Gendrift beispiel?

Darwinist  11.02.2023, 15:47

Könntest du bitte ein Foto der gesamten Aufgabenstellung inkl. Materialien machen? Ohne diese Infos lässt sich leider gar nichts dazu sagen.

gabby973 
Fragesteller
 12.02.2023, 09:57

ja kann ich machen

2 Antworten

Ein paar Grundbegriffe zum Anfang

Als Genpool bezeichnet man die Gesamtheit aller Allele in einer Population. Allele sind die verschiedenen Varianten eines Gens. Ein Gen kann z. B. eine Variante für kurzes Fell und eine Variante für langes Fell haben. Wenn ein Gen mehr als eine Variante besitzt, nennt man das einen Polymorphismus. Die Anzahl der verschiedenen Allele eines Genpools bezeichnet man auch als die genetische Variabilität. Je mehr verschiedene Allele in einer Population es gibt, umso größer ist die Variabilität. Wie oft ein bestimmtes Allel, z. B. das Allel für kurzes Fell, im Genpool vertreten ist, drückt man in seiner Allelfrequenz aus. Sie wird als relativer Wert angegeben; eine Allelfrequenz von 0.13 bedeutet beispielsweise, dass der Anteil dieses Allels am Gesamtgenpool 13 % beträgt. 0.013 bedeutet einen Anteil von 1.3 % usw.

Säugetiere haben einen diploiden Chromosomensatz. Das heißt, dass jedes Chromosom jeweils doppelt vorhanden ist und die Chromosomen Paare bilden. Von jedem Chromosomenpaar hat ein Individuum ein Chromosom von der Mutter und eines vom Vater geerbt. Das heißt, dass mit den Chromosomen auch jedes sich darauf befindliche Gen doppelt vorhanden ist. Die Allele eines Genlocus auf dem maternalen (mütterlicherseits geerbten) und dem paternalen (väterlicherseits geerbten) Chromosom können gleich sein, z. B. auf beiden das Allel für kurzes Fell oder auf beiden das Allel für langes Fell. In diesem Fall nennt man das Homozygotie. Die Allele auf dem maternalen und dem paternalen Chromosom können aber auch verschieden sein, z. B. auf dem einen Chromosom das Allel für kurzes Fell, auf dem anderen das für langes Fell. Das heißt dann Heterozygotie. Die genetische Konstitution eines Individuums wird als dessen Genotyp bezeichnet. Der Genotyp sagt also aus, ob ein Individuum an einem Locus heterozygot oder homozygot ist und welche(s) Allel(e) es an diesem Locus hat.

Der Genpool verändert sich ständig

Das Hardy-Weinberg-Modell besagt, dass sich in idealen Populationen ein Gleichgewicht einstellt, das nur von den Startbedingungen abhängig ist, Allel- und Genotypfrequenzen ändern sich dann nicht mehr. In der Realität gibt es aber keine idealen Populationen. In einer realen Population ändert sich der Genpool ständig, manchmal mehr, manchmal weniger. Dabei kann die genetische Variabilität erhöht werden, sie kann sich aber auch verringern.

Die genetische Variabilität einer Population kann sich durch zwei Möglichkeiten erhöhen. Zum einen können zufällig auftretende Mutationen dem Genpool neue Allele hinzufügen. Neue Allele können zum anderen durch Einwanderung von Individuen aus anderen Populationen in den Genpool gelangen. In der Regel gleichen Mutation und Einwanderung die die genetische Variabilität verringernden Effekte aus, wobei der Effekt durch Einwanderung meist deutlich größer ist als der durch Mutation.

Effekte, die die Variabilität verringern, sind zum einen die Abwanderung von Individuen aus einer Population in andere Populationen. Zum anderen verringert die natürliche Selektion die Variabilität, indem (abhängig von den jeweils herrschenden Umweltbedingungen) nachteilige Allele aus dem Genpool aussortiert werden. In einem borealen Wald mit Wintertemperaturen um -40 °C etwa würden Tiere mit einem kurzen Fell erfrieren. Das Allel für kurzes Fell würde nach und nach aus der Population verschwinden, übrig blieben nur die Individuen, die das Allel für langes Fell besitzen und deshalb vor der Kälte besser geschützt sind.

