Der Ballhausschwur 20. Juni 1789?

1 Antwort

Wirkung: Die Wirkung ist teilweise von der Einstellung zum dargestellten Ereignis und zur Französischen Revolution (1789 – 1799) abhängig.

Wer das Bild ansieht, erblickt einen Augenblick eines begeisterten Zusammenschlusses von Menschen, einer auf große Ideen gerichteten erhabenen Szene, die für die Einheit der Nation in einer revolutionären Handlung steht. Der Anblick zieht in einen emporstrebende Gesamtbewegung hin zum Licht hinein.

Aussageabsicht: Es wird ein freiwilliger, Unterschiede überformender überindividueller Gesamtwille gezeigt, der die Einheit der Nation verkörpert und mit Ergriffenheit und Schwung für Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eintritt. Es wird an einen großen Moment erinnert.

Ereignis

Die Abgeordneten des Dritten Standes der Generalstände, die sich am 17. Juni 1789 zur Nationalversammlung erkärt hatten, haben sich zusammen mit einigen wenigen Abgeordneten des Klerus, des 1. Standes( am bekanntesten ist von ihnen Henri Grégoire, ein Abbé [katholischer Weltgeistlicher]; in seinen Memoiren - Henri Grégoire, Mémoires de Grégoire, ancien évêque de Blois, député à l'Assemblée constituante et à la Convention nationale, sénateur, membre de l'Institut. Précédés d'une notice historique sur l'auteur par Hippolyte Carnot. Paris ; Dupont, 1837, S. 379 - nennt er 4 Pfarrer, die außerdem teilgenommen hatten: [Vornamen von mir ergänzt]: Jacques-Joseph Besse, David-Pierre Ballard, Jacques Jallet, René Lecesve [andere Schreibweise des Nachnamens: Le Cesve]) am 20. Juni 1789 in einer Ballsport-Halle (französisch: Salle du Jeu de Paume) versammelt, unter Leitung des Präsidenten der Nationalversammlung, Jean-Sylvain Bailly, die Lage erörtert, über zu unternehmende Schritte beraten, eine Eidesformel entworfen und (mit Ausnahme eines einzigen Abgeordneten, der keinen Entscheidungen zustimmen wollte, die nicht vom König bestätigt würden: Martin Dauch aus Castelnaudary) einen feierlichen Eid (Ballhausschwur) geleistet. Eine Kernaussage war, sich nicht zu trennen und nicht auseinanderzugehen, bevor eine Verfassung geschaffen worden sei. Der Schwur war eine symbolische Bekräftigung eines revolutionären Schrittes. Begeisterte Zustimmung seitens des Volkes ermutigte die Angeordneten.

Künstler und Kunstwerk

Die Nationalversammlung hat am 6. November 1790 den im Stil des Klassizismus tätigen

Maler Jacques-Louis David (* 30. August 1747; † 29. Dzember 1825), der sich an der Revolution beteiligte, mit einem Historiengemälde zur Erinnerung an das Ereignis beauftragt.

David hat Ende Mai 1791 in seinem Atelier und Ende Sptember 1791 eine Zeichnung (1 m x 0,6 m) „Le Serment du Jeu de paume“ („Der Ballhausschwur“) gezeigt, die als Entwurfsvorlage für ein monumentales Gemälde dienen sollte, an dem er von 1790 bis 1792 arbeitete, das aber nicht fertiggestellt wurde, weil er andere Aufträge übernommen hatte und aufgrund einer inzwischen eingetretenen Zerstrittenheit unter den damals beteiligten Abgeordneten politische Schwierigkeiten hinderlich waren.

Beschreibung

Die lavierte (nachträglich mit Wasserfarben gefärbte) Federzeichnung von Jacques-Louis David zeigt die Versammlung der Abgeordneten der Nationalversammlung im Ballhaus von Versailles in dem Augenblick, als sie den feierlichen Eid ablegen.

