"Je stärker sich die Gene von zwei Menschen unterscheiden, desto eher finden sie sich attraktiv" Wieso ist das so?

4 Antworten

Mehr als die Hälfte der bekannten Erbkrankheiten werden rezessiv vererbt. Man erkrankt also nur, wenn man sowohl vom Vater als auch von der Mutter das krank machende Allel geerbt hat. Heterozygote Träger tragen nur ein krank machendes Allel in sich. Sie erkranken nicht, weil sie ja noch ein gesundes (dominantes) Allel besitzen.

Ein Beispiel ist die Phenylketonurie (PKU). Ein Gen auf dem Chromosom 12 codiert für das Enzym Phenylalaninhydroxylase (PAH). PAH ist dafür zuständig, dass überschüssiges Phenylalanin (eine essentielle Aminosäure) zu Tyrosin abgebaut wird. Das rezessiv vererbte PKU-Allel führt dazu, dass die PAH nicht mehr funktionstüchtig ist. Das Phenylalanin wird dann über Umwege zu giftigen Abbauprodukten (Phenyllactat, Phenylketon, Phrnylacetat) abgebaut, die u. a. die Hirnentwicklung beeinträchtigen und so zu schweren geistigen Schäden führen können. Heterozygote Träger des PKU-Allels besitzen aber auf ihrem zweiten Chromosom 12 noch das gesunde Allel und können das Enzym PAH deshalb in ausreichender Menge herstellen. Sie erkranken deshalb nicht.

Heterozygote Individuen erkranken zwar nicht selbst, sie können das defekte Allel aber vererben. Im Schnitt trägt jeder Mensch, ohne es zu wissen, etwa sechs solcher rezessiv vererbten Allele in sich. Wenn zwei Menschen sich genetisch sehr ähnlich sind, weil sie z. B. verwandt sind, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass beide Träger des defekten Allels sind. Dann können beide das defekte Allel vererben und es besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachkomme an dieser rezessiven Erbkrankheit leidet. In konkreten Zahlen ausgedrückt: wenn beide Eltern heterozygote Träger des rezessiven Allels sind, würde in 25 % der Fälle ein Nachkomme von beiden Eltern das rezessive Allel erben und erkranken, in ebenfalls 25 % der Fälle würde ein Nachkomme von beiden Eltern das gesunde Allel erben und wäre gesund und in 50 % der Fälle würde ein Nachkomme nur von einem Elter das rezessive Allel erben, wäre also ebenfalls heterozygoter Träger. Deshalb ist es "klug" einen Partner zu wählen, dessen Allele möglichst verschieden von den eigenen sind. Damit wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Nachkommen heterozygot sind und somit nicht an einer rezessiv vererbten Erbkrankheit leiden können.

Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, weshalb es von Vorteil ist, wenn möglichst viele Gene heterozygot vorliegen. Wenn man zwei unterschiedliche Genvarianten besitzt, kann man flexibler auf Umweltveränderungen reagieren. Das ist insbesondere bei Genen der Fall, die unser Immunsystem beeinflussen. Auch hier erhöht natürlich wieder die Wahl eines genetisch möglichst verschiedenen Partners den Heterozygotiegrad. Die Zeichen, die auf eine möglichst große genetische Kompatibilität schließen lassen, erkennen wir oft unterbewusst, z. B. anhand des Körpergeruchs.

Das wurde experimentell bestätigt durch den "T-Shirt-Versuch", den Claus Wedekind 1995 durchführte. Er war v. a. am MHC interessiert.

Der MHC (Major Histocompatibility Complex) ist ein hochvariabler Genkomplex aus etwa 200 Genen, die für bestimmte Antigene auf der Zelloberfläche codieren. Jedes der Gene besitzt zwischen 1 und 180 verschiedene Allele (im Schnitt sind es rund 40). Auf diese Weise entsteht bei jedem Menschen ein einzigartiges Muster von Antigenen auf der Zelloberfläche. Diese Antigene sind so etwas wie der "Personalausweis" der Zelle. Kann eine Zelle gegenüber dem Immunsystem das "richtige" MHC-Antigenmuster vorweisen, wird sie als zum Körper gehörend erkannt. Ist ihr MHC-Antigenmuster fehlerhaft, wird sie als "fremd" erkannt und vom Immunsystem unschädlich gemacht. Das Immunsystem ist umso zuverlässiger, je besser es in der Lage ist gegensätzliche MHC-Antigene zu erkennen, was natürlich dann der Fall ist, wenn möglichst viele Genloci heterozygot sind, weil ja dann von jedem codierten Antigen nicht nur eine, sondern zwei verschiedene Varianten vorliegen. Es sollten also Partner bevorzugt werden, deren MHC-Muster möglichst komplementär zum eigenen ist. Wedekind stellte die Hypothese auf, dass wir anhand des Körpergeruchs bewusst oder unbewusst erkennen können wie stark sich unsere MHC-Muster ähneln und dass das die Partnerwahl beeinflusst.

An seinem Versuch nahmen 44 Studenten und 49 Studentinnen teil, von denen 18 hormonell verhüteten. Zunächst ließ Wedekind von jedem Probanden das MHC-Muster ermitteln. Die männlichen Versuchsteilnehmer mussten dann drei Abende lang ein T-Shirt tragen, das ihren Schweiß (und somit ihren Körpergeruch) aufsog. Während der Dauer des Versuchs durften sie kein Parfum und nur geruchsneutrale Seife benutzen. Anschließend mussten die Studentinnen die Attraktivität des Körpergeruchs bewerten.

