Warum meinen Betroffene immer eine Depression sei was sehr schlimmes?

Hört sich provokant an, aber meine die Frage wirklich so. Und ich werde das auch genauer beschreiben.

Bei mir selbst wurde Depression von Ärzten, Gutachtern und Therapeuten festgestellt.

Jedoch leide ich eigentlich gar nicht darunter, nur halt gelegentlich, wenn andere Menschen mir auf die Eier gehen und was von mir verlangen (obwohl das vielen Gesunden sicher auch ähnlich geht). Bei mir äußert sich die Erkrankung übrigens im Antrieb. Von mir aus hätte ich damit aber keinerlei Probleme. Muss auch keine Medikamente nehmen.

Damit bin ich ja nicht alleine, nur meckere ich nicht. Ich nehme es so wahr, dass andere Depressive aber sehr oft sich beschweren wie schlecht es ihnen geht, aber so gut wie keiner kommt damit gut klar und sagt das auch (wie ich). Natürlich ist das was anderes, wenn man z. B. Suizidgedanken hat. Da ist das Leid sicher höher, da es sich auch gegen das höchste Gut - eigene Existenz richtet und will ich nicht anzweifeln, aber es gibt ja auch viele bei denen es sich so äußert wie bei mir. Mal und bei bestimmten Sachen wenig oder keinen Antrieb zu haben ist ja kein Weltuntergang. Trotzdem beschwert sich gefühlt jeder. Bei mir ist es z. B. so, dass ich dann sage "ok, gerade kein Antrieb - ist halt so, muss ich xy später erledigen" Nervig ist es halt nur, wenn andere dann was wollen in dem Moment, aber auch dann setze ich meinen Willen bzw. Nichtwillen einfach durch und belaste mich nicht zusätzlich. Das habe ich ja in der Hand.

Früher wurde die Krankheit nicht ernstgenommen, heute aber macht man irgendwie pauschal ein riesen Fass auf als wäre es zwingend eine der schlimmsten Krankheiten, obwohl es DIE Depression ja gar nicht gibt und eine Depression ja auch einigermaßen harmlos sein kann.

Mal frei runtergeschrieben, hoffentlich noch verständlich.

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Hier schreibt jemand davon, dass eine Depression diagnostiziert wurde, wobei das ja absurd ist, wenn kein Leidensdruck und keine tatsächlichen Symptome gegeben sind. Die Einen werden nicht ernst genommen und bei den Nächsten wird grundlos eine Depression diagnostiziert - eine verrückte Welt.

Wem es mit einer Depression gut geht und wer darunter eigentlich nicht oder nur kaum leidet, hat keine Depression. Ohne wenn und aber. Eine Depression bedeutet, zu leiden.

Ein Tief zu haben, sich mal etwas schlechter zu fühlen, Probleme mit dem Antrieb oder teilweise Lustlosigkeit das alleine ist doch noch keine Depression - da gehört mehr dazu und darunter leidet man auch.

Für mich klingt das halt auch noch nicht einmal nach einer leichten Depression, geschweige denn bis hinzu einer mittelschweren, sondern nach etwas ganz anderem. Und nein, das soll keine Ferndiagnose sein, aber essentiell bei einer Depression ist eben auch der enorme Leidensdruck, der hier ja vollkommen zu fehlen scheint.

Ich bin beruhigt, dass nicht nur mir das aufgefallen ist, was man an den Antworten sehen kann.

Umso schlimmer, dass so jemand mit einer falschen Diagnose dann über diejenigen urteilt, die tatsächlich unter einer Depression leiden. Denn eine Depression bedeutet auch ein persönliches Leid bzw. psychologisch gesagt ein persönlicher Leidensdruck, der äußerst charakteristisch ist, auch wenn er bei jeder Person anders aussehen kann.

Warum hört man wohl so wenig von Betroffenen, denen es gut geht? Weil es sie nicht gibt! Das wäre dann ja keine Depression!

