Blickwechsel 01. September 2019
Deine Fragen an einen Freimaurer
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Ist der Demiurg/große Baumeister als ein reales Wesen zu verstehen?

2 Antworten

Hallo, taughlor.

Der "Demiurg" ist bei den Gnostiker schon richtig verortet - dort sollte er allerdings auch bleiben.

Es gibt in der Freimaurerei keinen derartigen Begriff.
Auch das Symbol des "Großen Baumeisters" ist fern jedes spezifischen Gottesbegriffes.

Es handelt sich um ein reines Symbol, auf das man seine individuellen Vorstellung eines transzendenten Wesens projizieren kann. Das kann zwar für einen gläubigen Christen der christliche Gott, für einen Juden Jahwe oder für einen Moslem Allah sein. Ebenso lässt sich dieses Symbol jedoch auch säkular belegen - etwa im Sinne der Naturkräfte im wissenschaftlichen Verständnis der heutigen Zeit.

Dieser Begriff dient als Symbol lediglich der Errichtung einer Meta-Ebene für den Austausch zwischen Menschen, die unterschiedlichen Vorstellungen anhängen. Dadurch können sie für das aktuelle Gespräch ihre emotionale Bindung an den Ursprungsbegriff in den Hintergrund rücken. Sie unterhalten sich dann über den gleichen Begriff, der einen bestimmten Umstand verkörpert - haben jedoch jeweils ihre spezifische Vorstellung im Hinterkopf.

Also kurz gesagt: Jeder Ansatz, den Großen Baumeister, als personalen Gottesbegriff zu besetzen, führt in die Irre.

Herzliche Grüße

krato333

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Feindschaft zur (katholischen) Kirche, die den Demiurg als Götzen versteht und seine Anbetung verbietet.

Hallo, wie kommst du darauf?
Die meisten Gnostiker haben den "Demiurg" mit dem "Gott" des alten Testaments, also Jahwe gleichgesetzt. Also beten die Kirchen indem sie sich auch auf das alte Testament beziehen den Demiurgen an.

Als Häretiker wurden zum Beispiel die Katharer von der katholischen Kirche verfolgt, weil sie die Anbetung des Schöpfergottes des alten Testaments ablehnten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Katharer

Die Templer wurden vor allem aus machtpolitischen Gründen zerschlagen. Der angeblich von den Templern verhehrte Baphomet hat nichts mit dem Demiurg der Gnosis zu tun.
https://de.wikipedia.org/wiki/Baphomet

Grüße

Woher ich das weiß:Recherche
krato333  02.09.2019, 17:49

Hallo, Solaris80.

Bezüglich der Templer gebe ich Dir recht.

Der "Demiurg" wurde jedoch meines Wissens als eine Art "negative Dimension" Gottes verstanden, die das Materielle geschaffen hat, wogegen die "positive Dimension" das Geistige erschuf.

In der Gnosis gab es zahlreiche - teils sehr seltsam anmutende - Strömungen. Die Katarer beispielsweise lehnten das Materielle ab, lebten somit in Armut und waren - sinngemäß - der Ansicht, dass es der Welt besser ginge, wenn das Materielle nicht existieren würde.

Somit verweigerten sie bewusst selbst die eigen Fortpflanzung mit dem Ziel, auszusterben.

Daraus erklärt sich auch, weshalb die Katharer während der Verfolgung teils freiwillig in die lodernden Feuer der Scheiterhaufen gingen, die im Rahmen der Verfolgung für sie errichtet wurden.

Aber auch das hat keinen wirklichen Bezug zur Freimaurerei - ich bin lediglich an diesem Thema "vorbeigekommen" und wollte es hier ergänzen.

