Die Erziehung des menschengeschlechts Lessing?
Wir haben diesen Text Auszug von Lessing bekommen,aber ich verstehe leider nicht,was er mir damit sagen will.
hilffeeee
1 Antwort
Es gibt drei Phasen der Menschenerziehung:
a) Altes Testament: Die Menschen sind noch wie Kinder, Gott muss sie bestrafen (der "zürnende Gott")
b) Neues Testament: Jesus, "der große Pädagoge", kommt: Die Menschen werden je nach Verdienst bestraft (Hölle) und belohnt (Himmel), aber es muss kein "Sofort" sein wie bei den Kindern (also Jenseits-Vorstellung).
c) Die Menschen sind ethisch so fortgeschritten, dass sie jetzt (im "dritten Reich", das es noch nicht gibt) das Gute um des Guten willen tun, Strafen und Belohnung werden also überflüssig.
Mit der Offenbarung bezieht er sich auf die "göttliche Offenbarung" - also die Bibel.
Er führt aus, dass die Lehre der Bibel für die Menschheit als Ganzem in gleicher Weise gilt, wie die Erziehung dem einzelnen Mensch.
Der Vorteil er Erziehung beim Mensch bietet den Vorteil, das er die Erfahrungen früher macht (vermutlich, weil er sie nicht selbst durchleben muss, sondern sich auf die Erfahrungen seiner Erzieher stützen kann). Er könnte ebenso diese Erkenntnisse auch selbst gewinnen, es würde aber länger dauern.
Herzliche Grüße
krato333
Da muss man doch etwas weiter ausholen:
Lessings Tritbut an die Aufklärung besteht hier aus zwei Grundvorstellungen: 1. die Menschheit entwickelt sich genau wie ein Individuum, 2. Die Entwicklung der Menschheit entspricht einem „[Werde]Gang“ (die Schritt- und Wegmetapher ist für die Aufklärung entscheidend), was ich in den drei Phasen zusammengefasst habe.
Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, dass Offenbarung und Erziehung nicht mehr als Gegensätze aufzufassen sind: Offenbarung bringt der Menschheit gleich alles, was die vernunftgeleitete Erziehung dann jedem Individuum schrittweise auch beibringt.
Offenbarung geschieht auf der Ebene der gesamten Menschheit, weil die einzelnen Menschen unterschiedliche geistige Fähigkeiten haben. Da aber Offenbarung keine Reflexion in Gang setzt, gilt sie gleich für alle.
Erziehung ist aber auch deshalb auf Offenbarung angewiesen, weil kein Mensch zu dem erzogen werden kann, was er „nicht auch aus sich selbst haben könnte“ (im Klartext: ein Dummkopf kann nicht zu höchsten astronomischen Erkenntnissen kommen).
Daraus ergibt sich, dass Erziehung im Grunde genommen nichts anderes ist als Offenbarung in Progress.
So Lessing in diesem Werk.
Man kann das aber auch ganz anders lesen: im beschriebenen Drei-Phasen-System braucht der Mensch am Ende seiner Entwicklung keine Religion mehr. Das können die Theologen der Zeit nicht akzeptieren (Lessing musste gegen Orthodoxen kämpfen, etwa Goeze, und wurde der Zensur unterzogen). Die Darstellungsweise von Die Erziehung des Menschenschlechts ist demnach nur ein Mittel, die Offenbarung (= die religiöse Tradition) in das neue System hineinzuretten, um nicht der Häresie beschuldigt zu werden.
Mit Erziehung wollen Eltern ihr Kind auf den rechten Weg leiten.
Mit der Offenbarung will Gott dasselbe für die Menschheit tun.
Aber im Prinzip könnten die Menschen durch Anwendung ihrer Vernunft zu dem Ergebnis kommen, das ihnen von Gott in den Evangelien offenbart worden ist.
Nur würde das länger dauern.
In § 4 sagt Lessing genau das Gegenteil (Erziehung = "geschwinder und leichter").
