Die Räuber Schiller - Anlehnung an Antike?

2 Antworten

**Schau mal in die Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hektorlied

und zum Vergleich in die Ilias VI. Gesang, Vers 405-493, insbesondere:

Andromeda:

Trautester Mann, dich tötet dein Mut noch! Und du erbarmst dich Nicht des stammelnden Kindes noch mein, des elenden Weibes. Ach, bald Witwe von dir! Denn dich töten gewiß die Achaier, Alle daher dir stürmend! Allein mir wäre das beste, Deiner beraubt, in die Erde hinabzusinken; denn weiter Ist kein Trost mir übrig, wenn du dein Schicksal vollendest, Sondern Weh! Und ich habe nicht Vater mehr noch Mutter! Meinen Vater erschlug ja der göttliche Streiter Achilleus Und verheerte die Stadt, von kilikischen Männern bevölkert, Thebe mit ragendem Tor; den Eetion selber erschlug er, Doch nicht nahm er die Waffen, denn graunvoll war der Gedank' ihm, Sondern verbrannte den Held mit dem künstlichen Waffengeschmeide, Häufte darauf ihm ein Mal, und rings mit Ulmen umpflanzten's Bergbewohnende Nymphen, des Ägiserschütterers Töchter. Sieben waren der Brüder mir dort in unserer Wohnung; Diese wandelten all am selbigen Tage zum Ais; Denn sie all erlegte der mutige Renner Achilleus Bei weißwolligen Schafen und schwerhinwandelnden Rindern. Meine Mutter, die Fürstin am waldigen Hange des Plakos, Führet' er zwar hieher mit anderer Beute des Krieges; Doch befreit' er sie wieder und nahm unendliche Lösung; Aber sie starb durch Artemis' Pfeil im Palaste des Vaters. Hektor, siehe du bist mir Vater jetzo und Mutter Und mein Bruder allein, o du mein blühender Gatte! Aber erbarme dich nun und bleib allhier auf dem Turme! Mache nicht zur Waise das Kind und zur Witwe die Gattin! Stelle das Heer dorthin bei dem Feigenbaume; denn dort ist Leichter die Stadt zu ersteigen und frei die Mauer dem Angriff. Dreimal haben ja dort es versucht die tapfersten Krieger, Kühn um die Ajas beid und den hohen Idomeneus strebend, Auch um des Atreus Söhn' und den starken Held Diomedes, Ob nun jenen vielleicht ein kundiger Seher geweissagt Oder auch selbst ihr Herz aus eigener Regung sie antreibt.

Ihr antwortete drauf der helmumflatterte Hektor:

Mich auch härmt das alles, o Trauteste, aber ich scheue Trojas Männer zu sehr und die saumnachschleppenden Weiber, Wenn ich hier, wie ein Feiger, entfernt das Treffen vermeide. Auch verbeut es mein Herz; denn ich lernete, tapferen Mutes Immer zu sein und voran mit Trojas Helden zu kämpfen, Schirmend zugleich des Vaters erhabenen Ruhm und den meinen! Zwar das erkenn ich gewiß in des Herzens Geist und Empfindung: Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt, Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigen Königs. Doch nicht kümmert mich so der Troer künftiges Elend, Nicht der Hekabe selbst, noch Priamos' auch, des Beherrschers, Noch der Brüder umher, die dann, so viel und so tapfer, All in den Staub hinsinken, von feindlichen Händen getötet, Als wie dein's, wenn ein Mann der erzumschirmten Achaier Weg die Weinende führt, der Freiheit Tag dir entreißend; Wenn du in Argos webst für die Herrscherin oder auch mühsam Wasser trägst aus dem Quell Hypereia oder Messeis, Sehr unwilligen Muts; doch hart belastet der Zwang dich! Künftig sagt dann einer, die Tränenvergießende schauend: Hektors Weib war diese, des tapfersten Helden im Volke Rossebezähmender Troer, da Ilios' Stadt sie umkämpften! Also spricht man hinfort, und neu erwacht dir der Kummer, Solchen Mann zu vermissen, der retten dich könnt aus der Knechtschaft! Aber es decke mich Toten der aufgeworfene Hügel, Eh ich deines Geschreies vernehm und deiner Entführung!

Die Bezüge von Schillers Lied zu Homer sind sehr deutlich. Formulieren musst du schon selbst, worin sie bestehen.

Fontanefan  08.04.2014, 11:16

Natürlich heißt Hektors Frau Andromache!

Ich bitte, den Tippfehler zu entschuldigen.

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Die Szene der antiken Literatur steht bei Homer, Ilias Ζ, 6. Gesang, Vers 390 – 496. Hektor kommt während des troianischen Krieges in die Stadt Troia und begegnet dabei seiner Ehefrau Andromache. Sie bittet ihn, sich ihrer und des Sohnes Astyanax zu erbarmen und innerhalb der Stadtbefestigung zu bleiben. Hektor kann sie verstehen und versucht sie zu trösten. Für ihn kommt nur in Frage, ein tapferer Held zu sein und zu den Vorkämpfern zu gehören. Seine größte Sorge ist, daß Andromache die Freiheit verliert, von einem Griechen weggeführt, zu einem Leben als Sklavin gezwungen. Hektor fordert Andromache auf, sich um Frauenarbeiten zu kümmern, während der Krieg Aufgabe der Männer ist du am meisten von ihm selbst.

Der ausziehende Krieger läßt Frau und Kind zurück und begibt sich in Todesgefahr.

Mehrere Tage später wird Hektor im Kampf von Achilleus getötet (Homer, Ilias Χ, 22. Gesang).

