Komplexe weil ich kleiner bin?

1 Antwort

Ich könnte mir vorstellen, dass du über die immer noch in unserem Denken vorhandenen, stereotype Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen - Mann: groß, stark, Beschützer, Frau: klein, schwach, schutzbedürftig - stolperst, mit denen wir während unserer geschlechtsspezifischen Sozialisation alle konfrontiert werden.

Als kleinerer Mann fällst du sozusagen aus "der Rolle" und fürchtest, evtl. nicht als "ganzer Kerl" wahrgenommen zu werden - die Sorge ist allerdings unbegründet.

Aber falls es dich tröstet: als überdurchschnittlich große Frau (über 1,80 cm) kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass auch viele Mädchen/Frauen, die nicht der weiblichen Durchschnittsgröße entsprechen, sich gegenüber ihren kleineren Mitmenschen häufig gehemmt fühlen, da sie sich "überdimensional" vorkommen...

Und immer daran denken, wahre Größe misst sich nicht in Zentimetern!

Garnet72  30.10.2018, 04:46

Ups, muss natürlich "stereotypen" und 1,80 m heißen - liegt vermutlich an der sauerstoffarmen Höhenluft, der mein armes Gehirn ständig ausgesetzt ist...;-)

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BocholtK 
Fragesteller
 30.10.2018, 21:29
@Garnet72

Vielen Dank, dass Du dir die Zeit gemommen hast, so ausführlich zu antworten! (und bis bis auf die 2 kleinen Verschreiber war doch alles Andere überdurchschnittlich und ungewöhnlich richtig geschrieben :) )

Hm, ja, dass dabei meine "Rolle" als Mann in Frage gestellt wird, ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Ich frage mich nur, wenn denn diese Rollenbilder veraltet oder nur Klischees sind, warum gibt es sie dann noch bzw. überhaupt ?

Und die wichtigste Frage wäre dann die nach dem Fazit: wenn es "nur" an der Mauer in meinem Kopf liegt, könnte das dann im Umkehrschluss bedeuten, dass diese Frauen in diesem Fall (mir gegenüber) tatsächlich die andere Rolle übernehmen (stark, Beschützer) und somit mir körperlich überlegen. Klingt doch absurd, oder nicht ? Das wäre auf jeden Fall der wunde Punkt...der Gedanke, ein 13 jähriges Mädchen wäre mir, einem "erwachsenen" Mann überlegen.

Besagtes Mädchen ist allerdings auch vom Typ Reitermädchen, falls dir das etwas sagt.

Und wie ist es denn bei dir - wie fühlst du dich gegenüber einem deutlich kleinerem Mann ? Ändert das etwas an deinem "Rollenbild" ?

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Garnet72  31.10.2018, 01:44
@BocholtK

Oh je - ich fürchte, da muss ich jetzt etwas länger ausholen:

Na ja, dass die Rollen des "männlichen Beschützers" und des "hilflosen Weibchens", die auf der "überlegenen" Körpergröße und -kraft des Mannes fußen, Klischees sind, ist ja wohl kaum zu bestreiten, aber da wir ja alle noch mit diesen sehr veralteten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufgewachsen sind, die uns seit frühster Kindheit in Märchen- und Kinderbüchern, in Zeichentrickfilmen, in der Inszenierung von Frauen und Männern in Werbung, Film, Videoclips, etc. begegnet sind, ist es kein Wunder, dass unser Denken und Verhalten immer noch dadurch geprägt ist - das ist ja das "Perfide" an Klischees und Stereotypen: sie haften wie Kaugummi...;-)

Aber abgesehen davon, dass wir Mädchen und Frauen kaum so "schutzbedürftig" sind und für uns selbst eintreten können, definieren sich "männliche" Stärke und "Beschützerqualitäten" ja nicht unbedingt über Körpergröße und Muskelkraft, sondern z.B. auch oder vor allem darüber, dass ein Mann mir das Gefühl emotionaler Geborgenheit, Verlässlichkeit, etc. vermitteln kann und dass er über ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, Authentizität, eine klare Haltung, etc. verfügt - und diese Qualitäten sind ja nicht in seinem "Körperbau", sondern in seiner Persönlichkeit/seinem Charakter begründet! Und da gibt es erstaunlich viele "Riesen", die sich bei genauerer Betrachtung als ziemliche "Charakterzwerge" entpuppen...

Und ein Mann, der vorstehende und ähnliche "Qualitäten" mitbringt, wird wohl auch kaum in die "Verlegenheit" kommen, dass eine Frau (oder ein 13jähriges Reitermädchen) sich bemüßigt fühlt, ihn "beschützen" zu wollen...;-) - dies zu deiner Beruhigung!

In der Pubertät, während der man ja eher ein "Herdentier" ist und sich noch stark an dem orientiert, was Gesellschaft, Freundeskreis, Familie, Medien, etc. an Vorstelllungen von Frauen, Männern und dem "Geschlechterverhältnis" transportieren, hätte ich mir ehrlicherweise aber auch nicht vorstellen können, mit einem kleineren Jungen/Mann eine Beziehung einzugehen - nicht aus Gründen mangelnder Attraktivität oder weil ich mich ihnen körperlich "überlegen" gefühlt hätte, sondern aus der Verunsicherung heraus, was "andere" denken könnten, weil das Bild einer größeren Frau/Mädchen mit einem kleineren Mann/Jungen eben nicht "der Norm" entspricht.

