Findet ihr die Jagd wichtig?

10 Antworten

Von Experte Waldmensch70 bestätigt

Hallo,

Wir haben nun einmal seit der Jungsteinzeit die Landschaft komplett umgestaltet und vom ursprünglichen Wald ist seither nur noch rund 1/3 übrig. Insbesondere auf den landwirtschaftlichen Flächen, die wir stattdessen haben, finden Schalenwildarten sehr viel mehr Nahrung als im Wald, zumindest während des Teils des Jahres, in dem sie sich fortpflanzen. Wie haben daher sehr viel höhere Wildbestände als es in einer vom Menschen unbeeinflussten Landschaft der Fall wäre. Und im Winterhalbjahr sind diese sehr viel höheren Bestände dann nicht auf der Fläche verteilt, sondern sie konzentrieren sich auf dem kleinen Teil davon, der noch Wald ist. Auch Beutegreifer wie der Wolf, über dessen Rückkehr ich mich freue, werden die Bestände nicht auf die Höhe vor dem Eingriff des Menschen regulieren, sondern auf ein neues Maß, das vom erhöhten Nahrungsangebot mitbestimmt wird, und für das bisschen Wald, das es noch gibt, einfach viel zu viel ist. Also müssen wir uns entscheiden, wollen wir den Wald auf der Restfläche erhalten, dann müssen wir jagen, oder nicht. Und wenn wir uns gegen die Jagd entscheiden, dann müssen wir uns irgendwann überlegen, wie wir die landwirtschaftlichen Flächen und auch die Menschen, die die "Natur" noch betreten wollen oder müssen, vor Wildschwein, Wolf und Co. schützen wollen. Irgendwann werden solch wehrhafte Arten gelernt haben, dass ihnen der Mensch nichts tun kann und darf, und dass sie ihm körperlich weit überlegen sind.

Zunächst möchte ich anmerken, dass ich mich eher als Jagdgegnerin einstufen würde - nicht nur, weil ich schon lange vegan lebe...

Dennoch würde ich differenzieren:

In großen, unberührten Waldgebieten - wie in vielen Nationalparks in Europa und weltweit - hat es sich bewährt, die Natur und die Wildtiere durch Nichtbejagung und fehlenden Forstbetrieb sich selbst zu überlassen...

Entstanden sind wunderbare "Naturwälder", die weder mit Verbiss noch mit Schädlingen etc. zu kämpfen haben - "Natur im Gleichgewicht".

Auch kein Überhandnehmen einer bestimmten Tierart ist dort zu beobachten - sondern ein ausgeglichenes Verhältnis von Beutegreifern und z.B. Rehwild.

Mir ist natürlich klar, dass dies in hiesigen Strukturen mit kleinen Waldstücken, damit auch einem weitverzweigten Straßen- und Wegenetz, vielen Städten, Flurbereinigung etc. nicht möglich ist...

Immer mehr Lebensraum, Rückzugsorte und Futterangebot für Wildtiere schwindet - das Wild wird immer mehr zurückgedrängt.

Ja - der Mensch hat seinen Teil dazu beigetragen, dass Wild und Natur aus dem Gleichgewicht geraten sind !

Seine Interessen standen - und stehen - stets im Vordergrund...

Im Osten Deutschlands sind Wölfe zum Problem geworden - Nutztiere können nur noch weggesperrt werden...

Viele Züchter und Landwirt geben die Tierhaltung auf.

Rehe, Wildschweine und Co. sind dort als Beutetiere vom Wolf bereits eliminiert worden - Wölfe gehen bereits in Ställe...

Ja, ich ringe mit mir und meinem Wunsch, dass es Bejagung nicht bräuchte - die Welt ist nur leider kein Ponyhof...

Zudem übernehmen Jäger die undankbare Aufgabe, von Nichtjägern angefahrenes Wild per Nachsuche aufzustöbern und - ggfs. - zu erlösen.

Sie tun dies in ihrer Freizeit - ich habe Jägern niemals Lust am Töten unterstellt...

Im Gegenteil kenne ich viele "nette" Jäger in meinem Umfeld - durch meinen Bruder und das tägliche Wandern in der Natur.

Für die meisten von ihnen ist das "Entnehmen" eines Tieres immer mit einem gewissen Schmerz verbunden...

Keiner von ihnen tut es ohne Gewissensbisse - klar gibt es auch andere, aber das ist in jedem Bereich des Lebens so !

Wie gesagt - man muss hier differenzieren, auch wenn ich dabei "Bauchweh" habe.

Mach` dir dein eigenes Bild - sammle deine eigenen Erfahrungen...

Waldmensch70  21.03.2024, 10:21

Danke, sehr gut und differenziert geschrieben.

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Pomophilus  21.03.2024, 12:48

Im Grundsatz sind wir uns in vielen Punkten einig. Nur die von dir beschrieben Zustände kenne ich in keinem Europäischen Wald- Nationalpark. Dafür sind, auch wenn sie uns riesig erscheinen mögen, die Flächen unserer Nationalparks einfach zu klein. Die Einflüsse von außen, Randeffekte etc sind immer noch viel zu groß, die Wildbestände entwickeln sich auch in der kleinen Nationalpark- Insel ganz anders, weil außen herum eben ganz andere Verhältnisse herrschen. Ich kenne also keinen, der faktisch ohne Jagd (auch wenn sie vielleicht "Wildtiermanagement" heißt) auskommt. Hier beispielsweise das Konzept des Nationalparks Bayerischer Wald:

https://acrobat.adobe.com/id/urn:aaid:sc:EU:49956b3e-a9ab-41ff-830a-26f0495578a6

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Wald und Natur BRAUCHEN die Jagd per se ersteinmal nicht. Aber sie brauchen auch die anderen menschlichen Eingriffe nicht. Man kann nicht einerseits Waldflächen zu Wohn- und Agrarflächen umwandeln, Wald abholzen, die Natur in ihrer Ausbreitung also einschränken und dann die Fauna andererseits nicht regulieren.
Will heißen: Entweder lasse ich es zu, dass die Natur die Kontrolle übernimmt und sich so ausbreitet, wie sie es nun mal tut und nehme es hin, dass Wohn- und Ackerflächen eben nicht so nutzbar sind wie wir das gerne wollen ODER ich greife konsequenter Weise auch in die Fauna ein - z.B. durch Jagd. Anderenfalls würden die Tiere durch ihre Vermehrung irgendwann durch ihre schiere Menge nicht mehr genug Nahrung finden, Krankheiten würden sich - durchaus auch auf den Menschen - ausbreiten und das ganze Ökosystem würde kippen.
Denk mal an dein Aquarium (so du eins haben solltest). Ein Stück Natur in deinem Wohnzimmer, was aber auch nur funktioniert, weil du regelmäßig eingreifst, reinigst, den Fischbestand und -gesellschaft auf einem verträglichen Level für die Beckengröße und Vergesellschaftung hältst, für Nahrung sorgst etc.

Das was du im Aquarium machst macht der Jäger im Wald. Er sorgt, neben dem Beifüttern und der Revierhege (was viele ja vergessen) - durchaus auch mit der Absicht, die geschossenen Tiere zu Nahrung und Kleidung zu verarbeiten und deren Tod somit einen weiteren Sinn zu geben - für eine Bestandsregulierung, damit das große Ganze nicht kippt und zugrunde geht. Die waidmännischen Regeln verlangen ja auch, dass in erster Linie verletzte und kranke Tiere erlegt werden und Schonzeiten eingehalten werden, damit sich der Bestand selbst regulieren kann. Darüber hinaus gibt es ja auch Regeln und Gesetze für waidgerechtes Jagen, die das Ziel verfolgen, kein unvermeidbares Leid zu bereiten. Wer sie nicht kennt bekommt keinen Jagdschein und wer sie nicht beachtet verliert ihn auch sehr schnell wieder.

Ich bin auch kein großer Fan davon und könnte es MIR selbst auch nicht vorstellen, eine Waffe gegen ein Lebewesen zu richten (obwohl ich durchaus regelmäßig sportlich mit Waffen umgehe und auch eigene besitze). Wer weiß, zu was ich bereit wäre, wenn davon mein Überleben oder das von mir Nahestehenden Menschen abhinge. Aber ich weiß auch, dass es nicht anders geht und akzeptiere, dass Menschen so etwas - auch durchaus gerne - tun, solange sie die sinnhaften Regeln ihrer Zunft beherzigen.
Ich sehe dann auch nichts inkonsequentes darin, das Wildbreet, was unsere Jäger im Schützenverein Weihnachten oder zu sonstigen Anlässen mal auftischen zu essen. Dem erjagten Tier dürfte es höchstwarscheinlich zu Lebzeiten sogar besser gegangen sein als manchem Schlachtvieh, was dann zu Wurst im Supermarktregal verarbeitet wurde, nachdem es unterm Strich das gleiche Schicksal am Ende eines sehr viel unschöneren Lebens ereilt hat. Und da ich nun mal Fleisch esse (und durchaus gerne, wenn es gut zubereitet ist) muss ich diesen Teil des "Deals" akzeptieren und habe nicht das Recht, die Moralkeule zu schwingen.

Was ich dann wieder abartig finde ist, wenn dann Hirschgeweihe als Jagdtrophäen an die Wände gehängt werden. In Räumen mit derartiger "Deko" fühle ich mich dann doch irgendwie wie in einer Leichenhalle. DAS muss dann nicht sein meiner Meinung nach. Aber jedem das Seine, tot ist das Tier ja so oder so.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wir leben in einer Kulturlandschaft, in der Wildbestand nicht mal eben mehr sich einfach selbst überlassen werden kann.

Natürliche Regulierung funktioniert aus diversen Gründen nicht mehr, also muß regelnd eingegriffen werden, u.a. durch Jagd.

Und der Raum in dem geregelt werden muß ist deutlich mehr als “ der Wald “, wie zahlreiche naive Mitmenschen glauben.

Allein die Problematik mit der Wolfspopulation und auch Wildschweinen / Schweinepest zeigt, dass es deutlich mehr Realisten als Bambi-Streichler in der Politik braucht.

Honeysuckle18  21.03.2024, 14:59

Mit "Realisten" in der Politik - meinst du da vielleicht einen Hubert Aiwanger und/oder Markus Söder ?? :(

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Ich bin nicht sehr tief in dem Thema drin, aber Freunde von mir sind Jäger.

"Der Wald" ist schon lange kein sich selbst erhaltendes Gebiet mehr. Die Wälder in Deutschland sind Nutzflächen, um die man sich kümmern muss, damit sie nicht kaputt gehen. Das gilt auch für die Tiere.

Bodenbrüter sind gefährdet, wenn es zu viele Füchse im Gebiet gibt. Um die Arten zu erhalten, müssen daher "überzählige" Füchse bejagd werden. Waschbären sind auch so ein Thema - invasive Arten drängen immer mehr in den Vordergrund. Gilt auch für Pflanzen, Riesenbärenklau zB. Zu viele Rehe in einem Wald können nicht überleben und werden krank, da große Räuber fehlen. Wo sollen diese auch bleiben? Es gibt keine großen zusammenhängenden Waldgebiete mehr, in denen Wolf, Reh, Hase und Fuchs ungestört ihrem Leben nachgehen können.

Der Mensch muss regulierend eingreifen, um das zu erhalten, was wir noch haben.