Es zeigte sich, dass die Frauen den Körpergeruch als am attraktivsten bewerteten, der den Männern gehörte, deren MHC sich am stärksten von ihrem eigenen unterschied. Die Probandinnen gaben auch an, dass die am attraktivsten bewerteten Körpergerüche am stärksten mit dem Körpergeruch ihres aktuellen Partners bzw. ihrer Expartner übereinstimmten. Interessanterweise zeigte der Versuch auch, dass die 18 Studentinnen, die die Pille nahmen, sich ganz anders verhielten, nämlich Körpergerüche jener bevorzugten, deren MHC ihrem am stärksten ähnelte. Offenbar beeinflussen Hormone also auch unsere Wahrnehmung und das, was wir "attraktiv" finden.

Und schließlich gibt es noch einen dritten Grund, weshalb ein genetisch verschiedener Partner bevorzugt werden sollte. Oft besitzt der heterozygote Phänotyp gegenüber den homozygoten eine größere Überlebenswahrscheinlichkeit. Man spricht dann vom Heterozygotenvorteil. In der Tier- und Pflanzenzucht werden z. B. oft homozygote Linien miteinander gekreuzt, weil die heterozygoten F1-Hybriden widerstandsfähiger, größer oder ertragreicher als ihre homozygoten Eltern sind. Das nennt man auch den Heterosiseffekt.

Ein Beispiel für den Heterozygotenvorteil ist die Sichelzellanämie. Das Sichelzellallel S bewirkt, dass anstelle des normalen Hämoglobins (HbA) das veränderte HbS gebildet wird. Blutzellen mit HbS verformen sich sichelförmig. Sie können keinen Sauerstoff mehr transportieren und verklumpen miteinander, was zum Verschluss der Blutgefäße führt. Die homozygote Form (SS) der Sichelzellanämie führt unbehandelt zum Tod. Heterozygote Träger (AS) bilden "gesunde" und "kranke" Blutkörperchen im Verhältnis 50:50 aus. Normalerweise sind sie daher nicht beeinträchtigt, erst bei großem Sauerstoffmangel (z. B. im Hochgebirge) kann es zu Thrombosen kommen.

Interessant ist, dass die Sichelzellanämie in Afrika überdurchschnittlich häufig ist. Das liegt daran, dass Träger der heterozygoten Form seltener an Malaria erkranken. Malaria wird durch einzellige Parasiten (Plasmodium) verursacht, die in die roten Blutzellen eindringen und sich dort vermehren. Warum die Sichelzellanämie vor Malaria schützt, ist noch nicht ganz klar. Möglicherweise verursachen die Plasmodien auch ohne Sauerstoffmangel eine Verformung der Zellen. Diese werden daraufhin in der Milz abgebaut. Eine andere Erklärung besagt, dass HbS-Zellen vermehrt Wasserstoffperoxid bilden, das die Plasmodien abtötet. Wie auch immer, heterozygote Träger haben gegenüber den homozygot Gesunden (AA) in Malariagebieten einen Überlebensvorteil.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Viele Erbkrankheiten brechen nur aus, wenn sie homozygot sind, das heißt wenn ein Kind von Mutter und Vater ein mutiertes Gen vererbt bekommt.

Jeder Mensch trägt hunderte Gen-Mutationen, nur haben die (zumeist) keine Relevanz, weil eben das zweite Chromosom (von Mutter oder Vater) diese Mutation nicht trägt.

Je ähnlicher der genetische Background von zwei Personen ist, umso höher die Wahrscheinlichkeit, daß zwei gleiche Genmutationen zusammentreffen - im Extremfall Inzucht ist das Risiko für Erbkrankheiten enorm hoch, wie schon vorher erwähnt wurde.

Der zweite wichtige Grund ist das Immunsystem. Je höher die Variabilität (genetisch unterschiedlicher die beiden Personen), desto stärker ist das Immunsystem des gemeinsamen Kindes.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Studium und arbeite als Molekularbiologe.

Das ist ein wenig vereinfacht, aber im Grunde bedeutet höhere genetische Diversität bessere Chance auf Gesundheit. Siehe z.B. wie viel wahrscheinlicher Erbkrankheiten bei Inzucht werden - ein gutes Beispiel wären die europäischen Königshäuser der Neuzeit, insbesondere das Haus Habsburg.

Manche Dinge sind aber ausschlaggebender als andere. Ein Beispiel das ich kenne, ist z.B. dass man den Geruch anderer Personen als attraktiver wahrnimmt wenn deren Immunsystem viele andere Antigene aufweist als das eigene. So reizt die Natur zur Paarung an um Nachwuchs mit einem "best of both" Immunsystem zu schaffen...

DeinGuterFreund  27.03.2023, 18:07

Das stimmt allerdings. Die Habsburger Unterlippe war die schlimmste Krankheit der Neuzeit.

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Je unterschiedlicher die Gene, desto geringer die Wahrscheinlichkeit auf Mißbildungen, Immunschwäche u.s.w.

wie gut man gegen Nachkommen gerüstet sind

????