Mittlerweile ist für mich die Körpergröße eines Mannes aber kein "Auswahlkriterium" mehr in meiner Partnerwahl, da ich weiß, dass frau auch mit einem kleineren Mann eine Beziehung auf Augenhöhe führen und sich "beschützt" (=geborgen) fühlen kann - und mal ehrlich: wäre ja auch bescheuert, möglicherweise die Liebe deines Lebens zu ignorieren, nur weil er zu klein oder sie zu groß ist!

Ich will aber ehrlich sein: unter meinen weiblichen Bekannten gibt es zwar auch Frauen mit kleineren Partnern, aber die meisten Frauen bevorzugen doch größere oder gleichgroße Partner, wobei allerdings (meiner Erfahrung nach) für die Mehrheit der Männer eine größere Frau auch nicht in Frage käme - vermutlich aus den Gründen, die dich dazu bewogen haben, deine Frage zu posten: gesellschaftliche oder auch evolutionsbedingte "Prägungen"....

Aber ob die hier angesprochenen Weiblichkeits- und Männlichkeitsklischees, überholungsbedürftige gesellschaftliche Vorstellungen vom "Geschlechterverhältnis", evolutionäre "Prägungen", etc. irgendwann an Kraft verlieren oder gar außer Kraft gesetzt werden - wer weiß?

Ich hoffe, ich habe dich mit meinen "langatmigen Abhandlungen" nicht erschreckt und gelangweilt, sondern konnte dir etwas von deinen völlig unbrechtigten "Komplexen" nehmen,

LG

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ShatteredSoul  01.11.2018, 01:48
@Garnet72

Anscheinend hast du ihn tatsächlich erschreckt. Ich finde es sehr schade, dass so viele Menschen die Mühe gar nicht würdigen, indem sie einfach mal "danke" sagen.

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Garnet72  01.11.2018, 01:50
@ShatteredSoul

Och, weiß nicht - evtl. hat er noch nicht nachgeschaut, weil zu beschäftigt - seine erste Reaktion fand ich doch sehr nett!

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ShatteredSoul  01.11.2018, 01:54
@Garnet72

Ach herrje... Die hab ich komplett übersehen. Ich nehme alles zurück 😄 Kommt aber dennoch häufig vor.

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Garnet72  01.11.2018, 01:56
@ShatteredSoul

Stimmt leider - oder man wird angemotzt, weil der Fragesteller eigentlich keine ehrliche Antwort hören will, sondern nur eine Bestätigung SEINER Sicht der Dinge.

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Garnet72  01.11.2018, 01:58
@ShatteredSoul

Soisses - obwohl ich bei einigen hier auf gf echt Angst hätte, ihnen im echten Leben face to face zu begegnen...

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ShatteredSoul  01.11.2018, 01:59
@Garnet72

Meistens sind diejenigen, die hier eine große Klappe haben, in real diejenigen, die sich alles gefallen lassen.

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Garnet72  01.11.2018, 02:01
@ShatteredSoul

Meine Gedanken...und im Schutz der Anonymität toben sie sich dann aus und fühlen sich unangreifbar!

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ShatteredSoul  01.11.2018, 02:02
@Garnet72

Aber nicht dass der Fragesteller jetzt meint, wir würden über ihn reden ;-) Ich bin jetzt mal ruhig. Gute Nacht!

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BocholtK 
Fragesteller
 01.11.2018, 02:47
@Garnet72

Wow, ja da weiß ich ja bald wirklich nicht mehr, wie ich mich bedanken soll :) Also es hat mich gar nicht verschreckt, im Gegenteil ! es gibt leider im Moment niemandem, mit dem ich über das Thema sprechen könnte, insofern hilft das gerade enorm. Obwohl ich dazu sagen muss - es beschäftigt mich zwar, und mehr, als mir lieb ist, aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich vor lauter Selbstzweifeln umfalle ;)

Es ist interessant, dass mal aus der anderen Perspektive zu hören. Ich wünschte, alle großen Frauen würden das so sehen, und kleine Männer ihre Bedenken über Bord werfen. Aber da werden wohl noch ein paar hundert Jahre vergehen müssen.

Die von dir erwähnten Prägungen in der Pubertät waren ein wichtiges Stichwort und haben mich nachdenklich gemacht. Kann gut sein, bzw. eigentlich war es wohl so, dass ich mir in dieser Zeit nen Knacks weggeholt habe bei dem Thema, weil eben, wie Du auch von Dir selbst schriebst, die Mädels lieber jemand (deutlich) größeren wollten und das einem gegenüber auch direkt rausgehauen haben. Jahre später interessierten sich für mich auch Frauen, die erheblich größer waren, als ich (bis 1,90m).

