Das Erdbeben in Chili - Themen und Motive

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Kritik an der Kirche. Das Paar soll getötet werden, weil sie miteinander ein Kind haben. Als Lissabon zerstört ist, herrscht Harmonie zwischen den Menschen. als sie alle wieder in die Kirche gehen, flammt der Hass gegen das Paar und das Kind wieder auf.

Erdbeben in Chili Das Erdbeben ist symbolisch zu interpretieren. In Chili hat sich in empörender Weise die Gesellschaft vom natürlichen Empfinden entfernt. Alle Repräsentanten der (entarteten) Feudalgesellschaft, der Staat, auch die Kirche mit Einschluss der Klöster, ja sogar die Familie sind fanatisch bereit, eine „Tat“, die nichts weiter war als der Vollzug eines natürlichen Gefühls, als Verbrechen zu behandeln und mit einer geradezu sadistischen Todesstrafe – jeder der Einwohner von Chili möchte dabei von einem möglichst guten Platz aus zugaffen - zu ahnden. Auf wundersame Weise wird aber durch das Erdbeben das Liebespaar samt dem von ihm gezeugten Kind gerettet, und alle, die irgendwie an der schändlichen, naturwidrigen Heimsuchung des an sich unschuldigen Liebespaars beteiligt waren, werden vom Erdbeben vernichtet. Kleist weist ausdrücklich darauf hin, dass die Repräsentanten, die am Todesurteil des Liebespaares beteiligt waren, dem Verderben preisgegeben wurden (Der Erzbischof usw.). Das Erdbeben könnte man symbolisch als Revolution gegen entartete gesellschaftliche Verhältnisse ansehen. Die pervertierten Institutionen werden vernichtet, und das ursprünglich Gute im Menschen tritt an die Stelle der Entartung; siehe die Schilderung der „menschlichen“ Begebenheiten in dem Seitental, in das die beiden Liebenden mit ihrem Kind fliehen: die Standesunterschiede sind aufgehoben etc. Man merkt hier, die Novelle ist stark von Rousseau beeinflusst: „Der Mensch ist ursprünglich frei und gut; erst durch die Vergesellschaftung auf der Grundlage der Herrschaft des Eigentums wird er geknechtet und verdorben“. Das Liebespaar begeht dann einen verheerenden Fehler. Sie verlassen nicht das Land, sondern gehen zum Dankgottesdienst in die Kirche. Dabei erkennen sie nicht, dass die Institution der Kirche nicht völlig vernichtet, sondern nur vorübergehend durch das Erdbeben gelähmt war. Nachdem sie sich wieder zur alten Macht und Größe erhoben hat, treten auch wieder die alten, perversen Eigenschaften, die jeder feudal-gesellschaftlichen Institution (nach Rousseau) anhaftet, hervor. Das heißt: die Kirche und ihre Repräsentanten holen - durch Aufwiegelung und Hetzpropaganda - das nach, was durch das Erdbeben (die Revolution) vorübergehend verhindert wurde, und zwar in geradezu bestialischer Weise. Feudal-gesellschaftliche Macht (feudum = das Lehen = Eigentum an riesigen Ländereien) bedeutet nach Kleist immer Entartung, Abrücken vom Naturzustand! – In dieser Novelle kommt auch die pessimistische Einstellung Kleists zu den Verheißungen von Revolutionen zum Ausdruck: Revolutionen können nur vorübergehend Missstände beseitigen; über kurz oder lang behaupten die Missstände aber wieder ihre alte (etwas veränderte) Macht (siehe Franz. Revolution: der Feudalismus wurde außer Kraft gesetzt; mit Napoleon kam er zurück). Pessimistisch ist auch Kleists Auffassung von der Sinnhaftigkeit des Daseins (s. Kleists „Kant-Krise: er interpretierte Kant so, dass man die Wahrheit nicht erkennen kann). Wie schon im „Bettelweib von Locarno“ erweist sich der Glaube an sinnvolle Geschehensabläufe als Illusion. Das Erdbeben erschien zunächst wie ein Eingreifen eines gerechten Gottes, später stellt sich diese Ansicht, die von Kleist zunächst eifrig bestärkt wird, als völlig unsinnig heraus. Auch bei der Kurznovelle „Bettelweib von Locarno“ erscheint die Heimsuchung des Marchese durch das Gespenst, von Kleist wieder eifrig unterstützt, als gerechte Bestrafung. Schaut man aber genauer hin, stellt man überrascht fest, dass der Marchese allenfalls etwas ganz Geringfügiges getan hat (barscher Ton gegenüber dem Bettelweib).