Die drei Wege glückseligen Lebens?

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Die Glückslehre steht vor allem bei Aristoteles, Nikomachische Ethik 1 und 10.

Glück(seligkeit) ist nach Aristoteles das höchste und letzte Ziel (Endziel) menschlichen Handelns. Alle streben nach Glück.

Glückseligkeit (εὐδαιμονία) zeichnet sich gegenüber anderen Ziel wie Lust, Reichtum (Gelderwerb), Gesundheit oder Ruhm/Ehre durch mehrere Eigenschaften besonders aus.

1) Vollkommenheit: Glück wird immer um seiner selbst willen gewünscht, niemals um etwas anderen willen

2) Selbstgenügsamkeit (Autarkie): Glück allein ist schon ausreichend, ein Leben begehrenswert zu machen. Es bedarf keines Hinzufügens mehr. Das Gut, das vollendet ist, genügt sich notwendig selbst.

Aristoteles ist der Auffassung, ein so großes Gut wie das Glück könne nur durch ein Tätigsein erreicht werden, indem Fähigkeiten und angelegte Möglichkeiten entfaltet werden. Die Entfaltung ist etwas, das Freude bereitet und zu einem guten, erfüllten Leben beiträgt.

Als das einem Menschen eigentümliche Werk (das, wozu er speziell bestimmt ist) versteht Aristoteles die mit Vernunft verbundene Tätigkeit der Seele und ein entsprechendes Handeln. Das menschliche Gut ist nach ihm der Vortrefflichkeit gemäße Tätigkeit der Seele bzw. (wenn es mehrere Vortrefflichkeiten gibt) der besten und vollkommensten Vortrefflichkeit entsprechende Tätigkeit. Das hier mit Vortrefflichkeit wiedergegebene Wort heißt griechisch ἀρετή, was in der deutschen Sprache oft mit Tugend übersetzt wird, dabei aber in Gefahr gerät, in der Bedeutung zu sehr eingeschränkt verstanden zu werden.

Gründe für die Wahl der Vernunft sind:

  • Vornehmheit: Die Vernunft ist als das Leitende das Vornehmste in uns und die Gegenstände der Vernunft die vornehmsten im Bereich der Erkenntnis.

  • Langfristigkeit: leichter eine anhaltende Tätigkeit möglich

  • Beständigkeit/Dauerhaftigkeit/Stabilität und Reinheit (keine Mischung mit etwas Unangenehmen) des Genusses

  • Autarkie

  • zur Muße, die vom Menschen begehrt wird, passende Tätigkeit

Aristoteles unterscheidet drei Lebensformen, in denen Glück gesucht wird:

1) βίος ἀπολαυστικός [apolaustikos]: Leben der sinnlichen Lust und des Vergnügens

2) βίος πρακτικός [bios praktikos]: politisch-praktisches Leben (vor allem Handeln in einer Gemeinschaft)

3) βίος θεωρητικός [bios theoretikos ]: Leben der theoretischen Betrachtung (θεωρία; Forschung und Philosophie)

Lust ist ein Glücksbestandteil (1, 5 1097 b 4 – 5). Das Gute und die Lust gehören zu dem, was um seiner selbst willen liebenswert ist (8, 2 1155 b 21 – 22). Die Lust ist aber nach Aristoteles nicht das höchste Gut. Nicht jede Form der Lust ist an sich wählenswert. Nicht jede Lust gilt Aristoteles als ein Gut (10 , 2 1173 b 21; 10, 3 1174 a 3). Das Lustvolle ist ein anscheinendes Gut, das ein wirkliches Gut oder nur ein täuschendes Scheingut sein kann.

Die Lebensformen können miteinander verbunden werden, aber die dritte (theoretisches Leben, also selber denken, geistige Tätigkeit) hat in der aristotelischen Ethik den höchsten Rang. Ein Bloß auf sinnliche Lust beschränktes Leben hat den geringsten rang, weil kein Streben nach Vollkommenheit aufritt, Menschen sich knechtisch und ohne Einsicht und Besonnenheit verhalten. Ein Bloßes Erwerbsleben mit einem Streben nach Reichtum um seiner selbst willen ist verfehlt ein gutes Leben und ist nicht der richtige Weg zum Glück (1, 3).

Außer der von innen ausgehenden Seite gehören zum Glück nach Aristoteles auch äußere Güter, bei denen Menschen von äußeren Umständen abhängig sind. Für Grundbedürfnisse wird etwas benötigt, z. b. Ernährung, Kleidung, Wohnen. Wohlstand bietet mehr Möglichkeiten. Freunde können unterstützen. Der Staat, in dem Menschen leben, kann ein gutes oder schlechtes Herrschafts- und Rechtssystem haben und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mehr oder weniger Chancen bieten. Die äußeren Umstanden beeinflussen das Leben.

Otfried Höffe, Aristoteles. 3., überarbeitete Auflage, Originalausgabe. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 535), S. 235:
„Nach Aristoteles erfüllt das Leben der theôria die Kriterien des Glücks, etwa die Autarkie in höchstem Maß, weil theôria, anders als das politische Leben, weder äußerer Güter bedarf noch der Mitbürger und Freunde, gegen die man gerecht, freigebig usf. handelt (EN X 7 1177a29-32). Außerdem ist die theôria der Bedrohung durch widrige Umstände enthoben. Und als eine Praxis, die um ihrer selbst willen vollzogen wird (Met. I 2, 982b24-28) trägt sie ihre Rechtfertigung in sich.“

Albrecht  21.08.2011, 22:12

S.236: „Merkwürdigerweise fällt der Vorrang der theoretischen Existenz deutlich aus und gilt doch nicht ganz uneingeschränkt. Auch die moralisch-politische Existenz darf auf das Glück Anspruch erheben. Denn das schlechthin Nichtnotwendige, die Freiheit der theôria, ist erst aufgrund eines hohen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsstandes möglich. Außerdem sind nur wenige Menschen zum entsprechenden Leben fähig; und selbst für sie stellt sich die theôria als ein Lebenszustand dar, der den Menschen, soweit er sich bemüht, zwar unsterblich macht […], ihm aber immer nur für kurze Zeit, in einem vollkommen erfüllten Augenblick, möglich ist (Met. XII 7, 1072b14f.).“

In weiteren Büchern gibt es noch eingehendere Erläuterungen zum Glück und den Lebensformen, z. B.:

Friedo Ricken, Wert und Wesen der Lust (VII 12 – 15 und X 1 – 5). In: Aristoteles: Nikomachische Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. 3., gegenüber der 2. bearbeiteten, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2010 (Klassiker auslegen ; 2), S. 207 – 228

Wolfgang Kullmann, Theoretische und poltische Lebensform (X 6 – 9). In: Aristoteles: Nikomachische Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. 3., gegenüber der 2. bearbeiteten, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2010 (Klassiker auslegen ; 2), S. 253 – 276

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 293 – 316 (Praktische Philosophie)

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Ich möchte noch mal betont hinzugefügt haben, dass man es nicht selbst ist, der entscheidet ob man Glückselig ist. Ob jemad die Glückseligkeit erreicht hat entscheiden:

Die anderen und zwar nach dem Tod.