Kommunismus und Existentialismus verträglich?
Hi all! Eine Frage an philosophisch und politisch Interessierte! Beschäftige mich seit kurzem mit Philosophie, Camus und Existentialismus und habe immer wieder gehört, dass viele von Ihnen (inkl. Camus) Kommunisten waren.
Einleitung zu meinem Verständnisproblem:
Der Existentialismus geht, falls ich es richtig verstanden habe, vom Individuum, seiner Existenz, seinen unmittelbaren Empfindungen (Liebe, Lust, Hass,..etc) aus und versucht erst "aposteriori" auf den soeben genannten Erkenntnissen/Empfindungen aufbauend das Modell des Menschen zu konstituieren.
Im Kommunismus hingegen wird die objektive Realität zwar ebenfalls aus ihrer materiellen Existenz und deren Entwicklung heraus erklärt (http://www.helpster.de/marxismus-kurze-definition_182323), es herrscht aber doch das Ideal der Gleichheit, aus welchem heraus versucht wird, Gerechtigkeit zu definieren. Schon bei Platon glaube ich gelesen zu haben, dass die Unterschiede zwischen Menschen, deren Ungleichheit, die Quelle aller gewaltsamen Auseinandersetzungen, die Quelle alles Schlimmen in der Gesellschaft ist.
Mein Verständnisproblem:
Wenn ich aber vom Gleichheitsideal spreche, so leite ich dieses aus allgemeinen Anschaungen und Wertvorstellungen ab, konstituiere somit wieder apriori ein Menschenideal (ähnlich wie in der Religion, nur eben immanent und nicht transzendent) und lasse somit das Individuum mit seinen individuellen Wünschen und Wertvorstellungen unberücksichtigt.
-> Wie kann sich sowas (Kommunismus) mit Existentialismus vertragen?
Und in konkreten praktischen Umsetzungsversuchen des Kommunismus ging somit genau dieser Individualismus unter (z.B. Verbannung eigenständiger Künster in der Udssr, Blaue Ameisen in China, usw, usw...). Und das lag doch sicher nicht an den (untauglichen) Umsetzungsversuchen der utopischen Kommunismusidee..der Untergang des Individuums steckt ja schon in dieser...
Ich könnte noch einiges mehr dazu schreiben.Vielleicht habe ich lediglich etwas grundsätzliches falsch verstanden..bin ein Anfänger in Sachen Philosophie .
Danke fürs Lesen :) !
1 Antwort
Jean Paul Sartre war kurze Zeit Mitglied der Kommunistischen Partei in Frankreich, hat sich dann aber wieder getrennt. Diese Hinwendung Sartres zum Marxismus hat auch Camus und Sartre auseinander gebracht. Für Camus ist der Marxismus ein philosophisches Konstrukt, das Risse einer chaotischen Realität (die er das Absurde nannte) glätten will und das dem chaotischen Dasein eine innere Richtung (dialektische Materialismus) unterstellt. Wegen dieser Frage hat sich dann auch Sartre vom Marxismus getrennt, weil er letztlich doch die Unvereinbarkeit von Existentialismus und freiem Entwurf der Lebenspläne mit einem bindenden dialektischen Materialismus gesehen hat. Er blieb aber sozial engagiert, womit er von seinem Lehrmeister Nietzsche als Ur-Existentialist abgewischen ist. Ein Existentialist vertritt immer die Freiheit des Individuums gegen Zwangsauflagen der Gesellschaft - so auch später Foucault. Dabei ist Engagement für die Schwachen und Unterdrückten das eine, ein Marxismus mit seiner Diktatur des Proletariats das andere. Für den Existentialisten handeln immer einzelne Menschen und die Verantwortung dafür kann ihm niemand abnehmen, keine Partei und schon gar kein künstliches Konstrukt wie das Proletariat.
Also der Darstellung Existentialismus ist nur hinzuzufügen, das ein wesentlicher Grundzug des Individuums die Freiheit ist, extrem formuliert bei Sartre: Der Mensch ist zur Freiheit verdammt.
Im Marxismus ist der Mensch eigentlich kein freier Entscheider sondern immer "Mitschwimmer" in der sozialen Entwicklung, Teil einer Klasse und ihrer sozialen Performance. Die Geschichte wird nicht von Individuen geprägt sondern von Klassen. Gleichheit ist erst ein Endprodukt in der Utopie des Kommunismus. Vorher herrschen Auseinandersetzung und Ausbeutungsverhältnisse. (Nebenbei: In Platons Staat gibt es keine Gleichheit sondern klare "Klassen" in hierarchischer Ordnung).
Das Verhältnis Existentialismus - Kommunismus (als Utopie) kommt am besten im Sisyphos zu Ausdruck. Sisyphos kommt NIE oben an, gelangt NIE zum Kommunismus! Das Scheitern und die Revolte dagegen und der wiederholte Neubeginn sind das Lebensgefühl des Existentialismus. Die Erlösung, egal in welcher Utopie ist nach existentialistischer Auffassung purer Selbstbetrug.
Tolles Bsp mit Sisyphos. Hat mir ebenfalls im "Mythos des Sisyphos" gefallen!
Ja, das mit dem Staat bei Platon habe ich wohl vergessen ... . War es in der Politeia nicht so, dass zumindest in der Klasse des Volkes Gleichheit herrschen musste (z.B. in der Haushaltsführung) ?
Den Begriff von Gleichheit, wie wir ihn heute verwenden, gab es in der Antike nicht. Sklaven waren immer ungleicher. In allen antiken Staatswesen gab es eine herrschende Klasse der Adeligen mit unterschiedlichen Privilegien. Außerdem durften selbst in Athen nur freie männliche Bürger an den Versammlungen teilnehmen.
Somit sind Existentialismus und Marxismus nicht vereinbar?
Gilt das jetzt auch für Existentialismus und Kommunismus?
Mein Grund für deren Unvereinbarkeit scheidet somit aus?