Natürlich sollte man Personen trotzdem ernst nehmen, bei denen es noch keine Depression ist - Vorsorge heißt hier das Stichwort - allerdings halte ich nichts davon, dass jetzt jedem/r schon beim leisesten Anflug von Erschöpfung oder Lustlosigkeit eine Depression diagnostiziert wird. Das bagatellisiert die Erkrankung, die Schwere der Erkrankung und das Leid der tatsächlich Betroffenen. Am Ende führt diese falsche Sichtbarkeit und Aneignung der Erkrankung nämlich dazu, dass die tatsächliche Erkrankung und ihre Betroffenen noch weniger gesehen und ernst genommen werden.

Und gerade an solchen Fragen sieht man ja, dass Nichtbetroffene oftmals noch immer gar kein Verständnis für die Erkrankung und ihre Betroffenen haben. Sich dann jedoch anzumaßen, sich selbst zu den Betroffenen zu zählen, macht mich fassungslos.

Wenn dir jemand sagen würde, du wärst querschnittsgelähmt, obwohl du offensichtlich laufen könntest, würdest du es doch auch hinterfragen, oder nicht? Und wenn du zu müde/erschöpft wärst, die Beine eingeschlafen wären, du Schmerzen in den Beinen hättest oder dir die Beine gebrochen hättest, könntest du zwar für den Moment vielleicht nicht mehr laufen, doch wüsstest du trotzdem, dass du nicht querschnittsgelähmt deswegen wärst, nicht wahr?

Bei psychischen Erkrankungen ist es nicht anders. Wenn es dir gut geht und du unter deinen Symptomen nicht leidest, ist es wohl kaum eine Depression. Es gibt auch noch mehr Diagnosen als eine Depression und es ist nicht gleich jeder psychisch krank, dem es mal nicht gut geht oder der ein paar einzelne Beschwerden hat, aber kaum bis gar nicht drunter leidet. Denn unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen leidet man tatsächlich. Das sind schwere und häufig stark einschränkende Erkrankungen!

Niemand jammert hier grundlos oder übertreibt oder stellt es als etwas schlimmeres dar, als es wäre. Es ist oftmals sogar noch viel schlimmer als es dargestellt wird! Es ist nur so unfassbar schwer, es in Worte zu fassen. Wer es nicht kennt, versteht es meist nicht.

Wie erklärt man einer sehenden und hörenden Person, wie es ist, blind und taub zu sein? Sich die Augen zu verbinden und Gehörschützer aufzusetzen, mag dieser Person ein kleines, minimales Gefühl dafür geben können, wie es tatsächlich ist. Doch verstehen wird sie es dennoch nicht wirklich können. Und bei einer Depression kannst du es deinen Mitmenschen noch nicht einmal irgendwie zeigen. Die inneren Augen zu verbinden, geht hier eben nicht. Es ist für Außenstehende unsichtbar. Das tatsächliche Leid ist schlichtweg nicht sichtbar.

Und das macht es noch schlimmer. Das Gefühl, es nicht erklären zu können, nicht verstanden oder gesehen oder gehört zu werden, nicht ernst genommen zu werden, sich zu fragen, warum nicht einfach "normal" sein kann, wenn einem nicht geglaubt wird, wenn man sich leere aber ach so kluge Ratschläge anhören muss. Das alles verschlimmert das eh schon bestehende Leid, das Betroffene durch die Depression begleitet.

Alleine in Deutschland sterben jährlich viele Menschen an einer Depression oder anderen schweren psychischen Erkrankungen, Tendenz stark steigend. Man geht davon aus, dass es 2020 die zweithäufigste, mindestens dritthäufigste Todesursachen gewesen sein könnte, 2020 starben in Deutschland wohl mehr als 59.000 Menschen an einer psychischen Erkrankung/Störung, davon mehr als 9.000 bewiesen durch Suizid.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1043857/umfrage/todesfaelle-aufgrund-ausgewaehlter-depressiver-erkrankungen-in-deutschland/

Eine Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die tödlich enden kann! Alleine das zeigt, wie schlimm und ernst es ist!

https://www.spektrum.de/news/wenn-depression-krebs-waere/1327123

Natürlich ist das sehr individuell und bei jeder Person nochmal anders, auch weil es unterschiedliche Schweregrade gibt, doch sie alle leiden schwer auf ihre Art - manche schwer, andere extrem schwer, auch wenn sich Leid kaum miteinander vergleichen lässt. Es ist schlimm. Es ist real. Und es ist kein bloßes Gemeckere. Sie beklagen nur ihr Leid! Ihr reales Leid.