Zum aktuellen Fall: ich weiß noch nicht, wie ich es angehe, dass ich mich trotz aller Erkenntnis so seltsam "minderwertig" fühle in solchen Situationen. Bevor ich mich damit abfinde (oder anfreunde), dass ich natürlich auch andere Qualitäten habe, die mich als Mann - oder zumindest innerlich starken Mann -ausmachen, wäre mir grundlegend trotzdem wichtig zu wissen, wo ich physisch stehe. Nun kann ich ja nicht jede meine-Männlichkeit-in-Frage-stellende-Frau fragen, ob wir mal Armdrücken machen (obwohl das toll wäre - dann wäre evtl. endlich Ruhe ;) ). Dann könnte ich mir ggfls. sagen, ok, ist halt so. Vielleicht ist genau das Ungewisse das, was mich beschäftigt. Ich glaube, unterschwellig checken Menschen sich gegenseitig ständig ab, ob der Andere einem im Ernstfall bedrohlich werden kann oder nicht. Und genau an dem Punkt häng ich dann irgendwie. Kann das jemand nachvollziehen, oder bin ich an der Stelle seltsam ?
Wenn ich dich also mal direkt fragen darf - hast Du Dich denn jemals mit einem kleineren Mann (oder damals Jungen) in irgendeiner form "gemessen" bzw. wie schätzt Du Dich ein ?

Und was die Tochter unserer Nachbarn betrifft - ich glaube nicht, dass sie nun deswegen Beschützerinstinkte entwickelt :)
Aber es gab tatsächlich so Situationen (z.B. als sie mir geholfen hat, an etwas auf dem Dach ranzukommen, wo ich nicht rankam), so albern es auch klingen mag, da hätte ich am liebsten gesagt, "so los, jetzt Kräfte messen", damit mein Mann-Ego wieder mit sich ins Reine kommt. Im zweiten Gedankengang dann aber, und ihre gar nicht mal so unmuskulösen und eindeutig längeren Arme vor Augen - ja, und was wenn sie vielleicht gewinnt ??

Aaarrhh, es ist so bekloppt....

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BocholtK 
Fragesteller
 01.11.2018, 02:53
@ShatteredSoul

Is ja jut, is ja jut....ich hab mich jetzt bedankt, und werde am Ende noch nen Obstkuchen für alle backen :P

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Garnet72  01.11.2018, 19:20
@BocholtK

Hallo,

danke für dein Feedback - freut mich, wenn meine Gedanken einigermaßen "hilfreich" waren.

Und zu deiner Anmerkung:

Ich glaube, unterschwellig checken Menschen sich gegenseitig ständig ab, ob der Andere einem im Ernstfall bedrohlich werden kann oder nicht. Und genau an dem Punkt häng ich dann irgendwie. Kann das jemand nachvollziehen, oder bin ich an der Stelle seltsam ?

Jetzt nicht lachen - aber da ich es als "überdimensional" große Frau (die noch dazu gerne High Heels trägt!) kaum gewohnt bin, mal einem größeren Mann zu begegnen, fühle ich mich in den raren Momenten, wenn mich mal ein Mann "überragt" seltsamerweise (?) eher "bedroht", na ja, zumindest eher eingeschüchtert, statt "beschützt", da die Situation für mich einfach ungewohnt bzw. fremd ist.

"Kräftemessen" mit Jungs war tatsächlich in meiner Kindheit oder frühen Jugend ab und an ein Thema - allerdings bevorzugt mit den größeren oder gleichgroßen Jungs, weil ich allen männlichen "Zweiflern", die sich Mädchen überlegen gefühlt haben, zeigen wollte, dass ich als Mädchen genauso "stark", schnell, mutig, etc. bin wie sie: da wurde schon mal Armgedrückt, um die Wette gerannt/geschwommen, auf hohe Bäume geklettert, etc. (mit wechselndem Erfolg, um ehrlich zu sein...;-) Kleinere Jungs habe ich in vorstehenden "Wettkämpfen" allerdings auch nicht unbedingt als "schwächer" oder unterlegen erlebt: die konnten sich zum Teil "sogar" gegen die "großen Jungs" behaupten! Ich war z.B. mal "Augenzeugin", als mein "kleiner" Cousin (damals ca. 1,55 m groß) seinen ca. 1,90 m großen Vater souverän mit einem Judowurf "auf die Matte" gelegt hat (mehrmals, zur allgemeinen Überraschung und Belustigung)!

Wie du siehst, kann ich deine - vermutlich gar nicht so "seltsamen" - Gedanken also durchaus nachvollziehen! Seitdem ich erwachsen (?) bin, ziehe ich dem "körperlichen Kräftemessen" allerdings die "intellektuelle Auseinandersetzung" vor...;-)

Ist aber wohl so: leider stehen wir uns immer noch selbst zu oft im Weg mit unserer Fixierung auf Äußerlichkeiten, "Geschlechterrollenklischees", unseren Bedenken, was "die Anderen" von uns halten, etc. bzw. um dich zu zitieren: "Aaarrhh, es ist so bekloppt....". Gutes Schlusswort, übrigens: Ciao, mach's gut und liebe Grüße!

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