Gendrift: auch der Zufall verringert die Variabilität

Eine mindestens genauso große Rolle für die Variabilität wie die Selektion spielen zufällige Ereignisse. Die Effekte, die die Variabilität des Genpools zufällig verändern, werden als genetische Drift bezeichnet. Stellen wir uns z. B. vor, dass ein Hirsch mit einem langen Fell ausrutscht, sich ein Bein bricht und deshalb vor einem Wolfsrudel nicht mehr fliehen kann. Mit seinem Tod verschwinden seine Allele aus dem Genpool, obwohl er eigentlich gut an seine Umwelt angepasst wäre, möglicherweise wäre er sogar im besten Alter und bei bester Gesundheit gewesen, um sich erfolgreich fortzupflanzen.

Genetische Drift ergibt sich auch dadurch, dass das Geschlechterverhältnis in einer Population ungleich verteilt sein kann, wenn es z. B. sehr viel mehr Weibchen als Männchen gibt oder umgekehrt. Die effektive Populationsgröße (Ne) ist dann deutlich kleiner als die tatsächliche Populationsgröße (N). Sie lässt sich berechnen nach der Formel

Ne = (4 x Nf x Nm) : (Nf + Nm)

Wobei Nf die Anzahl der Weibchen und Nm die Anzahl der Männchen ist.

Ein Beispiel: eine Population von 100 fortpflanzungsfähigen Individuen besteht aus 60 Männchen und 40 Weibchen. Ihre effektive Populationsgröße beträgt dann 96. Das heißt, dass die Population, die absolut aus 100 Tieren besteht, durch genetische Drift so viel genetische Variabilität verliert wie eine ideale Population mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis von 96 Individuen (48 Weibchen und 48 Männchen) verlieren würde.

Je kleiner eine Population ist bzw. je kleiner die effektive Populationsgröße ist, umso mehr wirken sich die Effekte der genetischen Drift aus. Insbesondere das Risiko, dass ein seltenes Allel aus dem Genpool verschwindet, ist in kleinen Populationen deutlich höher als in großen.

Genetischer Flaschenhals und Gründereffekt

Besonders drastisch wirken sich zwei Effekte der genetischen Drift auf den Genpool aus, die als genetischer Flaschenhals bzw. als Gründereffekt bekannt sind.

Vom genetischen Flaschenhals spricht man, wenn eine Population fast vollständig ausgelöscht wird. Das kann z. B. durch eine Naturkatastrophe wie ein Erdbeben, einen Vulkanausbruch oder aber auch die Ausbreitung einer Krankheit geschehen. Der Genpool der wenigen überlebenden Individuen, die die Katastrophe zufällig überlebt haben, ist dann deutlich kleiner als der Genpool der Population es vor der Katastrophe war. Nach einem genetischen Flaschenhalsereignis beträgt die genetische Variabilität also nur noch einen Bruchteil dessen, was sie vorher hatte. Infolge der begrenzten Möglichkeiten an Fortpflanzungspartnern kommt es dann auch noch häufiger zu Inzucht. Da verwandte Individuen aufgrund ihrer gemeinsamen Abstammung mehr Allele miteinander teilen als nicht miteinander Verwandte Individuen, werden durch die zunehmende Inzucht immer häufiger bei der Fortpflanzung die gleichen Allele miteinander kombiniert, d. h. der Anteil der Individuen, die an einem Locus homozygot sind, nimmt zu.

Ähnliche Auswirkungen, aber eine andere Ursache hat der Gründereffekt. Von ihm spricht man, wenn eine kleine Gruppe einer Population aus einer Population auswandert und eine neue Population begründet. Das kann z. B. der Fall sein, wenn ein paar Individuen einer auf dem Festland lebenden Vogelart durch einen Sturm auf eine unbewohnte Insel geweht wird. Der Genpool der Inselpopulation, die nur auf wenige Gründertiere vom Festland zurückgeht, ist im Vergleich zur Variabilität der Festlandspopulation deutlich kleiner. Auch Populationen, die auf einen Gründereffekt zurückgehen, sind daher weniger variabel und haben einen höheren Homozygitiegrad.

Gendrift bei Wapitis

Einst lebten in Nordamerika wohl über 7 Mio. Wapitis (Cervus canadensis). Die Population wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stark dezimiert, sodass das Wapiti beinahe ausgerottet worden wäre. Wapitis wurden geschossen, weil man sie als Konkurrenten sah, die auf den Äckern Schäden anrichteten. Sie wurden für die Trophäenjagd gewildert, um sie zu essen oder einfach nur zum Zeitvertreib. Nur wenige Wapitis überlebten in Schutzgebieten, ehe die Jagd auf die Art zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark eingeschränkt wurde. Aus einigen Schutzgebieten konnten Wapitis in andere Regionen ihres ehemaligen Verbreitungsgebiets, wo sie zuvor aufgrund der Jagd völlig verschwunden waren, ausgewildert werden. Seitdem haben sich die Bestände vielerorts wieder erholt. 1989 wurde ihr Bestand wieder auf etwa 72 000 Tiere in Kanada und 710 000 Tiere in den USA geschätzt. 2014 wurde der Bestand auf etwas über 1 Mio. Tiere in ganz Nordamerika geschätzt.