Herzliche Grüße

krato333

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Solaris80  03.09.2019, 07:50
@krato333

Hallo Krato333,

vielen Dank für deine Ergänzung. Mir war diese Frage aufgefallen, weil ich mich früher viel mit der Gnosis beschäftigt habe.
In meinem Bekanntenkreis sind zwei Freimaurer, ich persönlich habe meinen Weg jedoch in "Thelema" gefunden. Übrigens ist einer der fundiertesten und objektivsten Artikel über Thelema und Aleister Crowley in dem Freimaurer-Wiki. Auch Thelema hat viel mit Vorurteilen und Unterstellungen zu kämpfen.

Jedenfalls zurück zur Gnosis: Wie du ja auch schreibst gab es unter den Gnostikern sehr viele Strömungen, die auch sehr unterschiedlich waren. Allein schon die grobe Unterteilung in Asketen und Libertinisten lässt große Unterschiede deutlich werden.

Sicher haben einige auch den "Demiurgen" als eine Art "negative Dimension" Gottes verstanden.
Soweit ich weiß haben die meisten ihn jedoch tatsächlich als eigenständige Kraft verstanden, die der allumfassenden, namenlosen, höchsten Gottheit durchaus feindlich gesinnt ist.

Kurt Rudolph (Die Gnosis, Vandenhoeck&Ruprecht) schreibt z.B.:
"Ähnliche Auffassungen von der Unbekanntheit Gottes trugen schon die ältesten Gnostiker, wie Simon und Menander, vor. In dieser theologischen Tradition der Gnosis steht auch Marcion (1. Hälfte des 2. Jh.), der sein 'Evangelium vom fremden Gott' (Harnack) durch eine scharfe Trennung von (bösem) Schöpfer- und (gutem) Erlösergott begründete..." [S. 71]

Ich persönlich glaube nicht an einen "Demiurgen", aber mein Verständnis von "Gott" ist ähnlich der Vorstellung der Gnostiker: Eine allumfassende, namenlose Kraft, jenseits aller menschlichen Vorstellungen. Das Universum als "göttliches Prinzip" wenn man so will. Ich glaube an keinen Gott, zu dem der Mensch beten kann und der sich um die Angelegenheiten der Menschen kümmert.

Als Thelemit arbeite ich an mir selbst ohne dafür einen Gott außerhalb von mir zu brauchen.

Aber mir war die Frage aufgefallen, weil ich mich wie gesagt, früher viel mit der Gnosis beschäftigt habe und meines Wissens für die meisten Gnostiker der "Gott" des alten Testaments identisch mit dem Demiurgen war.

Viele Grüße

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krato333  05.09.2019, 18:58
@Solaris80

Meines Wissens ist von den Gnostikern kaum etwas direkt überliefert.

Rückschlüsse auf deren mögliche religiöse Philosophie kann man nur aus den Anfeindungen ihrer Gegner herleiten.

Bezüglich kritischer Stimmen zu Thelema: Hier dürfte Crowleys exzentrische, provokante Auftritte auch maßgeblichen Anteil haben

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Solaris80  06.09.2019, 07:34
@krato333
Meines Wissens ist von den Gnostikern kaum etwas direkt überliefert.
Rückschlüsse auf deren mögliche religiöse Philosophie kann man nur aus den Anfeindungen ihrer Gegner herleiten.

Nein, in Bezug auf die religiöse Philosophie stimmt das so nicht, immerhin gibt es die Nag-Hammadi-Schriften und auch weitere.

Es stimmt aber in Bezug auf ihre Praktiken, darüber sind fast nur die Unterstellungen ihrer Gegner bekannt.

Kurt Rudolph geht detailliert auf die Quellenlage ein, wer sich für die Gnosis interessiert dem kann ich das Buch sehr ans Herz legen.

Bezüglich kritischer Stimmen zu Thelema: Hier dürfte Crowleys exzentrische, provokante Auftritte auch maßgeblichen Anteil haben.

Ja, das ist richtig.
Als "Thelemit" muss man natürlich auch nicht alles gut finden, was Crowley (angeblich) getan hat. Aber seine provokante, exzentrische und selbstironische Art macht es schwierig ihn aus heutiger Sicht zu beurteilen.


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