Ich sitze seit gestern jetzt an Lessings Gedanken dran und bin jetzt bei der Hälfte angekommen.
Es ist für jemanden, der sich sonst mit solchen Themen nicht befasst, sehr schwer zu verstehen, was der Herr immer meint😄
deshalb hätte ich noch Verständnisfragen zu einigen Absätzen von Lessing und wenn es sie nicht stört, würde ich mich freuen, wenn sie mir helfen würden.
§. 63.
Dass sie aber diese Eine grosse Lehre noch mit andern Lehren versetzten, deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich war: wie konnte das anders seyn? Lasst uns sie darum nicht schelten, sondern vielmehr mit Ernst untersuchen: ob nicht selbst diese beygemischten Lehren ein neuer Richtungsstoss für die menschliche Vernunft geworden.
§. 64.
Wenigstens ist es schon aus der Erfahrung klar, dass die Neutestamentlichen Schriften, in welchen sich diese Lehren nach einiger Zeit aufbewahret fanden, das zweyte bessre Elementarbuch für das Menschengeschlecht abgegeben haben, und noch abgeben.
§. 65.
Sie haben seit siebzehnhundert Jahren den menschlichen Verstand mehr als alle andere Bücher beschäftiget; mehr als alle andere Bücher erleuchtet, sollte es auch nur das Licht seyn, welches der menschliche Verstand selbst hineintrug.
72.
So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Testaments entbehren können; so wie wir allmälig, zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, auch des Neuen Testaments entbehren zu können anfangen: könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?
§. 81.
Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufen der Aufklärung und Reinigkeit nie kommen? Nie?
§. 82.
Nie? - Lass mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger! - Die Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.
Was meint er mit diesen Abschnitten?Meint er also, dass es gut ist, dass jetzt neue lehren ins Spiel kommen ?
Es geht hier um die von mir als "zweite Phase" bezeichnete Ebene, also um das Neue Testament, das Lessing auch "das zweite, beßre Elementarbuch" nennt.
"sie" sind also hier seine Jünger. Lessing findet es tatsächlich gut, dass sie "beygemischte Lehren" hinzugedacht haben. Geschichtlich gesehen kann keine Lehre "rein" bleiben, man kann das mit der ersten Phase parallelisieren, wo es heisst, dass das israelische Volk "in die Fremde gestoßen" werden musste (§ 19, 38), wo das "Kind" mir andern Kindern in Berührung und so auch zu neuen Erkenntnissen kommt. Erkenntnisgewinne werden also auch durch Kriege erzielt ("Gefangenschaft unter dem weisen Perser"? § 35).
Der Parallelismus ist so genau, dass Lessing hier die Wendung "in die Fremde stoßen" verwendet, was dem "neuen Richtungsstoß" durch die Jünger (§ 63) entspricht.
Erziehung ist "geschwinder und leichter" als eigene Erkenntnis. Genauso Offenbarung. Also dauert eigene Erkenntnis länger als Erkenntnis durch Offenbarung.
Offenbar meinen wir also genau dasselbe. Und das braucht auch nicht zu verwundern, weil wir uns auf denselben Text beziehen.
Was sind denn diese sogenannten „beygemischten lehren“?
Das sagt Lessing, so viel ich weiss, nicht genau. Gemeint sind wahrscheinlich die unterschiedlichen Versionen des Neuen Testaments, also der vier Evangelien. S. § 64: "diese Lehren" haben sich "nach einiger Zeit" in den "neutestamentlichen Schriften" "aufbewahrt" gefunden.
Vielen vielen Dank,ich verstehe nur noch nicht bestimmte Sätze von Lessing nicht,wie zb.
Was die Erziehung bey dem einzeln Menschen ist, ist die Offenbarung bey dem ganzen Menschengeschlechte.
Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist, und noch geschieht.
Erziehung giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also giebt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und giebt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.
was meint er damit ?