Friedrich Schiller ist zu den Hektorliedern auch durch eine Beschreibung eines Gemäldes der Malerin Angelika Kauffmann, Hektors Abschied von Andromache (1768), durch Helfrich Peter Sturz angeregt worden.

Die Hektorlieder sind musikalische Einlagen. Schiller hat später den „Abschied Andromachas und Hektors“ überabeitet und als selbständiges Gedicht veröffentlicht (er hielt es für eines seiner besten), wobei dies schließlich den Titel „Hektors Abschied“ bekam.

Amalia von Edelreich spielt am Klavier und singt das Lied, das sie und ihr Verlobter Karl Moor oft zur Laute gesungen haben im 2. Aufzug, 2. Szene. Es ist ein Wechselgesang von Andromache und Hektor. Amalia wird als schwärmend und entzückt dargestellt. Das Lied ist im Vergleich zur homerischen Szene sentimentalischer und von gesteigerter pathetischer Empfindsamkeit.

Anders als in der Ilias wird zugrundegelegt, Hektor habe Patroklos schon getötet und Achilleus nehme wieder am Kampf teil, um den Tod seines Freundes zu rächen. Erwartet wird der Tod Hektors (fällt als ein Vaterlandserretter) und ein Wiedersehen im Elysium, den Gefilden der Seligen. Hektor versichert, auch nach dem Tod werde seine Liebe nicht im Lethe (ein Fluß der Unterwelt; wenn die Toten aus ihm trinken, bewirkt dies Vergessen/Verlust der Erinnerung) sterben.

Amalia versetzt sich in die Rolle der Andromache und stellt sich Karl Moor als antiken Helden/Heroen Hektor vor.

Als Amalia im 4. Aufzug, 4. Szene das Lied auf der Laute spielt und singt, erwidert Karl Moor, sich als Grab von Brand ausgebend, mit einer Textselle, selbst spielend und singend, und gibt sich so zu erkennen (flieht dann davon).

Karl von Moor, als feuriger Geist gekennzeichnet, zeigt Verehrung antiker Helden/Heroen.

Im 4. Aufzug, 5. Szene spielt und singt Karl Moor ebenfalls in einem erhabenen, hohen Ton einen Wechselgesang der toten Römer Brutus und Caesar (nach der Schlacht bei Philippi), darstellt als Sohn und Vater (was den eigenen Vater-Sohn- Konflikt berührt). Er zeigt eine Sehnsucht nach dem Elysium als einem Jenseitsort der Ruhe und des Friedens.

Franz Moor begibt sich mit seiner Räuberbande in Kampf und Krieg. Es gibt eine Liebesbeziehung mit Amalia (allerdings keine Heirat und kein Kind). Anders als Hektor ist Karl Moor allerdings kein Vorkämpfer bei der Verteidigung des Vaterlandes/der Heimatstadt. Es gibt Abweichungen der beschworenen antiken heroischen Rollenbilder von der Wirklichkeit der Personen des Dramas. Der alte Moor, der seinen Sohn verstoßen hat, ist darin kein Gegenstück zum König Priamos gegenüber Hektor.

Albrecht  09.04.2014, 07:02

eine Deutung des Stückes insgesamt:

Walter Hinderer, Die Räuber. In: Schillers Dramen. Herausgegeben von Walter Hinderer. Stuttgart : Reclam, 1992 (Reclams Universal-Bibliothek ; Nr. 8807 : Interpretationen), S. 11 - 67

S. 57: „Als Amalia ein Lied, das sie oft zusammen gesungen haben, zu spielen und zu singen beginnt, setzt es Karl Moor fort und gibt sich damit zu erkennen. Allerdings deutet das Lied vom Abschied Andromaches und Hektors (erstmals in II, 2) noch eine andere semantische Beziehung an. Auf ihr destruiert der junge Schiller tradierte Rollentexte und die durch sie signalisieren Bedeutungszusammenhänge und legt ihre Diskrepanz in Hinblick auf die Rollenträger bloß, die solche Texte und Bedeutungszusammenhänge benutzen. Das zitierte Lied dient ja nicht nur als Erkennungszeichen, sondern inszeniert auch ein heroisches Rollenspiel, dem die Wirklichkeit nicht entspricht. So wenig Karl dem antiken Helden Hektor und Amalia Andromache gleicht, so wenig stimmt die Beziehung alter Moor und Priamus. Auch die literarischen und historischen exempla, die Karl anführt, von Herkules und Alexander bis Hannibal, Scipio, Brutus und Caesar sind Textrollen oder Rollentexte, die nur Wunschvorstellungen ausdrücken, aber keinen Realitätsgehalt haben. Sie beweisen eigentlich nur, daß sich die Defizite der realen Welt nicht durch imaginierte alte Vorstellungen und Ideen eliminieren lassen. Deshalb werden auch die antiken und biblischen Paradigmen, Parabeln und Gleichnisse in den Repliken immer wieder auswechselt.“

S. 57 – 58: „Die heroische Situation, die das Lied von Hektor und Andromache beschwört, wird in dem von Hermann nach dem Text und der Regie von Franz aufgeführten Sketch (II, 2) noch bis zum Exzeß parodiert. Die Wirkung des fingierten Heldentodes auf die schwärmerische Amalia ist so stark, daß sie »in Entzückung« ausruft: »Hektor, Hektor!«. In ihrer Phantasie ist Karl nun wirklich zum heroischen Vorbild geworden, was die Diskrepanz von Fiktion und wirklichem Sachverhalt fast ins Groteske steigert.“

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