär. 3. Auflage. Frankfurt am Main : Berlin ; Wien : Propyläen-Verlag, 1980, S. 469 - 649

Christian Graf von Krockow, Bismarck. Stuttgart : Deutsche Verlags-Anstalt 1997, S. 282 – 300

Otto Pflanze, Bismarck. 1. Auflage in der Beck'schen Reihe. München : Beck, 2008. Band 1: Der Reichsgründer (Beck'sche Reihe ; 1785), S. 691 – 719; Band 2: Der Reichskanzler (Beck'sche Reihe ; 1786), S. 118 – 141