Einige der Abgeordneten stehen oder sitzen auf Stühlen oder Tischen. Der Großteil der Abgeordneten trägt Kleidung des wohlhabenden Bürgertums, z. B. Frack und Kniehose. In großer Zahl erheben sie die Hände zum Schwur, einige heben Hüte hoch, der Gesichtsausdruck zeigt zum Teil deutlich Begeisterung und Ergriffenheit, jemand faltet die Hände wie zum Gebet, jemand legt beide Hände auf seine Brust, einige umarmen sich. Die Abgeordneten füllen dichtgedrängt den Saal

In der Ecke links unten sind Bälle, ein Schläger zum Ballspiel und ein Korb zu sehen, Ausrüstung zum ursprünglichen Zweck (Ballsport) des Raumes.

Oben im Saal gibt es links und rechts große mehrteilige Fenster und Personen (Männer, Frauen und Kinder) blicken von dort in den Saal auch von einer kleinen Loge rechts oben. Vom hineinwehenden Wind am linken Fenster werden die Vorhänge gebauscht, von Luftzug teilweise weit nach innen geschwungen. Von diesem Fenster aus fällt auch Licht in den Saal. Ein großes Gebäude (Schlosskapelle von Versailles) zeichnet sich außen am Fenster ab, Sturm und Blitz scheinen dort zu toben.

Unter der Galerie (auf der linken Seite) drängen sich rechts neben eier Säule einige finstere Gestalten mit phrygischen Mützen. Sie werden von Soldaten zurückgehalten.

Vorne steht im Mittelpunkt ein Mann auf einem Tisch, der in seiner linken Hand ein Schriftstück vor seiner Brust hält, und den rechten Arm zum Schwur, den er anscheinend vorspricht, erhoben hat. Viel Abgeodrnete sind ihm zugewandt. Andere strecken ihre Arme in Richtung des Lichtes aus.

Eine große Anzahl der Abgeordneten bildet eine verdichtete Menge. Eine sind hervortretende Figuren.

Auf der linken Seite tragen und stützen zwei Leute in einfacher Kleidung einen anscheinend gebrechlichen älteren Abgeordneten, der mit Mühe seinen Arm ein wenig zum Schwur hebt.

Vorne in der Mitte geben sich wie in einem Kreis drei Männer die Hände, von denen zwei an ihrem langen, zum Boden reichenden Gewand deutlich als Geistliche bemerkbar sind.

Auf der rechten Seite verschränkt ein sitzender Mann die Arme vor seiner Brust und neigt den Kof nach unten. Ein daneben stehender Abgeordneter versucht, den Arm des sitzenden Mann hochzureißen, aber ein dahinter stehender Abgeordneter, hindert ihn durch Wegschieben daran und scheint ihn mit der Geste eines Fingers am Mund zu Schweigen und Zurückhaltung aufzufordern.

Deutung

Jacques-Louis David wollte mit einer dramatischen Szene die Einheit der Nation in einer revolutionären Handlung darstellen. Gezeigt wird auf dem Bild des Ballhausschwurs, wie die nationale Einheit politische und religiöse Gegensätze überformt. Dargestellt ist auf eine erhabene und heroische Art die Herstellung der Nation in einer rituellen Sprechhandlung. Das Bild zeigt einen freiwilligen Zusammenschluss Gleicher. Dabei sind einige stärker überschwenglich, andere mehr nachdenklich. Publikum nimmt am Geschehen Anteil. Aus einem Fenster kommt vom oben Licht herein und einige Abgeordnete halten ihre Hände in Einklang mit den Lichtstrahlen, die wie eine erleuchtende Vernunft gedeutet werden können (Licht als Symbol der Aufklärung).

Der hineinwehende Wind drückt aus, wie schwungvoll und stürmisch der Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist. Dieses stürmische Wetter kann auch symbolisch auf eine stürmisch-engagierte Gesinnung der Abgeordneten bezogen werden.

Die vielen Schaulustigen an den Fenstern, in der Loge und in der Galerie zeigen die Teilnahme der Bevölkerung an dem Ereignis und der Revolution (Jacques-Louis David hat sich am rechten Fenster selbst mit seinen Kindern als Zuschauer dargestellt).

Der Schwur selbst ist als zentrales politisches Ereignis hervorgehoben. Der Astronom Jean-Sylvain Bailly wird als Vorsitzender der Versammlung und Vorsprecher des Eides in den Mittelpunkt gestellt. Er ist den Betrachtenden zugewendet, die so mehr einbezogen sind und sich mit als Bestandteile der Nation als politischer Souverän fühlen können (zukünftige Abgeordnete der Nationalversammlung waren am meisten als Personen gedacht, die sich das Bild anschauten). Ein Lichtstrahl, der auf seine erhobene rechte Hand fällt, könnte Naturgeschehen und politische Handlung in Beziehung setzen. Der freiwillige Zusammenschluss durch den Eid vollzieht sich stürmisch und mit gewaltiger Wucht und Energie wie ein Naturereignis.