Und es ist wichtig, dass sie das tun! Reden ist einer der ersten und wichtigsten Schritte. Viele haben das Gefühl, eine Last/Belastung zu sein, andere zu nerven oder ihnen egal zu sein. Viele äußern sich nicht oder kaum. Und wenn sie es tun, kommt jemand wie du und stempelt sie dafür ab - na herrlich.

Wenn also jetzt jemand meint, sie würden meckern, wie schlimm es wäre, obwohl es doch quasi halb so schlimm wäre, ist das ein Schlag ins Gesicht! Lass sie reden und urteile bitte nicht darüber! Sie leiden tatsächlich so sehr und es ist vermutlich sogar noch viel schlimmer! Schlimmer als du es dir offensichtlich auch nur vorstellen kannst. Hör ihnen zu und glaub ihnen, auch wenn du es nicht verstehen kannst. Bitte gib ihnen nicht das Gefühl, sie würden "meckern", übertreiben oder gar etwas beschreiben, was nicht stimmt.

Es ist abstrakt und surreal, weil man es als außenstehende Person nicht sehen, hören, anfassen oder nachvollziehen kann. Doch genau dann sollte man sich mit seinem Urteil zurückhalten.

Ich persönlich beschreibe meine Depression, die mich seit mehr als 10 Jahren begleitet, oft so:

Es ist, als würde man ertrinken - in einer Wüste ohne jedes Wasser. Es ist ein stummes, lautes Schreien, das alles andere übertönt - obwohl man taub ist. Es ist wie eine Sonnenfinsternis, die einen grell blendet - obwohl man blind ist. Man kann nicht atmen, weil man in einem Vakuum ohne Sauerstoff lebt.

Es klingt absurd und abstrakt, doch besser kann ich es nicht erklären.

Und an dieser Stelle möchte ich allen das Album "Besser kann ich es nicht erklären" von Madeline Juno empfehlen.

Hör dir die Songs "99 Probleme", "Nur kurz glücklich", "Normal Fühlen" und "Sommer, Sonne, Depression" mal an. Vor allem "Nur kurz glücklich"! Aber auch "Hey" von Andreas Bourani, "Mauern" von LOTTE, "Wenn du mich lässt" von Lea und "Stark" von Sarah Connor behandeln das Thema zwar mehr aus der Sicht eines/r Angehörigen, doch sie sind auch wirklich sehr gut.

Auf Englisch kann ich insbesondere "Control" von Zoe Wees, "Strong" von London Grammar und "Toxic Thoughts" von Faith Marie empfehlen, außerdem "Wrong Victory" von MS MR, "this is what depression looks like" von Marina Lin, "Warrior" von AURORA, "idontwannabeyouanymore" von Billie Eilish, "Nothing Left To Say" und "It's OK" von Imagine Dragons.

Und auch wenn es in dem Song "The Fear" von Lily Allen um etwas anderes geht, beschreibt es für mich gleichzeitig gut, wie Depressionen als Folge unseres gesellschaftlichen Drucks entstehen, diese Leere, diese Angst. Gleiches gilt für "When The Lord" von Susanne Sundfør, "Through the Eyes of a Child" und "The River" von AURORA, die trotz eines anderen Themas gut passen.

Ich wünsche dir natürlich trotzdem gute Besserung und dass es dir bald wieder besser geht, unabhängig davon, was es ist! Denn letztlich ist es "egal", warum es jemandem nicht gut geht, was jemandem fehlt oder ob es bereits eine Erkrankung ist. Ich wünsche dir alles Gute! :)

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