Frage zu Max Frisch - Homo Faber?

2 Antworten

Walter Faber – Typus des modernen Menschen?

Max Frisch entschied sich bei seiner Hauptperson Walter Faber für einen sprechenden Namen, damit schon durch den Titel deutlich wird, welche menschliche Existenzform im Zentrum steht. Im Buch selbst wird Walter Faber die aus der Anthropologie stammende Bezeichnung dabei von seiner damaligen Geliebten Hanna Landsberg verliehen; sie drückte damit den Gegensatz zwischen ihr, der Kunst- und Kulturbegeisterten (Fabers Spitzname dafür: „Kunstfee“), und Walter aus.

Homo faber – das ist der mit technischer Intelligenz ausgestattete Mensch, der seine Umwelt/die Natur mithilfe von Werkzeugen gestaltet und so das Leben bewältigt. Die Technik und die Naturwissenschaft sind auch für Walter Faber alles – sein Weltbild reduziert sich auf das technisch Machbare, das Zählbare, das rational Begreifbare. Für alles andere ist er zunächst blind. Seine Affinität zur Maschine wird von Beginn an sehr deutlich durch die vielen techni- schen Gegenstände, mit denen er sich umgibt: Rasierapparat, Filmkamera, Schreibmaschine, seine von technischem Verstand geprägten Aussagen über Flugzeuge. Und natürlich sein Beruf: Als Techniker reist er im Auftrag der UNESCO in Entwicklungsländer und leistet dort techni- sche Hilfe, gestaltet also – wie in der Definition des Homo faber – die unterentwickelte Umwelt mithilfe europäischer/amerikanischer Technik.

Das Zweifelhafte einer ausschließlich an der Ratio ausgerichteten Lebenseinstellung wird aber gleich zu Beginn schon deutlich gemacht, da Faber als unglücklicher Mensch dargestellt wird, der nicht weiß, wo er hin soll und sich häufig mit Alkohol betäubt.

Im Verlauf des Romans erleben die Leserinnen und Leser mit Walter Faber dann zusehends, wie dieses am Bloß-Rationalen ausgerichtete Weltbild mehr und mehr zerbricht. Am Ende ist nichts mehr, wie es war, alles was für Faber als richtig erachtet worden ist, erweist sich als falsch, alles was er verdrängt und ablehnt, holt ihn ein. Dazu gehören auch seine Negierung von Gefühlen und seine Unfähigkeit, sich zu binden.

Fabers Gefühls- und Bindungsunfähigkeit wird an seinen Beziehungen deutlich. Insbesondere mit Ivy geht er herzlos um, aber auch sein Heiratsantrag an Hanna ist – wie sie ihm vorwirft – einer Notlage geschuldet. Erst als er Sabeth kennenlernt, wandelt sich Faber – wenngleich auch langsam. Er lernt durch sie etwas kennen, dem er sich bislang verschlossen hat. Die Kultur, die Kunst, das Betrachten, das Zulassen von Gefühlen – all das erfährt der Homo faber durch Sabeth. Sie macht ihn, den Blinden, sehend, so wie sich ihre Mutter in ihrer Jugend auch mit einem Blinden die Welt eröffnet hat. Die Reise mit Sabeth durch Europa ist gleichsam eine Bildungsreise, an deren Ende ein sich in Wandlung befindlicher Mensch steht. Noch immer aber bricht sein auf Berechenbarkeit fußendes Weltbild hervor, auch in Krisensituationen, zum Beispiel als er über die Statistik zur Mortalität nach Schlangenbissen referiert.

Endgültig ins Wanken geraten seine inneren Einstellungen aber erst, als Sabeth stirbt und ihm durch die Auseinandersetzung mit Hanna die Dimensionen seines Handelns deutlich werden. Er selbst, alternd (50 Jahre alt) und todkrank, erkennt das Fragwürdige seiner Existenz, was darin manifest wird, dass er seinen Beruf, der ihm einst alles war, aufgibt. Er kündigt und beschließt nach Athen zu gehen.

Seine Irrtümer gesteht sich Walter Faber am Ende ein, er erkennt die Wahrheiten – seine Schuld am Geschehen allerdings weist er von sich, verdrängt sie, will angesichts der erfahrenen Sinnlo- sigkeit nichts sehen: „Warum nicht diese zwei Gabeln nehmen, sie aufrichten in meinen Fäusten und mein Gesicht fallen lassen, um die Augen loszuwerden“ (S. 192), sagt er, in Anspielung auf die Ödipus-Sage. Die Verdrängung und Leugnung der Schuld, die Entschuldigung, man habe das alles nicht wissen können – all das zieht sich durch den gesamten Bericht hindurch.

Quelle: https://www.auer-verlag.de/media/ntx/auer/sample/07148_Musterseite.pdf

Rotfuchs716  09.04.2023, 22:48

Die Konfrontation mit dem Selbstmord von Joachim anlässlich der Flugreise ist da eventuell auch noch zu beachten.

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Ich vermute mal, dass die Antwort von BLAEKK alles notwendige zur Beantwortung der Frage enthält. :-) Vielleicht hier nur die Ergänzung: das Besondere erkennt man ja am besten in der Abgrenzung. Und hier wäre interessant, in die Überlegungen mit einzubeziehen, welche Grundhaltungen, etwa gegenüber Frauen oder der Umwelt, der Natur, heute im öffentlichen Bewusstsein völlig anders dastehen als im Roman von Max Frisch.

gutifragerno  31.05.2022, 11:12

Mir ist noch etwas eingefallen, was deutlich macht, dass unsere Gegenwart sich bei weitem nicht von der Vorstellung entfernt hat, man könnte die Natur besiegen. Das zeigt sich zum Beispiel in dem Roman von Juli Zeh, „Corpus delicti“, wo eine selbst ernannte Macht -Elite die Menschheit von allen Krankheiten befreien will und dazu alle Mittel einsetzt.

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