Wenn wir davon ausgehen, dass der Abschuss der Wapitis bis um 1900 unkontrolliert erfolgte, also wahllos so viele Tiere wie möglich geschossen wurden, könnte man die Jagd auf die Wapitis als ein genetisches Flaschenhalsereignis betrachten. Mit den wenigen verbliebenen Tieren wäre nicht nur ein Bruchteil der Population erhalten, sondern auch nur noch ein Bruchteil des einst viel variableren Genpools erhalten geblieben. Das spiegelte sich sowohl darin wider, dass die Anzahl der polymorphen Loci nur halb so groß (10 %) wie im Durchschnitt der Cerviden (20 %) ist, als auch darin, dass die durchschnittliche Anzahl an Allelen pro Locus deutlich niedriger ist (1.14 vs. 1.30 Allele pro Locus). Der niedrige Heterozygotiegrad (bzw. hohe Homozygotiegrad) von 2.00 % gegenüber 4.00 % bei allen Hirscharten deutet ebenfalls darauf hin, dass die Population einst stark dezimiert wurde und infolgedessen Inzucht häufiger auftrat.

Interessant ist, dass Weißwedelhirsche (Odocoileus virginianus) genetisch sehr variabel sind, sogar deutlich variabler als es der Durchschnitt aller Hirscharten erwarten ließe. 40 % aller Loci sind polymorph, je Locus gibt es durchschnittlich mehr als zwei verschiedene Allele und 9.70 % der Loci sind heterozygot. Das ist deshalb überraschend, weil auch Weißwedelhirsche bis Anfang des 20. Jahrhunderts stark gejagt wurden und beinahe ausgerottet worden wären. Wir würden deshalb eigentlich auch beim Weißwedelhirsch erwarten, dass sich in den genetischen Befunden ein Flaschenhalsereignis widerspiegelt. Das ist jedoch nicht der Fall.

Die niedrige genetische Variabilität des Wapitis im Vergleich zum Weißwedelhirsch kann darum nicht oder zumindest nicht nur mit der Gendrift erklärt werden. Es muss also noch andere Erklärungen geben.

Sehr wahrscheinlich ist die genetische Variabilität des Wapitis schon immer deutlich geringer als die des Weißwedelhirschs gewesen, also auch schon, bevor beide intensiv gejagt wurden. Eine mögliche Erklärung wäre, dass das Wapiti vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt, z. B. während der letzten Eiszeit, schon einmal fast ausgestorben wäre, also bereits vorher schon einmal durch einen genetischen Flaschenhals gegangen ist. Eine andere, viel wahrscheinlichere, Möglichkeit besteht darin, dass Wapitis stärker auf eine bestimmte ökologische Nische angepasst sind. Wapitis sind auf gemäßigte und kalte Klimazonen beschränkt. Weißwedelhirsche hingegen findet man in gemäßigten Wäldern ebenso wie in den subtropischen Regionen Floridas und sogar in Mittel- und dem nördlichen Südamerika in tropischen Regenwäldern. Das Wapiti ist somit wesentlich spezialisierter als der Weißwedelhirsch. Allgemein ist es so, dass eine starke Spezialisierung nur geringfügige Abweichungen toleriert. Wenn man z. B. nur "irgendein" Auto bauen will, reicht es eigentlich aus, dass es vier Räder und ein Lenkrad hat, die Form der Karosserie ist recht egal. Will man aber ein Rennauto bauen, muss die Karosserie eine ganz bestimmte Form haben und schon kleinste Abweichungen von der idealen Form lassen das Auto sehr viel langsamer werden. In gewisser Weise lässt sich dieses Konzept auch auf lebende Organismen übertragen. Je stärker eine Art auf eine bestimmte Lebensweise spezialisiert ist, umso geringer ist somit ihre genetische Variabilität. Möglicherweise wurden viele durch Mutation aufgetretene Allele beim Wapiti durch die Selektion daher wieder aussortiert, weil sie aufgrund seiner starken Spezialisierung zu stark abwichen und somit "nachteilig" wirkten. Dies scheinen molekularbiologische Daten zu bestätigen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
gabby973 
Fragesteller
 12.02.2023, 16:09

was sind jz die unterschiede zwischen die beiden?

