Könnt ihr bei 1) was ergänzen, wenn möglich (oder korrigieren, falls ich was falsches geschrieben habe) und mir bei Nummer 2 helfen?

1 Antwort

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Die Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles hat Anton von Werner (1843 – 1915) in mehreren Gemälden dargestellt. Daher gibt es diese Historienmalerei in 4 Fassungen (1877, 1882, 1885 und 1913). Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte ihn aufgefordert, hinzukommen, und so war der Maler Augenzeuge des Ereignisses.

1) Interpretation

Das Gemälde von 1877 veranschaulicht die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal des Schlosses von Schlosses von Versailles in Frankreich. Das Gemälde wurde in einer Weitperspektive gemalt.

Der Spiegelsaal ist gefüllt mit vielen deutschen Fürsten und Soldaten. An einer Querseite stehen auf einem erhöhten Bereich (Estrade), zu dem vier Stufen hinaufführen, Fürsten. In ihrer Reihe befindet sich Wilhelm I. Dahinter sind Fahnen von deutschen Regimentern aufgestellt. Gegenüber befinden sich viele jubelnde Fürsten und Soldaten. Die meisten halten ihre Schwerter und Helme hoch. Dies ist eine Geste, den Kaiser hochleben zu lassen. Otto von Bismarck (in dunkelblauer Uniform wie auch die anderen preußischen Offiziere) steht aus Betrachtersicht auf der linken Seite ein Stück vor den Stufen und hält mit Blick zu Wilhelm I. in seinen Händen die Proklamationsurkunde. Rechts neben ihm steht der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke. Vorne links und auf der rechten Bildhälfte in Längsrichtung zum Kaiser schauend befinden sich viele Offiziere (z. B. aus Preußen und Bayern).

Die Fürsten, die neben Wilhelm I. zur Unterstützung stehen, sind als Vertreter deutscher Einzelstaaten besonders wichtige Leute. In dem Moment, der abgebildet wird, bringt Großherzog Friedrich I. von Baden (aus Betrachtersicht rechts neben Wilhelm I.) das „Hoch auf Kaiser Wilhelm“ aus.

Oben ist ein Stück vom Deckengemälde des Malers Charles Lebrun (1619 – 1690) bemerkbar, das unter anderem den Rheinübergang der Truppen König Ludwigs XIV. im Jahr 1672 zeigt. In einem Kontrast wird in der Gegenwart dort nun sichtbar, wie ein siegreich geführte Krieg gegen Frankreich zur Gründung eines deutschen Reiches führt.

Die Ausrufung zum Kaiser erscheint als eine Sache von Fürsten und Soldaten (verschiedener deutscher Einzelstaaten).

Der Monarch erscheint würdevoll, die Fürsten und Soldaten begeistert.

Einzelne Personen wie Wilhelm I. und Bismarck treten ein wenig hervor, aber hervorgehoben sind weniger einzelne Personen als die Fürsten und die deutschen Heerführer in ihrer Gesamtheit.

Das Gemälde von 1885 zeigt die Kaiserproklamation in Nahperspektive und etwas anders.

Vorne im Saal, in der Mitte der linken Seite des Bildes, erkennt man Wilhelm I., links und rechts daneben stehen deutsche Fürsten. Ebenso befinden sich hinter ihm deutsche Fürsten. Dahinter sind Fahnen von deutschen Regimentern aufgestellt. An der rechten Seite von Wilhelm I. steht der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, auf der linken Seite Großherzog Friedrich I. von Baden (aus Betrachtersicht rechts neben Wilhelm I.), der mit erhobenen rechten Arm das „Hoch auf Kaiser Wilhelm“ ausbringt. Diese Gruppe steht auf einem erhöhten Bereich (Estrade), zu dem drei Stufen führen.

Viele der Fürsten tragen dunkelblaue Uniformen mit schwarzen Hosen, die lange rote Streifen besitzen. Sie tragen weiße Handschuhe. Ihre Schuhe sind schwarz. Seitlich stehen zwei weitere Männer in weißen Uniformröcken mit schwarzen Hosen und Stiefeln. Einer von ihnen trägt zusätzlich einen Helm und hat ein aufgerichtetes Schwert dabei.

Gegenüber der Estrade befindet sich der größere Teil der Personen.

Die meisten Fürsten und Offiziere halten ihre Hüte und Schwerte nach oben und jubeln zugleich.

Der Monarch erscheint würdevoll, die Fürsten und Soldaten begeistert.

Unter diesen Fürsten befindet sich der Otto von Bismarck. Er ist in weißer Paradeuniform eines Kürassiers, mit langen schwarzen Stielen mit den Orden Pour le Mérite (ihm erst 1884 verliehen) abgebildet. In seinen Händen hält er die Proklamationsurkunde. Links neben ihm steht der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke.

In der Reihe an der Fensterseite wendet sich der bayerische General Jakob von Hartmann zum preußischen General Leonhard von Blumenthal. Davor, seitlich zu ersten Stufe, ist der preußische Kriegsminister Albrecht von Roon (1803 – 1879) mit den Orden Pour le Mérite abgebildet, der tatsächlich bei dem Ereignis wegen Krankheit (Katarrh) abwesend war.

