Gibt es auch Formen des Buddhismus, ohne Glauben an die Reinkarnation, oder ist das integraler Bestandteil aller buddhistischen Strömungen?

Als Soto-Zen-Buddhist kann ich dazu ein Beispiel bringen.

Der in den USA lebende japanische Soto-Zen-Lehrer Shohaku Okumura beschreibt das traditionelle Modell der sechs Formen der Wiedergeburt (Höllenbewohner, Hungergeist, Asura, Tier, Mensch, Himmelswesen) als psychologisches Modell.

Hier die Reiche mal im Einzelnen:

Naraka Gati (Reich der Höllenwesen): Diese Wesen sind so sehr in ihrem seelischen und körperlichen Leiden verstrickt, dass sie gar keinen Weg daraus sehen und vielleicht sogar glauben, ihre Probleme würden niemals aufhören.

Psychologisch gesehen gibt es Menschen, die sich entweder über körperliche Schmerzen, oder aber Selbstmitleid definieren. Würden sie jemals aufhören die "Opfer" zu sein, müssten sie ihr Leben neu gestalten.

Preta Gati (Reich der Hungergeister): Diese Wesen sind gierig und werden niemals satt. Egal wie viel sie auch an sich raffen - es ist nie genug für sie. Immer scheint etwas noch besserer, leckerer und schöner.

Psychologisch gesehen sind das die Gierigen, die nicht mit der Befriedigung einfacher Bedürfnisse zufrieden sind, sondern wirklich alles besitzen wollen. Dabei erkennen sie nicht, dass auch ihr Konsumverhalten sie nicht glücklich macht.

Triyagyoni Gati (Reich der Tiere): Das Leben der Tiere besteht aus Arbeit - Jagen, Sammeln, Vorräte angelegen, Nest bauen, Revier verteidigen, Partnersuche, Kinder großziehen - sie kommen praktisch nie mals zur Ruhe.

Psychologisch gesehen haben wir hier den "Workoholic", der mit seinen Kollegen, um die Gunst des Chefs und die Chance zur nächsten Gehaltserhöhung ringt, um seine Familie zu ernähen und einfache Bedürfnisse zu befriedigen.

Manusya Gati (Reich der Menschen): Der Mensch agiert aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Alles muss er kontrollieren und planen - Versicherungen, Renten - und ständig die Angst, dass er das Leben letztlich doch nicht bestimmen kann.

Psychologisch gesehen steht dies für die beherrschende Zukunftsangst und die Unfähigkeit, dem Leben mal seinen Lauf zu lassen, anstatt ständig das Ruder in der Hand haben zu wollen.

Asura Gati (Reich der streitenden Dämonen) Asuras sind ständig im Konflikt mit anderen. Sie neiden den Himmelswesen ihre Stellung und ziehen wann immer möglich in den Kampf, um sich durch ihre Siege selbst zu erhöhen.

Psychologisch gesehen haben wir hier einen Streitsüchtigen, der sein eigenes Selbstbewusstsein daraus zieht, andere fertig zu machen.

Deva Gati (Reich der Himmelswesen): Sie haben nahezu unbegrenzte Macht und Reichtum, sind langlebig - haben aber ständig Angst, ihren Status zu verlieren und sind einsam weil sie immer fürchten müssen, sie würden nur wegen ihres Geldes "geliebt".

Psychologisch gesehen haben wir hier häufig erfolgreiche Geschäftsleute, die niemandem vertrauen und emotional von der Anerkennung anderer Menschen leben.

Was hat das nun mit Wiedergeburt zu tun?

Nun, wir alle werden im Laufe des Lebens zu verschiedenen Zeitpunkten von einem dieser psychologischen Muster dominiert. Aber sie können auch täglich wechseln.

Bin ich im Büro, schalte ich in den "Tier"-Arbeitsmodus. Funktionier dann der Kaffee-Automat nicht, folgt der gierige "Hungergeister"-Modus und angesichts eines unglaublich rechthaberischen klugscheissenden Kollegen mutiere ich zum kriegerischen "Asura". ;-)

So viel "Wiedergeburt" in einer einzigen Arbeitsstunde....du siehst, es geht also auch ganz ohne Vorstellung von einem Jenseits

Dazu musst du wissen, dass man den Glauben an den Buddhismus in 3 Cluster einteilen kann (Natürlich kann man den Buddhismus auch in andere Kategorien einteilen, aber das ist hier nicht wichtig):

1) traditioneller Buddhismus: Anhänger dieses Clusters haben ein Weltbild, welches genau dem entspricht, wie es der Buddha verkündigt hat. Auch die ganzen mythologisch wirkenden Aspekte z. B. dass der Buddha Gedanken lesen konnte, dass es Götter Paläste gibt oder der Glaube an Hungergeister (Pali: Pretas), integrieren diese Menschen in ihr religiöses Leben.

2) immanenter Buddhismus: Anhänger dieses Clusters integrieren alles aus dem Buddhismus in ihr Leben, was von der Psychologie bzw. der Wissenschaft sicher bestätigt werden konnte. Dinge bei denen in der seriösen Wissenschaft Uneinigkeiten bestehen, z. B. die Wiedergeburt, lehnen diese Menschen nicht ab, aber sehen Sie für Ihre Glaubenspraxis als unwichtig an.

3) säkularer Buddhismus: Anhänger dieses Clusters glauben nur an das aus dem Buddhismus, was die Wissenschaft bestätigen konnte. Alles andere sehen sie als mythologische Überbleibsel aus dem Hinduismus an. Aus dieser Sicht ist Buddhismus zu 100% Psychologie bzw. Philosophie. Gerade im Westen wird er öfter vertreten, z. B. von Steven Bachelor oder Matthias Ennenbach.

Die Antwort auf deine Frage ist somit, Ja. Säkulare Buddhisten glauben nicht an Wiedergeburt.