0
CliffBaxter  12.02.2023, 16:26
@gabby973

ich musste lachen, die Antwort ist sehr umfangreich, aber du stehst immer noch auf dem Schlauch, angesichts der Fülle, in der die Antworten versteckt sind :) Ich schreibe ergänzend was dazu.. gleich

0

hier ist ja schon eine schöne Antwort vorhanden. Ich möchte nur auf einige Punkte eingehen.

Genetische Drift ist ein Evolutionsfaktor und bedeutet Zufallsveränderung von Genfrequenzen, nach Aufteilung oder Reduzierung der ursprünglichen Population.

Dadurch werden zufällig Gene aus dem Genpool gestrichen oder angereichert, ohne dass sie der Selektion unterworfen waren. Diese Gene müssen also keinen Anpassungswert haben, können sich aber trotzdem durchsetzen und gelangen zu einer großen Häufigkeit in der (neuen) Population. Das ist das besondere an genetischer Drift.

Die neue Population der Wapitis hat also durch Anwachsen nach starker Bejagung bis kurz vor der Ausrottung, nur eine zufällige Teilmenge der gesamten genetischen Vielfalt übrig behalten. Das sollte man als Vorüberlegung treffen, um die Fragen zu beantworten.

B1 Das Genom der Wapitis ist weniger polymorph (linke Spalte): Anteil polymorpher Genloci: Hirsche: 20%, Wapitis: 10%. Polymorph bedeutet, dass unterschiedliche Allelkombinationen von Genen mit mehreren Allelen in Genomen der Population vorkommen. Das hat also beim Wapiti im Vergleich abgenommen.

Anteil der heterozygoten Gene: Hirsche: 4%, Wapitis <2%. Die Genotypenfrequenz ändert sich dahingehend, dass es zu einer Zunahme der Homozygoten und zugleich entsprechend zu einer Abnahme der Heterozygoten kommt. Anzahl verschiedener Allele pro Genlocus nimmt ebenfalls ab: Hirsche 1,30, Wapitis: 1,14.

All diese Daten zeigen eine signifikante Abnahme der genetischen Variabilität bei den Wapitis, im Vergleich zu den Hirschen allgemein.

B2 das kommt eben durch die Gendrift. Dezimierung durch starke Bejagung führte zu einem Zusammenschrumpfen der Population. Späteres Wiederanwachsen ließ die Population zwar überleben. Es blieb aber nur eine Teilmenge der gesamten genetischen Vielfalt erhalten. Wodurch untersuchte Genorte bei Wapitis eine geringere genetische Variabilität zeigen, eine reduzierte Polymorphie sowei eine Abnahme der Heterozygotenquote (siehe B1).

B3 Der Weißwedelhirsch zeigt eine Zunahme von Polymorphie (40%), mehr verschiedene Allele pro Genlocus (>2,00) und eine Zunahme der Heterozygoten (9,70%) und damit in allen Punkten das Gegenteil von den Vorgängen in der Wapitipopulation :D Ja, da ist guter Rat teuer. Um eine Hypothese aufzustellen.

Gendrift allein ist unwahrscheinlich, wie Darwinist schon anmerkte. Ich sag mal so, dem nordamerikanischen Weißwedelhirsch ist es ähnlich wie dem Wapiti auch durch Bejagung ziemlich an den Kragen gegangen. Er wurde stark dezimiert. Man hat sich bei dem aber ziemlich intensiv bemüht, durch Wiederansiedlungsprojekte den Bestand zu erhöhen und dabei auch nicht davor zurückgeschreckt, Teilpopulationen aus (wahllos) anderen Teilen des ehemaligen Verbreitungsgebietes umzusiedeln.

Man hat damit offenbar das Gegenteil der genetischen Drift beim Wapiti bewirkt. Nämlich, was sonst nicht passiert wäre, die genetische Vielfalt erhöhen können, indem man die Hirsche von verschiedenen Lebensräumen des gesamten Verbreitungsgebietes durcheinander gemischt hat :D Das ist meine Hypothese, ohne Gewähr. Ich bin nicht so der Hirschexperte, aber diese Verzerrung der Zahlen ins andere Extrem, der mittleren Zeile, spricht ja geradezu dafür. LG