Gleichgerichtete Gesten der Angeordneten zeigen einen überindividuellen Gesamtwillen, nicht nur eine Summe von Einzelwillen. Dies liegt auf der Linie von Jean-Jacques Rousseau, Du contract social ou principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des politischen Rechts) mit seiner Idee des Allgemeinwillens (französisch: volonté générale). Zusammenhalt und Eintracht der Abgeordneten im Kampf um revolutionäre Ziele sollen deutlich werden.

Das Stehen auf Stühlen und Tischen hat praktische Gründe (in dem vollen Saal Platz finden und Übersicht bekommen), könnte aber auch als Aufstieg der Abgeordneten nach oben verstanden werden.

Einzelne indivuell erkennbare Abgeordnete sind z. B. Émanuel Sieyès (dicht bei Bailly am Tisch sitzend, mit einem Hut in den Händen; ein Kleriker, aber Abgeodrneter des 3. Standes), der Tiefgründigkeit ausdrückt, Graf Mirabeau (vorne auf der rechten Seite, Beine weit auseinander, rechter Arm erhoben, linker Arm leicht nach unten geneigt ausgestreckt; ein Adliger, damals ein Abgeordneter des 3. Standes), der große Energie, Kraft und Heftigkeit verkörpert, hinter ihm Antoine Barnave, der Ruhe verkörpert, mit Händen auf der Brust Maximilien de Robespierre, der hereingetragene kranke und gelähmte Abgeordnete Maupetit de la Mayenne (seine Mühe kann rührend wirken).

Die finsteren Gestalten mit phrygischen Mützen könnten als Sansculotten (politisch mobilisierte Volksmenge aus der städtischen Unterschicht) gedeutet werden. Sie können den Ballhausschwur nicht richtig sehen und der Vorgang bleibt ihnen fremd, wie an ihrem Gesichtsausdruck zu merken ist. Die Sansculotten werden damit aus der revolutionären Elite ausgeschlossen.

Die Frauen oben nehmen immerhin gestisch und mimisch Anteil am Geschehen. Frauen erhalten dadurch einen Platz im öffentlichen Raum (werden nicht ganz aus der Politik ausgeschossen und auf einen privaten Raum beschränkt), wenn auch untergeordnet, nicht voll gleichberechtigt.

In der Mitte des Vordergrundes geschieht in einer Dreiergruppe eine Verbrüderung. Ein Ordensgeistlicher (Dom Gerle, ein Kartäusermönch; tatsächlich damals gar nicht anwesend), ein Weltgeistlicher (Henri Grégoire, ein Abbé) und ein protestantischer Pastor (Rabaut Saint Etienne) stehen vereint. Ein harmonisches Ideal von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (liberté, égalité, fraternité) wird vor Augen geführt. Religiöse Unterschiede treten zurück, versöhnlich treten sie gemeinsam für das gleiche Ziel ein.

Der mit verschränkten Händen den Eid verweigernde Abgeordnete ist Martin Dauch. Das mit einer erklärenden Geste verbundene Hindern, seine Hand mit Gewalt nach oben zu bringen, setzt ein Zeichen: Die Zustimmung soll aus freien Stücken erfolgen.

Eine knappe Bildbeschreibung und Deutung enthält:

Thomas Hertfelder, Vermittlung: Die Macht der Bilder : historische Bildforschung. In: Neueste Zeit. Herausgegeben von Andreas Wirsching. 2. Auflage. München : Oldenbourg, 2009 (Oldenbourg Geschichte-Lehrbuch), S. 282 – 284

Warren Roberts, Jacques-Louis David and Jean-Louis Prieur, revolutionary artists : the public, the populace, and images of the French Revolution. Albany, New York : State University of New York Press, 2000, S. 253 - 257

Remiii777 
Fragesteller
 26.11.2022, 21:53

VIELEN LIEBEN DANK, das hat mir echt viel weiter geholfen ! :)

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