Vergleich:

Gemeinsamkeiten:

Die gleiche Handlung, die Kaiserproklamation von Wilhelm I., wird in beiden Gemälden veranschaulicht. Es kommt eine große Anzahl gleicher Personen vor. Auf beiden Gemälden sind an einer Seite des Saals Fahnen aufgestellt und Fürsten und Soldaten halten Kopfbedeckungen und Waffen hoch.

Unterschiede:

Gößenmaße: Das Gemälde von 1877 ist mit 4,3 x 7,3 m kleiner als das Gemälde von 1855 mit 1,7 x 2,1 m.

Perspektive: Das Gemälde von 1877 ist in der Weitperspektive, das Gemälde von 1885 in der Nahperspektive gemalt. Infolge der größeren Nähe sind einige Einzelheiten mehr sichtbar, so die Orden von einzelnen Personen.

Anzahl der Personen: Aufgrund der Nahperspektive ist die Anzahl der Personen auf dem Gemälde von 1885 geringer.

Realitätstreue: Das Gemälde von 1877 ist der Realität näher als das Gemälde von 1885.

Abweichung von der Realität: Bismarck ist auf dem Gemälde von 1885 in einer weißen Paradeuniform dargestellt, die er damals nicht trug, und mit einem erst später verliehenen Orden. Der tatsächlich abwesende preußische Kriegsminister Albrecht von Roon ist hinzugefügt. Die noch lebenden Personen sind ein wenig älter dargestellt, in einer Angleichung an die Gegenwart.

Hervorhebungen: Einzelne Personen wie Wilhelm I. und Bismarck treten auf dem Gemälde von 1877 ein wenig hervor, aber hervorgehoben sind mehr die Fürsten und die deutschen Heerführer in ihrer Gesamtheit. Auf dem Gemälde von 1885 sind einzelne Personen mehr dadurch hervorgehoben dass sie im Mittelpunkt erscheinen bzw. aus einer Reihen hervortreten, so Wilhelm I. (vor einer Reihe von Bundesfürsten, als Personen neben Wilhelm I. deshalb auch der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm und Großherzog Friedrich I. von Baden weiter vorne), Bismarck (im Zentrum des Raums stehend) und der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke.

2) Erläuterung

Ein Gemälde kann seine eigene Geschichte haben, die z. B. seine Entstehung, seine Rezeption (verstehende Aufnahme und Deutung), seinen Ausstellungs- und Aufbewahrungsort und seinen Erhaltung betrifft.

Gemälde von 1877

Entstehung: ab 1871 begonnen, Auftragswerk deutscher Fürsten als Geschenk zum 80. Geburtstag von Kaiser Wilhelm am 22. März 1877

Aufbewahrung: Königliches Schloss in Berlin, 1877 – 1892 im „Weißen Saal“, 1892 - 1914 in der Bildergalerie, ab 1914 einlagert

Rezeption: 1877 – 1892 ein Höhepunkt am Ende der geführten Rundgänge durch die Repräsentationsräume des Schlosses, an denen täsglich mehrere hundert zahlende Besucher teilnahmen, büßte in der kleineren Bildergalerie an Wirkung ein, ab 1914 Blicken der Besucher entzogen

Erhaltung: am 2. Februar 1945 während eines Luftangriffes auf Berlin verbrannt, vom dem im Original farbigen Ölgemälde gibt es nur Schwarz-Weiß-Reproduktionen aufgrund alter Fotografien.

Gemälde von 1885

Entstehung: Auftragswerk der preußischen Königsfamilie (Hohenzollern) als Geschenk zum 70. Geburtstag von Otto von Bismarck am 1. April 1885, dabei Wunsch des Kaisers Wilhelm I., Albrecht von Roon wegen seiner engen Beziehungen zu Bismarck in das Gemälde hineinzunehmen, ausgeführt als Überarbeitung des Entwurfs für die Ruhmeshalle der preußischen Armee im Berliner Zeughaus

Aufbewahrung: Friedrichsruh in der Nähe von Hamburg, 1901 – 9121 im Bismarck-Turm des benachbarten Aumühle, April 1933 – 1945 im Friedrichsruher Marstall, ab 4. Dezember 1950 im gegenüberliegenden „Landhaus Friedrichsruh“, in einem Ausstellungsraum des seit 1997 von der Otto-von-Bismarck-Stiftung betreuten Bismarck-Museums Friedrichsruh, zwischen Büsten von Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I

Rezeption: seit längerer Zeit öffentlich zugänglich

Erhaltung: einziges erhaltenes Original der vier Gemälde-Fassungen, die Anton von Werner von der Kaiserproklamation 1871 gemalt hat

Die beiden Gemälde haben die Kaiserproklamation als Thema. Dieses Ereignis vom 18. Januar 1871 kann so als besonders wichtige Handlung zur Gründung des Deutschen Reiche erscheinen, diese als Tat von oben und kriegerisch, während die verfassungsrechtlichen Abläufe und die Rolle der Parlamente daneben verschwinden. Im Gemälde von 1885 sind gezielt Abweichungen vorgenommen, um einzelne Personen besondere Bedeutung zu geben.